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Medien

Der Fluch des vorauseilenden Gehorsams

28. Juli 2025
Ignaz Staub
Ignaz Staub
Washington Post
(Foto: Keystone/EPA/Michael Reynolds)

Die «Washington Post», nach Watergate die angesehenste Zeitung der Welt, ist im Sinkflug begriffen. Grund dafür sind ein schwerreicher Besitzer und ein unterwürfiges Management. Etliche renommierte Journalistinnen und Journalisten haben das Blatt verlassen. Die Leserschaft bleibt als Verliererin zurück.

Internen Angaben zufolge hat die «Washington Post» vor zwei Jahren 77 Millionen Dollar Verluste eingefahren. Zu hohe rote Zahlen, um nicht darauf reagieren und versuchen zu müssen, die Talfahrt aufzuhalten. Doch das dürfte kaum gelingen, wenn Besitzer Jeff Bezos, der milliardenreiche Gründer von Amazon, und seine Verlagsleitung die Leserschaft noch weiter verärgern und verdiente, langjährige Angestellte zum Verlassen des Blatts bewegen.

Dies zu einem Zeitpunkt, da es zwar in Amerika einer anderen nationalen Zeitung, der «Los Angeles Times», ebenfalls schlecht geht, doch die Hauptkonkurrentin «New York Times» floriert nach wie vor schön. Auch wenn die meisten traditionellen Medien in den USA unter Vertrauensverlust sowie einem Präsidenten leiden, der ihnen feindlich gesinnt ist, und mit wirtschaftlichen Herausforderungen kämpfen, die Probleme der «Washington Post» sind weitgehend hausgemacht.

Sinkende Auflage, weniger User 

Noch vor fünf Jahren hat die «Post» unter der Woche 250’000 und an Sonntagen knapp 160’000 Exemplare verkauft. Inzwischen ist die Druckauflage erstmals seit 55 Jahren auf täglich unter 100’000 Ausgaben gesunken. Das ist eine Zahl, wie sie in Amerika von einer mittelgrossen Regionalzeitungen zu erwarten ist, nicht aber von einem Weltblatt, dessen Journalistinnen und Journalisten seit den 1930er-Jahren 68 Pulitzerpreise gewonnen haben – die zweitmeisten aller amerikanischen Zeitungen und Magazine, übertroffen nur von der «New York Times» mit 135 Auszeichnungen. Der letzte Pulitzer für die «Post» ging 2022 in der Kategorie «Dienst an der Öffentlichkeit» an die Redaktion für ihre Berichterstattung des Sturms auf das US-Capitol am 6. Januar 2021.

Vor zwei Jahren derweil hatte die Website der «Washington Post» noch 2,5 Millionen zahlende User, am drittmeisten hinter der «New York Times» und dem «Wall Street Journal». Doch auch diese Zahl ist geschrumpft, nachdem Hunderttausende von Nutzerinnen und Nutzern frustriert ihre Abonnements gekündigt haben, als Besitzer Jeff Bezos in einem Akt vorauseilenden Gehorsams gegenüber Donald Trump beschloss, einen Meinungsbeitrag nicht zu publizieren, der im letzten Herbst Kamala Harris als Präsidentschaftskandidatin zur Wahl empfohlen hätte. 

Amerikas unterwürfige Oligarchen

In der Folge kündigte Anfang Jahr die renommierte Karikaturistin Ann Telnaes, Gewinnerin eines Pulitzer-Preises, deren Zeichnung über Amerika Oligarchen, die vor dem neuen Präsidenten zu Kreuze kriechen, der internen Zensur zum Opfer gefallen war. Auch Kolumnistin Ruth Marcus verliess nach vier Jahrzehnten auf der Redaktion im März die Zeitung freiwillig, nachdem ihr letzter Beitrag von Verleger Will Lewis als «qualitativ ungenügend» und «zu spekulativ» unterdrückt worden war, obwohl sie selbst einräumte, die fragliche Kolumne sozusagen mit angezogener Handbrems geschrieben zu haben. 

Doch Ruth Marcus hatte es gewagt, eine Vorgabe von Jeff Bezos zu hinterfragen, wonach die «Washington Post» künftig nur noch Meinungen publiziere, die sich mit «persönlichen Freiheiten und freien Märkten» befassten. Abweichende Meinungen, so der Besitzer, müssten an einem anderen Ort Platz finden. Für sein Credo wurde Jeff Bezos in der Folge extern als Totengräber des freien Journalismus kritisiert (https://www.journal21.ch/artikel/demontage-eines-weltblatts).

«Der Leserschaft dienen»

Ihr Job, sagte Ruth Marcus, sei es, zu denken, was sie denke und nicht, was der Besitzer denkt. Jeff Bezos hatte 2013, als er die «Washington Post» der Familie Graham für 250 Millionen Dollar abkaufte, noch gesagt, die Werte des Blatts würden keiner Änderung bedürfen. Und erinnerte so an den früheren Besitzer Eugene Meyer, der einst betont hatte: «Pflicht der Zeitung wird es bleiben, der Leserschaft und nicht den privaten Interessen ihrer Besitzer zu dienen.» 

Im vergangenen Oktober schrieb der Besitzer nach dem Entscheid, keine Wahlempfehlungen mehr zu publizieren: «Wir müssen härter arbeiten, um zu kontrollieren, was wir kontrollieren können, um unsere Glaubwürdigkeit zu steigern.» Für Jeff Bezos bedeutet das offenbar, Donald Trump ja nicht zu verärgern. Immerhin spendete er für die Amtseinführung des Präsidenten eine Million Dollar. Und er sicherte sich für Amazon die Senderechte für «The Apprentice», jene Fernsehshow auf NBC, die den Immobilienmakler aus New York in den Nullerjahren landesweit berühmt gemacht hatte. Das Schlagwort der Sendung, die eine Stellensuche inszeniert: «You’re fired.»

Das Ressort «Nachrufe» kündigt  

Seit dem Abgang von Ruth Marcus im März ist es bei der «Washington Post» laut einigen Medienbeobachtern zu einem regelrechten «Exodus» profilierter Angestellter gekommen. Dutzende sollen sich entschlossen haben, bis zum 31. Juli die Zeitung zu verlassen. Selbst die meisten des für das Ressort «Nachrufe» Zuständigen haben gekündigt. Deren Fehlen wird sich aber noch nicht so rasch bemerkbar machen: 900 Nekrologe noch lebender Personen sollen zum Abdruck bereit liegen. 

Es ist die Rede ist von einem regelrechten «Brain Drain» oder gar von einer «Säuberung». Derweil betreffen die auffälligsten Abgänge die «opinion section», das Meinungsressort der «Post», das bei amerikanischen Blättern von der Nachrichtenredaktion getrennt ist. Der Meinungsteil steht neu unter der Leitung von Adam O’Neil, der früher für den «Economist» und das «Wall Street Journal» tätig war.

«Ohne Bedauern patriotisch»

Der 33-Jährige hat dem Vernehmen nach einigen Untergebenen mitgeteilt, sie würden wohl nicht zu seiner «Vision» des Meinungsressorts passen, die er allerdings noch nicht näher artikuliert hat. Er sei, hat O’Neil dem Ressort vor Amtsantritt in einem Selfie-Video mitgeteilt, «ohne Bedauern patriotisch» und «in unerschütterlichem Patriotismus verwurzelt, was die Zukunft dieses Landes (der USA) betrifft». 

Inzwischen haben auch fünf bekannte Kolumnistinnen und Kolumnisten angekündigt, die «Post» verlassen zu wollen, während eine auf Erziehungs- und Genderfragen spezialisierte Kolumnistin, seinerzeit auf Wunsch von Jeff Bezos eingestellt, sowie ein populärer scharfzüngiger Kolumnist in die Nachrichtenredaktion des Blatts wechseln. Auch dort haben mehrere Redaktorinnen und -Redaktoren gekündigt, um zur Konkurrenz wie der «New York Times» zu wechseln. «Es ist ein wirklich schlechtes Geschäftsmodell, talentierte Leute wegzustossen und sie dann über dich berichten zu lassen», meint eine Redaktorin der Zeitung. Bleibt offen, ob sich das Vorgehen der Verlagsspitze wirtschaftlich auszahlt, denn da gehen Leute, deren Meinungsbeiträge der Leserschaft sehr gut gefallen haben.

«Der rote Teppich zur Kündigung»

Zu den Abgängern zählt nach 18 Jahren auf der Redaktion auch Pulitzerpreisträger Jonathan Capehart, der Donald Trump seit mehreren Jahren ein Dorn im Auge ist und der den Präsidenten in einer Kolumne «einen Krebs an der Präsidentschaft und der amerikanischen Gesellschaft» genannt hat. Auch hat Capehart eine Wahlkampfveranstaltung Trumps mit einem Nazi-Rally 1939 im New Yorker Madison Square Garden verglichen.

Gekündigt hat ferner Dave Jorgenson, der für die «Washington Post» in den sozialen Medien unterwegs war. Der 34-Jährige hatte auf zwei YouTube-Kanälen mehr als drei Millionen und auf TikTok 1,9 Millionen Follower. Er macht sich zusammen mit einer Kollegin und einem Kollegen der «Post» mit einem Video-Unternehmen selbständig. CEO Will Lewis, sagt Jorgenson, habe ihm mit seinem vor kurzem an die Belegschaft verschickten Memo praktisch «den roten Teppich für die Kündigung ausgerollt».

Keine «dritte Redaktion» 

Will Lewis’ E-Mail ermutigte Angestellte dazu, sich einen bezahlten Abgang zu überlegen, falls sie nicht «auf der Linie» des Unternehmens lägen. Dessen Vision «WP Ventures», die mit einem auf Persönlichkeiten abgestimmtem Inhalt und populären Themen ein neues Publikum ansprechen soll, hält Jorgenson für «widersprüchlich». Ob seine Anhängerschaft ihm auf eine neue Plattform folgen wird, ist aber ungewiss. Derweil wird «WP Ventures», einst als populäre «dritte Redaktion» mit Video, Audio, Newsletters und sozialem Engagement geplant, aus der traditionellen Redaktion der «Washington Post» ausgelagert und als separates, rein kommerzielles Unternehmen ohne seriösere journalistische Ambitionen aufgestellt. 

Noch scheint, prominenten Abgängen zum Trotz, der Nachrichtenteil der «Post», weitgehend gesund zu sein. Was zumindest die Berichterstattung des Blatts über die jüngste Flutkatastrophe in Texas noch gezeigt hat. Doch der Verlust an Profil und parallel dazu an Vertrauen der Leserschaft lässt für die Zukunft der Zeitung wenig Gutes erahnen. Dies gerade in einer liberalen Stadt wie Washington DC, deren Bürgerinnen und Bürgern Donald Trump und dessen MAGA-Bewegung weitgehend fremd sind. Bei beiden aber soll sich die «Washington Post» nun offenbar künftig anbiedern. 

Der Besitzer und der Verleger der «Washington Post» haben die Seele der Zeitung dem Teufel verkauft und sind einen Pakt eingegangen, der sich nur für den Präsidenten lohnen dürfte. «Democrcy Dies in Darkness», steht als Slogan auf jeder Titelseite der Zeitung: Demokratie stirbt im Dunkeln. Nicht nur, sie kann auch bei hellem Tageslicht sterben. 

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