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Gaza-Perspektiven

Der Plan für die «Riviera des Nahen Ostens»

3. September 2025
Ignaz Staub
Ignaz Staub
Gaza-Strand, Unterkünfte
Wo heute am Strand des Gazastreifens notdürftige Unterkünfte vertriebener Palästinenser stehen, stellen sich Trump und manche seiner Gefolgsleute die Entstehung futuristischer Luxus-Städte vor. (Foto: Keystone/AP Photo/Jehad Alshrafi)

Der «Washington Post» ist der Plan einer amerikanischer Beraterfirma zugespielt worden, wonach ein Treuhandgremium Gaza nach dem Ende des Krieges übernehmen und das weitgehend zerstörte Gebiet entwickeln soll. Offiziell ist der Prospekt nicht, doch er entspricht in vielem Donald Trumps Vorstellungen für «den Tag danach».

Wie alles, was in Amerika etwas darstellen oder Erfolg haben soll, lässt sich der 38-seitige Plan von Mitarbeitenden der Boston Consulting Group (BCG) in Washington DC unter der Leitung von zwei Partnern auf ein eingängiges Akronym verdichten: «GREAT». Das Kürzel steht für «Gaza Reconstitution, Economic Acceleration and Transformation Trust». Der Untertitel des Prospekts: «Von einem Zerstörten Iranischen Komplizen zu einem Wohlhabenden Abrahamischen Alliierten».

Der Prospekt für die Zukunft Gazas soll im Weissen Haus zirkulieren, wobei sich aber weder der Regierungssitz noch das US-Aussendepartment auf Anfragen näher dazu äussern wollen, auch wenn der Plan Vorstellungen widerspiegelt, die Donald Trump wiederholt geäussert hat. Die BCG hat inzwischen verlauten lassen, dass die Firma zwar finanzielle Modellierungen beigeteuert habe, aber weder Urheberin noch Eigentümerin des Plans sei. Inzwischen seien zwei für finanzielle Aspekte des Projekts zuständige leitende Partner entlassen worden: "Ihre Tätigkeit widerspiegelte ein gravierendes Versagen des Urteilsvermögens und der Einhaltung unserer Standards." Hinter dem Plan standen als treibende Kraft offenbar einige derselben Leute, welche die umstrittene, von den USA und Israel unterstützte «Gaza Humanitarian Foundation» (GHF) initiiert haben. 

«Ein phänomenaler Standort»

Noch im Wahlkampf hatte der US-Präsident prophezeit, er würde den Krieg in Gaza, «Joe Bidens Krieg», rasch beenden. «Ich habe ein Bild von Gaza gesehen, es sieht wie ein riesiges Abbruchgelände aus», sagte Trump an einer Pressekonferenz im Weissen Haus zwei Tage nach Amtsantritt: «Es muss anders wieder aufgebaut werden.» Gaza, meinte er, sei «ein phänomenaler Standort … am Meer, mit bestem Wetter. Alles ist gut. Einige schöne Sachen lassen sich damit machen.»

Zwei Wochen später, bei einer Pressekonferenz mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, verkündete Donald Trump, die USA würden den Gaza-Streifen übernehmen. Ihm, sagte er, schwebe «ein längerfristiger Besitzerstatus» vor, eine Idee, die alle, mit denen er gesprochen habe, gut fänden: «Ich will nicht gerissen sein. Ich will kein schlauer Kerl sein. Aber die Riviera des Nahen Ostens, das könnte etwas werden, was so toll sein kann.» Netanjahu, lächelnd an Trumps Seite, nannte die Idee eine «mutige Vision». Israel und die USA hätten eine «gemeinsame Strategie».

KI-gesteuerte Städte

Seither hat sich der US-Präsident nicht mehr konkreter zu seinen Vorstellungen über die Zukunft Gazas geäussert – mit Ausnahme eines KI-generierten Videos, das er auf seiner Plattform «Truth Social» postete. Das Video, mit Musik unterlegt, zeigt erst eine Trümmerlandschaft, in der Kinder inmitten von bewaffneten Militanten spielen, und mutiert dann zu einer Traumlandschaft mit glitzernden Hochhäusern und unberührten Stränden, überstrahlt von einer goldenen Trump-Statue. Und mit dem US-Präsidenten und Israels Premier tiefenentspannt beim Sonnenbaden am Strand von Gaza.

Der mit Grafiken und Statistiken angereicherte Plan, von dem sich die BCG laut einer Mitteilung im Juni ausdrücklich distanziert hat, nimmt zumindest einige Elemente der Vision des US-Präsidenten auf. So soll der Gaza-Streifen Standort für eine «smarte» Industriezone werden, allenfalls mit Fabriken, die E-Fahrzeuge produzieren, sowie für KI-Datenzentren. Es sollen ein Flughafen, ein Seehafen, Highways und Trams sowie sechs bis acht «dynamische, moderne und von KI gesteuerte High-Tech-Städte» mit bis zu 20 Stockwerken hohen Hochhäusern, mit Schulen und Spitälern entstehen.

Auch einige Golfplätze

Die beiden Highways sollen nach den Herrschern Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate, d. h. potenziellen Investoren benannt werden, die Industriezone nach Elon Musk benannt und der Strand «Gaza Trump Riviera» getauft werden. Für sauberes Wasser sollen eine Meerwasserentsalzungsanlage und für Strom Solarinstallationen in Ägyptens Sinai-Wüste sorgen. Auch ein paar Golfplätze, eine Verbeugung vor Donald Trump, wären neben Grünanlagen und Pärken vorgesehen.

«GREAT» würde laut den Berechnungen der BCG über zehn Jahre Investitionen in der Höhe von mindestens 100 Milliarden Dollar erfordern, die wiederum Einnahmen von 185 Milliarden Dollar generieren und den Wert von Gazas physischen Assets von Null auf 324 Milliarden Dollar anschwellen liessen – Prognosen, die Fachleuten zufolge zwar auf dem Papier gut aussehen, sich in Wirklichkeit aber kaum realisieren lassen. So wie es auch Saudi-Arabiens 500 Milliarden Dollar teures Projekt der futuristischen Stadt «THE LINE» in der Provinz Tabuk im Rahmen des gigantischen «NEOM»-Projekts vermuten lässt. Gemutmasst wird ferner, dass bei der Ausarbeitung des Projekts Involvierte die Eigenheiten, die Geschichte und die Menschen der Region nur schlecht kennen – ähnlich wie das 2003 bei Amerikas Zuständigen für die Nachkriegsordnung des Irak der Fall war.

Eine «freiwillige» Umsiedlung 

Die USA wären im Projekt nicht direkt involviert, sondern ein Treuhandgremium würde Gaza verwalten und die Kontrolle später einem vage definierten «unabhängigen palästinensischen Polit-Gremium» übergeben. Derweil sieht der Plan eine zumindest vorübergehende «freiwillige» Umsiedelung der über zwei Millionen Bewohnerinnen und Bewohner des Küstenstreifens ins Ausland oder in beschränkte, gesicherte Zonen in Gaza selbst vor. Dem Prospekt zufolge würde wohl ein Viertel aller Menschen in Gaza das Gebiet verlassen und kaum mehr zurückkehren.

Wer Land besitzt, würde vom zuständigen Treuhandgremium – im Austausch für das Recht, seinen Besitz zu entwickeln – finanziell entschädigt und könnte sich anderswo ein neues Leben finanzieren oder dann in einer der neuen «KI-gesteuerten, Smart Cities» eine Wohnung kaufen. Wer Gaza bis zum Abschluss des Projekts verlässt, würde 5’000 Dollar in bar erhalten und dessen Miete würde für vier Jahre und dessen Nahrung für ein Jahr subventioniert. Was den Schätzungen der Planer zufolge aber teurer zu stehen käme als jemand, der Gaza verlässt.

Kein Palästinenserstaat geplant

Als mögliche Aufnahmeländer für Palästinenserinnen und Palästinenser sind laut Premier Netanjahu Libyen, Äthiopien Südsudan, Somaliland und Indonesien im Gespräch. Mit Ausnahme Indonesiens, das sich bereit erklärt hat, ein paar Tausend Menschen aus Gaza vorübergehend aufzunehmen, die Arbeit suchen oder medizinische Hilfe brauchen, liegen alle erwähnten Nationen in Afrika und leiden unter eigenen gravierenden Problemen und Konflikten.

Von einem künftigen palästinensischen Staat ist im Projektpapier keine Rede. Das nicht näher definierte palästinensische Regierungsgremium würde sich jedoch den «Abraham Accords» aschliessen, jener Errungenschaft aus Donald Trumps erster Amtszeit, die zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und vier arabischen Staaten geführt hat. 

Israel indes würde noch ein Jahr lang das Recht auf Wahrnehmung seiner Sicherheitsinteressen ausüben, während nicht näher genannte «TCN» (Angehörige von Drittstaaten) und «westliche» militärische Auftragnehmer, d. h. wohl Söldner, für die innere Sicherheit sorgen würden. Deren Einsatz würde im Laufe der zehn Jahre allmählich abnehmen, bis eine lokale Polizei die Kontrolle übernehmen könnte. 

Siedlungen nicht vorgesehen

Gemäss der in der Schweiz domizilierten NGO «Trial International» ist der Plan der BCG eine Blaupause für eine Massendeportation, die als Entwicklung deklariert wird: «Das Ergebnis? Ein Lehrbuchbeispiel für internationale Verbrechen ungeahnten Ausmasses: Bevölkerungstransfer unter Zwang, demografische Manipulation und Kollektivstrafe.» Die NGO warnt, dass am Projekt Beteiligte unter diversen Anklagepunkten zur Rechenschaft gezogen werden könnten. 

Derweil hält «Haaretz»-Kommentator David Rosenberg ironisch fest, Israels Siedlern müsste der Plan eigentlich schlaflose Nächte bereiten, denn sie kämen darin überhaupt nicht vor, auch nicht als Bewohner von «Smarten Städten». Dies, obwohl Finanzminister Bezalel Smotrich vergangene Woche erneut die Annektierung und Besiedlung Gazas gefordert hat: «Israel muss für immer die Kontrolle über den ganzen Küstenstreifen übernehmen. Wir werden einen Sicherheitsgürtel in Besitz nehmen und die Tore Gazas für freiwillige Einwanderung öffnen.» Benjamin Netanjahu dagegen hat wiederholt gesagt, Israel wolle die Kontrolle über ganz Gaza übernehmen, nicht aber das Gebiet besitzen. 

«Gaza für immer unser»

Auch so sind Ende Juli rund 2’000 Israelis zur Grenze Gazas marschiert, um 20 Jahre nach dem Abzug aus dem Gebiet für die erneute Besiedlung des Küstenstreifens zu demonstrieren. «Nur Besiedelung bringt Sicherheit» oder «Gaza für immer unser» war auf mitgeführten Utensilien zu lesen. Den Initianten des Protestmarschs zufolge sind über 1’000 jüdische Familien bereit, ohne Verzug nach Gaza aufzubrechen – in jene Gebiete im Norden, wo früher die Siedlungen Dugit, Nisanit und Elei Sinai standen. 

Auf jeden Fall existieren detaillierte Pläne von sechs Siedlergruppen, wo genau sie bauen und wo einzelne wohnen wollen. Und die palästinensische Bevölkerung? «Sie sind sehr interessiert daran, freiwillig zu gehen», sagte ein demonstrierender Siedleraktivist auf einem Hügel mit Blick auf Gaza, von wo aus die Rauchpilze der Bomben zu sehen sind, mit denen Kampfjets der israelischen Luftwaffe das Gebiet fast ohne Unterlass attackieren.   

Quellen: The Washington Post, The Guardian, Haaretz  

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