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Syrien

Der Kampf um die Hauptstädte

26. Juli 2012 , Zug und Madrid
Arnold Hottinger
In Damaskus haben die syrischen Truppen die Volksquartiere weitgehend zurückerobert, in denen die Kämpfer des Widerstandes versucht hatten, sich permanente Basen zu schaffen. In Aleppo wird noch gekämpft, doch der Ausgang ist ungewiss. Die Regierungstruppen sind überlegen.

Das Ende der Rückeroberungen pflegt zu sein, dass die Leute der Sicherheitsdienste, manchmal begleitet von ihren Spitzeln und von bewaffneten Shabiha Milizen, von Haus zu Haus ziehen, um nach Widerstandskämpfern und deren Freunden suchen. Manche ihnen Verdächtige werden sofort erschossen, andere nehmen sie mit in die Gefängnisse, wo ihrer eine Behandlung harrt, die sie bedauern lässt, dass sie am Leben gelassen wurden.

Isolierung und Flucht der Kämpfer

Plünderungen gehen oft mit solchen Operationen einher. Die Kämpfer versuchen sich in andere Viertel zu flüchten, wo sie, wenn sie dazu noch in der Lage sind, weitere Kämpfe entfachen. Wenn sie dazu nicht mehr fähig sind, weil ihnen die Munition ausgeht oder weil ihre Gruppen zersprengt worden sind, suchen die wenigen, die viel Glück gehabt haben, Verstecke zu finden oder die Stadt zu verlassen, ohne von den sie blockierenden Truppen gefangen zu werden.

Flucht der zivilen Bewohner

Die zivilen Bewohner sind zu grossen Teilen aus den umkämpften Stadtvierteln geflohen, in andere Stadtteile, die ruhig geblieben sind. Aus der Stadt hinaus zu Verwandten oder gar bis ins Ausland, nach Libanon, Jordanien und bis an die ferne türkische Grenze. Ihre Häuser und Wohnungen liessen sie verwüstet zurück.

In Damaskus wird noch immer geschossen. Doch die wichtigsten der aufständischen Stadtteile, wie Mezze und Midan nah beim Zentrum der Grossstadt, sind nun wieder von den Truppen besetzt. Die entferntere Vorstadt von Qabun, wo sich der Widerstand seit Monaten regt, scheint menschenleer geworden zu sein, nur noch eine Ruinenstadt.

Das verlorene Gewaltmonopol der Regierung

Ob es den Regierungstruppen gelingt, die völlige Ruhe wiederherzustellen, ist ungewiss. Ihr Vorgehen dürfte, wie in allen anderen syrischen Städten, die mit Artillerie "befriedet" wurden, auch weitere Menschenmassen gegen sie mobilisiert haben, Leute die nun zunehmend darauf ausgehen, Rache zu nehmen, koste es was es wolle.

Schwere Kämpfe um Aleppo

In Aleppo ist die gewaltsame "Befriedung" noch nicht gelungen. Die Regierung bringt weitere Truppen in die umkämpfte Stadt, nachdem in den Tagen zuvor die Widerstandskämpfer aus den umgebenden Dörfern in sie eingezogen waren. Die Regierung setzt Kriegshelikopter ein, um die Positionen des Widerstandes in den aufständischen Quartieren von oben zu beschiessen. Sie liess auch Kriegsflugzeuge, Migs sowjetischen Ursprungs, über der Stadt die Schallmauer durchbrechen, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Ob diese Flugzeuge auch für Bombardierungen eingesetzt wurden, ist ungewiss. Doch wie in all diesen Kämpfen ist Artilleriebeschuss der aufständischen Quartiere eine systematisch angewandte Taktik.

Noch keine Entscheidung

In Aleppo ist die Lage der Aufständischen etwas günstiger als in Damaskus. Ihre Nachschubwege zur türkischen Grenze sind kürzer, und um die Stadt herum gibt es "befreite Gebiete", das heisst Zonen und Ortschaften, die sich temporär unter der Kontrolle der Bewaffneten des Aufstands befinden. Doch die schweren Waffen, über welche die Regierungstruppen verfügen, sind der leichten Bewaffnung des Widerstands dermassen überlegen, dass man erwarten muss, auch in Aleppo werde die Regierung nach einiger Zeit und mit einigen eigenen Verlusten sowie schweren Opfern unter der Zivilbevölkerung Ruhe schaffen, die in den umkämpften Quartieren einer Grabesruhe nahekommt.

Doch das Problem der Regierung war von Beginn der Unruhen an und bleibt weiter, dass die Brutalität ihres Vorgehens immer weitere Kreise von Syrern in den Widerstand treibt. Dass sie sich noch einmal des ganzen Landes bemächtigen und ihr Gewaltmonopol vollständig wieder aufrichten könnte, ist unwahrscheinlich bis unmöglich.

Brutalität fördert Fanatismus

Wie also weiter? - Die Brutalität der Kämpfe und die Niederhaltungsversuche werden weiter anwachsen. Dies zeichnet sich bereits heute ab. Die Regierung greift zu schweren Waffen gegen die Widerstand und gegen ihre eigene Bevölkerung. Man kann auch erkennen oder mindestens ahnen, dass auf Seiten des Widerstandes die Brutalität ebenso wächst. Die fanatischsten Kämpfer erweisen sich als die wirksamsten und erhalten Zulauf. Dies sind radikale islamistische Gruppen mit Verbindungen nach dem Nordirak, wo sunnitische Radikale und Bombenhersteller seit Jahren agieren. Es dürften auch diese Gruppen sein, die am ehesten Geld und Waffen aus Saudi Arabien und aus den Golfstaaten erhalten.

Je länger die Kämpfe dauern und je grausamer sie werden, desto mehr Einfluss werden auf der Seite des Widerstandes gerade jene Gruppierungen erlangen, deren Herrschaft über Syrien, wenn sie diese erringen sollten, am wenigsten wünschenswert scheint. Noch einmal unter leicht geänderten Gesamtbedingungen schafft sich der Bürgerkrieg seine "Taleban".

Unrealistische Siegesgewissheit

Extreme Kampf- und Überlebensbedingungen fördern extreme Ideologien und Denkweisen, umso mehr wenn gerade diese Unterstützung aus dem Ausland erhalten.

Die Kämpfer sind allen Berichten nach sehr siegesgewiss nach Damaskus und nach Aleppo gezogen. Das tödliche Attentat gegen die Sicherheitschefs des Regimes gab ihnen zusätzlichen Auftrieb. Sie witterten Morgenluft. Doch sie haben keine Erfahrung darin, was der Einsatz von schweren Waffen und von Kampfhelikoptern für sie bedeutet.

Bei den nun Überlebenden werden Bitterkeit und Todesverachtung wachsen, und sie werden diesen Geist unter den neu dazustossenden Kämpfern fördern. Radikale Jihad-Stimmung und Ideologie passen zu dieser Haltung.

Politische Verarmung in Damaskus

Auf der Seite der Regierung gibt es keine Politik mehr, nur noch unglaubwürdig gewordene Propaganda und gewaltsame Niederhaltung. Dies kommt dadurch zustande, dass die politischen Köpfe, Präsident Asad nicht ausgeschlossen, immer mehr in Abhängigkeit der Waffenträger geraten, auf deren Schutz sie für ihr Überleben angewiesen sind und die daher tun und lassen, was ihnen beliebt. Die politischen Köpfe lassen sie reden. Sie wissen, dass niemand mehr auf ihre Reden hört.

Den Waffenträgern geht es um ihr eigenes Überleben und um das ihrer Familien und ihrer - alawitischen - Gemeinschaft. Sie führen zwei Kriege, einen nach aussen gegen die Aufständischen und einen nach innen gegen die möglichen Überläufer und Verräter unter der Mehrheit ihrer Soldaten, die Sunniten sind. Über den inneren Kampf gibt es nur Gerüchte und Vermutungen. So geht das Gerücht um, alle sunnitischen Helikopterpiloten hätten Flugverbot, nur noch Alawiten dürften Helikopter fliegen. Auch die Herstellung und Lagerung von Giftgas werde ganz von Alawiten kontrolliert. Dies stimmt möglicherweise. Es ist aber auch denkbar, dass die Dinge komplexer liegen. Etwa, dass es immer noch Sunniten gibt, deren Loyalität nicht bezweifelt wird, und andere, denen ihre alawitischen Vorgesetzten und Kontrolleure nicht mehr trauen. Doch dass es gärt, machen die Überläufer seit langem klar.

Militärische Eventualpläne im Westen

Die wachsende Brutalität der Kämpfe und die Gefahren, die darin liegen, dass die Gasvorräte in falsche Hände gelangen könnten, haben dazu geführt, dass in den USA und wohl auch in Grossbritannien militärische Eventualpläne für den Fall aufgestellt werden, dass ein Eingreifen in Syrien doch noch Notwendigkeit werden könnte. Dies sind nur Pläne, die entworfen und durchdiskutiert werden, um den politischen Behörden Möglichkeiten und Aussichten vorzulegen, falls sie künftig Entscheidungen über Eingriffe werden treffen müssen. Zur Zeit scheint dabei ein Giftgas-Szenario die grösste Rolle zu spielen. Es ginge um Sicherstellung der Gaslager im Fall, dass diese nach einem Zusammenbruch der syrischen Armee unbewacht blieben.

Natürlich erinnern solche Erwägungen an die Meldungen über "Massenvernichtungswaffen" im Irak, die es nicht gab und die unter Bush als Vorwand zum Angriff dienten. Doch unter Obama ist eine solche Entwicklung nicht zu gewärtigen. Was unter einem möglichen republikanischen Nachfolger Obamas geschehen könnte, steht allerdings auf einem anderen, heute noch kaum zu entziffernden Blatt.

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