Direkt zum Inhalt
  • Politik
  • Kultur
  • Wirtschaft
  • Gesellschaft
  • Medien
  • Über uns
close
BBC

Der Kampf um das BBC-Narrativ

12. November 2025
Ignaz Staub
Ignaz Staub
BBC
Keystone/AP Photo/Kin Cheung

Die Rücktritte von BBC-Generaldirektor Tim Davie und Chefredaktorin Deborah Turness haben nur vordergründig mit journalistischen Fehlern des Senders zu tun. Die Reaktion konservativer Kreise und des Weissen Hauses zeigen, dass sich hinter der Kritik an der BBC wohl auch handfeste politische Motive verbergen. Die mutmassliche Absicht: ein liberales Medium, das der Rechten seit Langem ein Dorn im Auge ist, auf einen ideologisch gefälligeren Kurs zu trimmen.

Die BBC macht, wie jedes Medium, gelegentlich Fehler. Fragt sich nur, ob solche Fehler jeweils absichtlich und politisch motiviert passieren oder eher beiläufig in der Hitze des redaktionellen Tagesgeschäfts. Im Fall, der den Rücktritt der beiden BBC-Oberen ausgelöst hat, war der Auslöser ein Dokumentarfilm unter dem Titel «Trump: eine zweite Chance?», der im vergangenen Jahr eine Woche vor der amerikanischen Präsidentenwahl ausgestrahlt wurde. Der Beitrag zeigte Ausschnitte aus Donald Trumps Rede vor seinen Anhängern in Washington DC, bevor diese am 6. Januar 2021 das US-Capitol stürmten. 

«Wir werden zum Capitol marschieren», sagt Trump an einer Stelle der Rede: «Und wir werden unseren mutigen Senatoren und Senatorinnen und Kongressabgeordneten zujubeln.» 50 Minuten später sagte er: «Ich werde mit euch sein. Und wir kämpfen. Wir kämpfen wie die Löwen.» Der BBC zufolge wurden die beiden Ausschnitte aus der Rede zusammengeschnitten, so dass sie neu lauteten: «Wir werden zum Capitol marschieren (…) und ich werde mit euch sein. Und wir kämpfen. Wir kämpfen wie die Löwen.» Das hörte sich an, als würde der noch amtierende Präsident seine Anhänger zu Gewalt auffordern.

«Systematische Vorurteile»

Fakt ist, dass die fragliche «Panorama»-Sendung vor allem von Britinnen und Briten gesehen wurde, die nicht gegen Donald Trump stimmen konnten und der die Präsidentenwahl sowieso gewann. Fragt sich zudem, weshalb der Dokumentarfilm fast ein Jahr nach seiner Ausstrahlung unvermittelt in den Fokus des öffentlichen Interesses geraten ist. Auf jeden Fall war es der konservative «Daily Telegraph», der den Stein ins Rollen brachte, basierend auf einem Brief, den Michael Prescott, ein früherer unabhängiger externer Berater des Ethikkomitees der BBC, im vergangenen Juni dem internen Gremium geschickt hatte. 

Im Brief beschrieb Prescott, was er als «gravierende und systematische» Vorurteile der Redaktionen des Senders bezeichnete. Die Bearbeitung der Trump-Rede war eines der zitierten Probleme, neben der Berichterstattung über Israels Krieg in Gaza durch BBC Arabic und über Rassismus oder Trans-Themen. Er habe, schrieb der konservative Berater und einer der Initianten des rechten Rundfunks «GB News», den Zuständigen die Versäumnisse zur Kenntnis gebracht, aber diese hätten sich geweigert, sie als Verletzung ethischer Standards zu sehen. 

Späte Reaktion des Senders

In der Tat bleibt offen, wieso die Verantwortlichen der BBC, eines bürokratisch mitunter schwerfälligen Riesenunternehmens mit über 21’000 Angestellten, nicht früher auf solche Vorwürfe reagiert und Stellung bezogen haben, selbst wenn deren allfällige Berechtigung noch näher hätte untersucht werden müssen. Der britische Komiker John Cleese witzelte einst, dass das BBC-Management seine erfolgreiche TV-Sitcom «Fawlty Towers» von 1975 heute nicht mehr ausstrahlen würde: «Zu lustig, zu wenige Sitzungen». 

Offenbar wäre Chefredaktorin Deborah Turness bereit gewesen, sich für den Lapsus im «Panorama»-Beitrag zu entschuldigen; sie wurde aber intern daran gehindert. In einer Mitteilung an die Belegschaft des Senders schrieb sie, die Kontroverse um den Trump-Dokumentarfilm habe eine Stufe erreicht, die der BBC schade – «einer Institution, die ich liebe». Wer in der Öffentlichkeit eine Führungsposition besetze, müsse die volle Verantwortung tragen, weshalb sie zurücktrete: «Während Fehler begangen worden sind, will ich es absolut klar machen, dass die jüngsten Anschuldigungen falsch sind, die BBC sei als Institution voreingenommen.»

«Instrumentalisierung der Kritik»

Generaldirektor Tim Davie seinerseits sprach von einer «Instrumentalisierung der Kritik» gegen die BBC und versicherte seinen Untergebenen, dass das Narrativ rund um den Sender nicht «unseren Feinden» überlassen werde: «Wir sind eine einzigartige und wertvolle Organisation. Ich sehe die freie Presse unter Druck. Ich sehe die Instrumentalisierung. Ich denke, wir müssen für unseren Journalismus kämpfe. Ich bin wirklich stolz auf unsere Arbeit.» 

Andere, sagte Davie, wollten «unser Narrativ» besetzen: «Die erstaunliche Arbeit, die wir lokal und global leisten, ist ohne Ausnahme wertvoll. Wir haben einige Fehler gemacht, die uns gekostet haben, aber wir müssen darum kämpfen und ich bin sehr stolz darauf und lasst euch von niemandem daran hindern zu denken, dass wir einen fantastischen Job machen.»

«Korrupte ‘Journalisten’ enttarnt»

Tina Brown, frühere britische Chefredaktorin des «New Yorker» und von «Vanity Fair», verteidigte derweil Deborah Turness als eine leidenschaftliche, wache Berufsfrau mit dem Beschützerinstinkt einer Tigerin, was redaktionelle Integrität betrifft. Das gelte auch für Generaldirektor Tim Davie: «Ich beklage einen weiteren erfolgreichen Angriff auf eine Medieninstitution, die einen Leistungsausweis für brillanten, mutigen und ehrlichen Journalismus hat. Jeden Tag stellt die Beeb (BBC) die Virtuosität ihres Könnens als ein Allesfresser von globalen News und investigativen Themen unter Beweis sowie als kreative Macht in Sachen Drama und Unterhaltung.»  

Auf seiner Plattform «Truth Social» dankte Donald Trump dem «Daily Telegraph», «diese Korrupten ‘Journalisten’ enttarnt zu haben». «Äusserst unehrliche Leute» hätten versucht, auf eine Waagschale der Präsidentenwahl zu drücken: «Und vor allem anderem sind sie von einem fremden Land, einem Land, das viele als unseren Alliierten Nummer eins betrachten. Wie schrecklich ist das für Demokratie.» 

Trumps allfällige Milliardenklage

Karoline Leavitt, Pressesprecherin des Weissen Hauses und um eine heuchlerische Diffamierung nie verlegen, beschrieb die BBC als «100 Prozent fake news» und als «Propagandamaschine»: «Jedes Mal, wenn ich mit Präsident Trump nach Grossbritannien reise und gezwungen bin, im Hotelzimmer BBC zu schauen, ruiniert es meinen Tag, ihre unverblümte Propaganda und Lügen über den Präsidenten der Vereinigten Staaten aufzulisten und all das, was er tut, um Amerika besser und die Welt sicherer zu machen.» Ihr Post im Netz: «@BBCNews ist am Sterben, weil sie Anti-Trump Fake News sind. Jedermann sollte (die konservativen) @GBNews schauen!»

Auf jeden Fall hat Donald Trump Anfang Woche gedroht, die BBC auf 1 Milliarde Dollar zu verklagen wegen eines Dokumentarfilms, der «bösartig, abwertend» bearbeitet worden sei. Die Klage fordert bis kommenden Freitag um 17 Uhr eine «volle und faire Entfernung der Sendung, eine Entschuldigung und Zahlungen, die Präsident Trump adäquat für den Schaden entschädigen, der verursacht worden ist». In den USA ist der fragliche Beitrag noch auf BBC.com zu sehen.

Drohen und einschüchtern

Trumps allfällige Klage ähnelt seinem Vorgehen gegen die «New York Times», die er wegen der Verbreitung «von falschen und diffamierenden Inhalten» auf 15 Milliarden Dollar verklagt hat, und jenem gegen Rupert Murdochs «Wall Street Journal», das zehn Milliarden Dollar zahlen soll, weil es über Trumps Beziehung zum verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein berichtet hat. Wie in anderen Fällen räumen Juristinnen und Juristen Trumps allfälliger Klage gegen die BBC wenig Chancen ein, da der Präsident belegen müsste, dass der Dokumentarfilm seinen Wahlchancen konkret geschadet hat.

George Freeman, Direktor des Media Law Resource Center in New York, hält den Betrag von einer Milliarde Dollar für «völlig bedeutungslos» und erinnert an eine Reihe erfolgloser Trumpscher Verleumdungsklagen: «Sie sind nur dazu da, zu drohen und Medien einzuschüchtern, die er nicht mag.» Zwar hat sich die BBC auf gewisse Weise entschuldigt, aber mutmasslich nicht in einem Ausmass, das Donald Trump vorschwebt. Bleibt noch die Frage, ob der Sender einer Entschädigung zustimmt, wie sie in den USA die Fernsehsender ABC (16 Mio. Dollar) und CBS (15 Mio. Dollar) gezahlt haben, obwohl auch diese Klagen seinerzeit als aussichtslos galten.

Ein ungünstiger Zeitpunkt

Die Rücktritte der Führungsetage und die Kritik an der BBC erfolgen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, denn der Sender ist dabei, mit der britischen Regierung über die künftige Finanzierung und die Höhe der Rundfunkgebühren zu verhandeln. Offen bleibt auch, ob es diplomatischen Druck aus Washington gegeben hat, der zu den Rücktritten von Tim Davie und Deborah Turness geführt hat, was Davie verneint. Trotzdem, folgert die «New York Times», könnte es sich lohnen, die Gründe für das Ausscheiden der beiden näher zu überprüfen. Gleichzeitig, schliesst das Blatt, seien die Rücktritte für die BBC auch die Chance für einen Neubeginn: «Zweifellos muss sie ihre redaktionellen Standards wirksamer durchsetzen, aber sie muss sich auch für ihre Leute stark machen, wenn sie unfairer Weise ins Schussfeld geraten.»

Dr. Kate Wright, Professorin an der Universität Edinburgh und Mitautorin eines Buches über "The Voice of America" (VOA) und Donald Trump, sieht Parallelen zum Rückzug der USA aus VOA und anderen internationalen Rundfunkprojekten: „Es ist klar, dass die BBC mit der Bearbeitung von 'Panorama' Fehler gemacht hat“, sagt Wright: „Aber was hier geschieht, scheint auch dem Rezept zu entsprechen, das bei der Übernahme öffentlich-rechtlicher Medien auf der ganzen Welt angewendet wird. Dazu gehören regelmässig Vorwürfe der ‚Voreingenommenheit‘ und mangelnden Ausgewogenheit, um über interne Führungsstrukturen politische Entscheidungen zu beeinflussen, während gleichzeitig die finanziellen Mittel und personellen Ressourcen gekürzt und die Legitimität des betreffenden Senders in den Medien insgesamt angegriffen wird.“

"Wenn die BBC sich entschliesst, nachzugeben statt zu kämpfen, dann ist ihr Ruf in Scherben, nicht wahr?", fragte auf dem privaten "Channel 4" Matt Frei, der frühere Amerika-Korrespondent des Senders: "Und das weltweit?" Ja, sagte Moderator Andrew Marr: "Es wird schrekclich sein."

Quellen: The Guardian, The New York Times, The Washington Post, CNN, Poynter, Fresh Hell

Letzte Artikel

Das Jahr in Bildern

14. Dezember 2025

«... die edle Kochkunst bleibt bestehn»

Niklaus Oberholzer 14. Dezember 2025

Filmproduzent Arthur Cohn gestorben

Patrick Straumann 12. Dezember 2025

Im Bann des Generalstreiks

Thomas Fischer 11. Dezember 2025

Vor einem Berg ungelöster Probleme

Ignaz Staub 11. Dezember 2025

Luzern – Hauptstadt Europas für einen Tag

Daniel Woker 11. Dezember 2025

Newsletter abonnieren

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Abonnieren Sie den kostenlosen Newsletter!

Zurück zur Startseite
Leserbrief schreiben
Journal 21 Logo

Journal 21
Journalistischer Mehrwert

  • Kontakt
  • Datenschutz
  • Impressum
  • Newsletter
To top

© Journal21, 2021. Alle Rechte vorbehalten. Erstellt mit PRIMER - powered by Drupal.