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Kulturförderung

Der Amtsschimmel als Muse

14. November 2025
Alex Bänninger

Artikel 21 der Bundesverfassung gewährleistet die Freiheit der Kunst. Ohne Förderung ist sie gefesselt und mit der Förderbürokratie behindert. Die Chance auf Erlösung durch eine finanzielle Unterstützung winkt nach Hoffen und Bangen am Ende eines abschüssigen Weges über Berge von Vorschriften und Formularen. Doch es war mal einfacher. Vor der in den Hochschulrang erhobenen Kunstausbildung und der Gesuchsepidemie. Die Förderinstitutionen baten die Kulturschaffenden, aufschlussreich zu sagen, was sie planen, und ehrlich, was es kostet. Kurz und bündig. Bei Unklarheiten wurde nachgefragt. Die Förderung Suchenden und die Gewährenden redeten miteinander. Rasch und sorgfältig war die Spreu vom Weizen getrennt. 

Bürokratischer Hochwasserschutz

Jetzt waltet eine ausufernde Kleingeistkrämerei. Sie ist die verwirrte Antwort auf die Projektschwemme. Hürden erhöhen, Zugänge verengen, im Formalismus schwelgen. Bis hin zum Amtsschimmel, der wiehernd das Heften und Klammern der eingereichten Unterlagen verbietet. 

Das passt so ganz und gar nicht zur verdienstvollen Absicht der kulturfinanzierenden Instanzen. Sie leisten Unverzichtbares. Die Kulturschaffenden hängen davon ab. Sie rechtfertigen die Förderung mit kreativen Projekten in Sonderzahl. Eine ansteigende und von der Lebendigkeit der Kunstszene zeugende Flut, in der die Förderer ertrinken. Sie bauen aus Verzweiflung massive Dämme. Weil als Gefahr empfunden wird, was auch als Reichtum wahrgenommen werden könnte. 

Deshalb fiel den Ämtern und Stiftungen nichts Besseres ein als der bürokratische Hochwasserschutz. Dennoch steigt die Zahl der Gesuche ungebremst. Gleichzeitig bürden sich die Förderinstitutionen die Last immer voluminöser werdender Eingaben auf. Beide Seiten stöhnen.

Offenbar gelten die Finanzbeihilfen noch immer nicht als Investitionen in eine kreative Schweiz, sondern als Almosen, um die mit gebeugtem Rücken gebettelt werden muss. Aus den Türen spendender Pfarrhäuser sind die Schalter knorziger Kultur-Verwaltungsbehörden geworden. Eine Auswahl aus einer Endlosliste führt diese unheilige Entwicklung vor Augen. Auch den Wandel der Wortbedeutung «fördern» von «weiter nach vorn bringen» zu «einschnüren» und «entmutigen». Es läuft als Programm auf den Widerspruch hinaus, sich vor der Kultur zu retten, um ihr zu helfen. 

Berge von Bundesordnern

Filmschaffende, die beim Bundesamt für Kultur um einen Beitrag nachsuchen und im eigenen Interesse einigermassen beschlagen sein wollen, kommen nicht umhin, sich mit dem Filmgesetz vertraut zu machen, der Filmverordnung, der Filmförderungsverordnung und den fünf Filmförderungskonzepten. Auf die Lektüre warten an die 200 Artikel und 15 A4-Seiten mit Einzelbestimmungen.

Wer etwa einen Beitrag für die Ausarbeitung eines Drehbuchs erbittet, muss umfangreiche Unterlagen und zwei Formulare vorzugsweise digital einsenden, und zwar als zusammengeführte, lesbare PDF-Datei, die pro Seite maximal 3’000 Zeichen inklusive Leerzeichen umfassen darf. Das ergibt ein Konvolut von gegen 50 Seiten. Hinzu kommen bis zu sechs Referenzfilme, deren Beschriftung genau geregelt ist. Findet das Gesuch Gnade, wird nicht etwa ein sechsstelliger Betrag ausbezahlt, sondern eine Summe von höchstens 50’000 Franken. Geht es um mehr, beispielsweise um einen Zuschuss für eine Filmproduktion, gewinnt der nach Bern zu liefernde Aktenstoss erschlagend an Umfang. Er entspricht eher zwei Bundesordnern als bloss einem.

Nerviges Geduldspiel

Für Gesuche hat die Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia eine übersichtliche und nach Sparten strukturierte Digitalplattform eingerichtet. Ihre Benutzung ist Schritt für Schritt technisch einfach, jedoch ein nerviges Geduldspiel. Wer es richtig machen und die Gefahr vermeiden will, wegen unvollständiger Angaben oder Formfehlern abgewiesen zu werden, muss wiederum ein Fuder von Vorschriften lesen. Er besteht aus dem Kulturförderungsgesetz, den Allgemeinen Voraussetzungen, zehn spartenbezogenen Verordnungen, einem Merkblatt für die soziale Sicherheit der Kulturschaffenden sowie Richtlinien gegen Diskriminierung und Belästigung. 

So gerüstet gilt es, ein Dutzend teils langer Formulare auszufüllen. Bis zu einem Entscheid dauert es vier Wochen bis vier Monate. Vorher darf mit der Projektrealisierung nicht begonnen werden. 

Aufwändig und risikoreich

Die reputierte Ernst-Göhner-Stiftung ist stark engagiert in der Kultur, Umwelt, im Sozialen sowie in der Bildung und Wissenschaft. Die Gesuchdossiers müssen vier Monate vor Projektbeginn postalisch eingereicht werden mit nummerierten Seiten und ohne aufwändige Verpackungen wie Mäppchen und Bindungen. Zu beachten gibt es zwei Merkblätter und zehn bereichsbezogene Richtlinien.

Auszufüllen ist ein Formular mit zwei Dutzend Fragen, ergänzt mit Angaben zur Kontaktperson, zur Trägerschaft samt Statuten, Jahresrechnung und Bilanz sowie zu den beteiligten Personen, dem Projektbeschrieb, Budget und Finanzierungsplan, der Nennung anderweitig hängiger Gesuche – welche Liste laufend aktualisiert werden muss – und schliesslich für den guten Fall der Fälle ein QR-Einzahlungsschein in Papierform.

Weniger hochdotierte Stiftungen halten sich mit den einzureichenden Dokumenten eher zurück, vermeiden es indessen oft, Ziel und Zweck der Förderung brauchbar zu definieren. Für die Kulturschaffenden steckt in jedem Ansuchen das Risiko des Leerlaufs. Zeitaufwand für nichts. Er drückt umso schmerzhafter, als für jedes Projekt auf gut Glück zuhauf Instanzen anzufragen sind. Zehn, fünfzehn, bei hohen Projektkosten noch mehr.

Am Publikum vorbei

Förderung ist eine Lotterie mit einem aufgeblähten und zermürbenden Verwaltungsapparat. Er verlangt von den Kulturschaffenden einen Schwarm von Informationen, die nichts, aber rein gar nichts aussagen über die schöpferischen Energien eines Projekts. Sie gelten ohnehin als nachranging, weil andere Faktoren den Ideenreichtum, die Originalität, das blitzgescheit Gewagte zunehmend übersteuern. Hoch gewichtet werden die Diversität, der regionale Proporz, die ressourcenschonenden Arbeits- und Produktionsformen sowie die gesellschaftliche Relevanz. Was immer letztere schwammige Bedingung heisst: Sie ist ein offenes Scheunentor für die Förderung von Projekten, die kein einziges der anderen Kriterien erfüllen. Hauptsache ist die im Schwange stehende Tugendhaftigkeit.

Das schrammt an den Bedürfnissen des Publikums vorbei. Niemand kauft ein Buch, schaut sich einen Film an, besucht eine Kunstausstellung, eine Theateraufführung oder ein Konzert, bloss weil sich das Gebotene den Normen des woken Zeitgeistes fügt. Spannend muss es sein, erheiternd, provozierend, denkanregend oder widerspenstig und der State of the Art entsprechend. All diese Eigenschaften sind aus keinem Formular ersichtlich. Eine banale Feststellung. Sie ist den Förderverwaltungen fremd und lässt rhetorisch fragen, ob der junge Friedrich Dürrenmatt, die junge Sophie Taeuber-Arp, der junge Jean-Luc Godard nach heutigen Massstäben gefördert worden wären. 

«Rädibutz»

Wohl kaum. Die Angst grassiert, eine Pleite hinzulegen. Notorisch vergeblich. Massenhaft erlitten die hoffnungsvoll befürworteten Werke trotz bürokratischer Kontrollverbissenheit das Schicksal von Eintagsfliegen.

Für den Bürokratieabbau empfahl alt Bundesrat Hans-Rudolf Merz die Methode «Rädibutz». Damit ist gesagt, was gerade in einem rohstoffarmen Land zur freien Entfaltung auch der kulturellen Innovationen gesagt werden muss. 

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