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Gaza

«Das ist Mord. Ganz einfach.»

12. August 2025
Ignaz Staub
Ignaz Staub
Gaza, Begräbnis
Der getötete Al-Jazeera-Journalist Anas Al-Sharif wird am Sonntag in Gaza-City zu Grabe getragen. (Foto: Keystone/EPA/MOHAMMED SABER)

Ein israelischer Luftangriff hat in der Nacht auf Sonntag in Gaza fünf Journalisten des Fernsehsenders Al-Jazeera getötet – unter ihnen Korrespondent Anas al-Sharif, der Israel zufolge mit dem militärischen Flügel der Hamas liiert war. «Israel ermordet die Überbringer von Nachrichten», liess das «Committee to Protect Journalists» (CPJ) verlauten. Der NGO zufolge sind seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 mindestens 186 Medienschaffende im Gebiet getötet worden.

Für «Al Jazeera English» war der Fall nach dem israelischen Luftangriff auf ein als «Presse» gekennzeichnetes Zelt vor dem Al-Shifa-Spital in Gaza City klar. «Israel ermordet Journalisten», meldeten Banner auf den Bildschirmen des Fernsehsenders im Emirat Katar. 

Kritik von Katar bis Deutschland

Der Sender nannte den 28-jährigen Anas al-Sharif «einen der mutigsten Journalisten in Gaza» und nannte die Attacke Israels «einen verzweifelten Versuch, Stimmen vor der Besetzung ganz Gazas zum Schweigen zu bringen». Chefredaktor Mohammed Moawad sprach von «systematischem Auslöschen jener, die Zeugnis ablegen». Al-Jazeera hat die internationale Gemeinschaft ermahnt, Israel aufzufordern, «den andauernden Völkermord und das gezielte Töten von Journalisten zu stoppen».

Derweil postete Katars Ministerpräsident Scheich Mohammed bin-Abdu Rahman Al-Thani auf X: «Das gezielte Anvisieren von Medienschaffenden durch Israel im Gaza-Streifen zeigt, wie solche Verbrechen die Vorstellung übersteigen.» Das Uno-Büro für Menschenrechte verurteilte den tödlichen Luftangriff und bezeichnete das Vorgehen der israelischen Armee (IDF) als «gravierende Verletzung des internationalen humanitären Rechts». Auch Grossbritanniens Premier Keir Starmer zeigte sich «äusserst besorgt» über das wiederholte Töten von Medienschaffenden in Gaza. Und Deutschlands Auswärtiges Amt fordert von Israel in dieser Sache eine Erklärung. Die Tötung von Medienschaffenden, sagte ein Sprecher in Berlin, heisst es, sei im humanitären Völkerrecht «absolut unzulässig».

«Ein ganzes News-Team ausgelöscht»

Ausser Anas al-Sharif tötete die IDF am Sonntag vier weitere Mitarbeiter Al-Jazeeras in Gaza: den 33-jähige Korrespondenten Mohammed Qreiqeh, den 25-jährigen Kameramann Ibrahim Zaher, seinen 23-jähriger Kollege Moamen Aliwa und den 29-jährigen Assistenten Mohammed Noufal. Auch der freie palästinensische Journalist Mohammed al-Khaldi und ein weiterer Palästinenser wurden beim nächtlichen Luftangriff getötet – wohl gemäss einer publik gewordenen Doktrin der IDF, wonach bei Angriffen auf Mitglieder der Hamas eine gewisse Zahl von «Kollateralschäden» zu tolerieren ist. «Israel hat ein ganzes News-Team ausgelöscht», teilte derweil das CPJ mit: «Es hat nicht behauptet, dass die anderen Journalisten Terroristen waren. Das ist Mord. Ganz einfach.»

Anas al-Sharif, Vater zweier Kinder, ist nicht der erste Mitarbeiter Al-Jazeeras, den die israelische Armee getötet hat. Journalistinnen und Journalisten des Fernsehsenders sind wiederholt ins Visier der IDF geraten, unter ihnen Hossam Shabat, der im März getötet, sowie Ismail al-Ghoul und sein Kameramann Rami a-Rifi, die diesen Monat getötet wurden. 

Auch Angehörige von Medienschaffenden Al-Jazeeras hat die IDF getötet, so etwa die Frau, den Sohn, die Tochter und den Enkel von Chefkorrespondent Wael a-Dahdou, die im Oktober 2023 starben, während der Journalist selbst Wochen später bei einer israelischen Attacke verwundet wurde, die Kameramann Samer Abu Daqqa tötete. Nur eine Stunde vor dem Luftangriff hatte Al-Sharif noch auf X gepostet: «Wenn dieser Wahnsinn nicht endet, werden in Gaza nur noch Ruinen stehen, die Stimmen der Leute zum Schweigen gebracht, ihre Gesichter ausgelöscht sein – und die Geschichte wird sich an euch als stumme Augenzeugen eines Genozids erinnern, den ihr nicht habt aufhalten wollen.»  

«Führer einer Hamas-Zelle»

Zwar hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nur Stunden vor dem Luftangriff am Sonntag verlauten lassen, ausländische Medienschaffende würden künftig Zugang zum Gazas-Streifen erhalten. Doch nach wie vor wird das lediglich mit Erlaubnis und unter Aufsicht der IDF möglich sein. Freie Berichterstattung sieht anders aus.  

Die IDF hat Anas al-Sharif unter Hinweis auf Geheimdiensterkenntnisse und in Gaza gefundene Dokumente beschuldigt, Führer einer Hamas-Zelle zu sein, die «Raketenangriffe auf israelische Zivilisten und Truppen der IDF» förderte. Publik machte sie jedoch solche Anschuldigungen nicht. 

Die israelische Armee hatte bereits im vergangenen Oktober Dokumente vorgelegt, die einen «unwiderlegbaren Beweis» für die Verbindung des Al-Jazeera-Korrespondenten zur Hamas darstellen sollten. Noch fünf weitere palästinensische Journalisten wurden damals von Israel als angebliche Mitglieder der Hamas oder des Islamischen Dschihad identifiziert. Mehreren forensischen Recherchen internationaler Medien zum Trotz dementiert die IDF nach wie vor, Medienschaffende in Gaza gezielt zu töten. 

Die Wahrheit als Bedrohung

Anas al-Sharif selbst wies letztes Jahr den Vorwurf Israels, ein Terrorist zu sein, entschieden zurück. «Ich bestätige: Ich, Anas Al-Sharif, bin ein Journalist ohne politische Verbindungen. Meine einzige Mission ist es, vor Ort die Wahrheit zu berichten – wie sie ist, ohne Vorurteile», und er schrieb: «In einer Zeit, in der eine tödliche Hungersnot Gaza heimsucht, ist das Aussprechern der Wahrheit in den Augen der Besetzer eine Bedrohung.» 

Laut Angaben von Kollegen ist der getötete Al-Jazeera-Korrespondent während Monaten vom israelischen Militär auf seinem privaten Mobiltelefon belästigt worden, und die Drohungen nahmen zu, nachdem der arabischsprachige Sprecher der Armee ihn in Videos, welche die IDF im Juli veröffentlichte, namentlich genannt hatte. In einem Clip beschuldigte Avichay Adraee Anas al-Sharif, Verbindungen zum militärischen Flügel der Hamas zu unterhalten, während er gleichzeitig für Al Jazeera arbeite, den der Militärsprecher als «den kriminellsten und anstössigsten Sender» bezeichnete. In einem anderen Clip verspottet Adraee Sharifs Berichterstattung über die Hungersnot in Gaza und bezeichnete die Sendung vom 20. Juli, in der der Korrespondent weinte, als «inszeniertes Drama».

Nach wie vor kein freier Zugang

Derweil versucht Israels Auslandspresse seit Oktober 2023, die israelische Regierung auf dem Rechtsweg dazu zu bewegen, ausländischen Medienschaffenden den Zugang zu Gaza zu erlauben. Doch ihre Petitionen, die letzte Anfang August, sind bisher stets auf taube Ohren gestossen oder auf die lange Bank geschoben worden. 

«Unsere palästinensischen Kolleginnen und Kollegen (…), die aus dem Gaza-Streifen berichten, leisten unter ausserordentlich schwierigen Umständen heroische Arbeit», sagt Jeremy Diamond, der Bürochef von CNN in Jerusalem. Sie hätten jüngst mitunter nur überlebt, indem sie Salzwasser getrunken hätten, um ihnen etwas Energie zu geben, ihre Arbeit fortzusetzen. Viele unter ihnen, so Diamond, hätten im Küstenstreifen auch wiederholt umziehen müssen. 

Israels moralische Pflicht

Das Argument der israelischen Regierung, sie wolle ausländische Medienschaffende in erster Linie vor Gefahren schützen, hält der CNN-Korrespondent für nicht glaubwürdig. Israel würde auch Ärzte, Mitarbeitende von Hilfsorganisationen und gelegentlich ausländische Würdenträger ins Kriegsbiet lassen, nur Journalistinnen und Journalisten nicht: «Wir gehen weltweit in gefährliche Kriegszonen. Das ist unser Job als Journalisten und Kriegsberichterstatter. Wir können uns sehr wohl selbst gegen diese Risiken wappnen und sie einschätzen. Falls ausländische Medienschaffende vor Ort wären, würde das glaube ich mehr Aufmerksamkeit auf die Sicherheit der Journalistinnen und Journalisten in Gaza und auf Israels rechtliche und moralische Pflicht lenken, diese Medienschaffenden nicht ins Visier zu nehmen.»

Für den Fall seines Todes hatte Anas al-Sharif im April eine Botschaft an die Nachwelt verfasst, die Kolleginnen und Kollegen nach seinem Tod auf X veröffentlicht haben: «Dies ist mein Testament und wenn euch diese Worte erreichen, wisst ihr, dass es Israel gelungen ist, mich zu töten und eine Stimme zum Schweigen zu bringen. (…) Ich vertraue euch Palästina an – das Juwel in der Krone der islamischen Welt, den Herzschlag jeder freien Person auf dieser Welt. Ich vertraue euch seine Menschen an, mit seinen unschuldigen Kindern, die nie Zeit gefunden haben, zu träumen oder in Sicherheit und Frieden zu leben. Ihre reinen Körper wurden unter Tausenden Tonnen israelischer Bomben und Raketen zerquetscht, auseinandergerissen und über die Wände verstreut.» 

«Leid und Verlust erfahren»

Er habe, schreibt der getötete Journalist, durch Schmerz in allen seinen Einzelheiten gelebt, viele Male Leid und Verlust erfahren, aber nie auch nur einmal gezögert, die Wahrheit zu berichten, wie sie sich zeigt, ohne Verzerrung oder Verfälschung – so dass Allah Zeuge sein möge gegen jene, die geschwiegen, gegen jene, die unser Töten akzeptiert, gegen jene, die uns den Atem abgeschnürt haben und deren Herzen unberührt geblieben sind von den zerstreuten Überresten unserer Frauen und Kinder und die nichts unternommen haben, um das Massaker zu stoppen, dem unser Volk seit über anderthalb Jahren ausgesetzt ist.» 

Nachdem Anas al-Sharif die Adressaten seines Testaments gebeten hat, für seine Tochter Shams, seinen Sohn Salah und seine Frau Umm Salah zu sorgen, bittet er seine Mitmenschen, Gaza nicht zu vergessen: «Ich fordere euch auf, euch weder von Ketten zum Schweigen bringen noch von Grenzen einsperren zu lassen. Seid Brücken auf dem Weg zur Befreiung des Landes und seiner Leute, bis die Sonne der Würde über unserem gestohlenen Heimatland aufgeht.»

Israel startete seine Offensive in Gaza als Reaktion auf den von der Hamas angeführten Angriff auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023, bei dem rund 1’200 Menschen getötet und 251 weitere als Geiseln genommen wurden. Seither sind im Kriegsgebiet laut Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums 61’430 Menschen, in der Mehrheit Frauen und Kinder, infolge der israelischen Militäroperation getötet worden. Derweil sind während des 22-monatigen Konflikts in Gaza gegen 900 israelische Soldaten Opfer des Kriegs geworden. 

Quellen: CNN. The New York Times, The Washington Post, The Guardian, BBC, Zeteo, Tachles

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