Ein junger Mann weint um seine Freundin. Sie war im Kalininsky-Bezirk der ostukrainischen Stadt Donezk von einem russischen Granatsplitter getroffen worden. Nicht nur die Zahl der getöteten Zivilisten nimmt stark zu: auch jene der Soldaten. Jeden Tag sterben bis zu 200 meist junge ukrainische Wehrmänner. Das heisst: Jede Woche verliert die ukrainische Armee weit über 1000 Soldaten Das ist schwer zu verkraften.
- 10'000 getötete Ukrainer
- Bis 200 Tote pro Tag
- Strassenkämpfe in Sewerodonezk
- Den Russen gehen moderne Waffen aus
- Cholera in Mariupol?
- Russland Wirtschaft hält sich
- Kiew: Als ob nichts wär'
- Ukrainische Partisanen
- McDonald's auf Russisch
Tausende getötete Zivilpersonen
Mykhaylo Podolyak, ein enger Berater von Präsident Wolodimir Selenskyj, schreckte diese Woche sein Land mit der Mitteilung auf, dass die Zahl der getöteten Soldaten sich fast verdoppelt habe. Jeden Tag würden zwischen 100 und 200 ukrainische Soldaten sterben, sagte er der BBC. Die Russen würden über weitreichende Artillerie verfügen und ganze Gebiet wahllos bombardieren. Dem habe die Ukraine bisher wenig entgegenzusetzen und warte deshalb ungeduldig auf die versprochenen amerikanischen und britischen Waffensystem. Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow sprach von mindestens hundert getöteten ukrainischen Soldaten pro Tag.
Immer mehr gibt es auch Berichte über getötete Zivilisten. Laut dem Uno-Hochkommissariat für Menschenrechte OHCHR sind offiziell bisher 4’302 Zivilpersonen gestorben, unter ihnen mindestens 272 Kinder. 5’217 Zivilisten wurden verletzt. Das sind offizielle Zahlen. In Wirklichkeit starben nach Angaben von ukrainischen Beamten vermutlich doppelt oder dreimal so viele Zivilpersonen. So wurden zum Beispiel diese Woche in den Trümmern von Mariupol nach Angaben des Beraters des Bürgermeisters «Hunderte Leichen» unter den Trümmern entdeckt. Nicht gezählt in den offiziellen Zahlen sind auch die Toten im Theater von Mariupol (vermutlich über 300). Auch rund um Kiew, so in den Trümmern der Vorstädte Irpin und Browary, werden immer wieder Leichen entdeckt.
10'000 Tote
Seit Beginn des Krieges seien rund 10’000 ukrainische Soldaten getötet worden, sagte Präsidentenberater Oleksiy Arestovych am Freitagabend. Die russischen Verluste seien um ein Vielfaches höher. Nach Angaben der ukrainischen Regierung sind mehr als 30’000 russische Soldaten gefallen. Die Schätzung des britischen Geheimdienstes ist niedriger – mehr als 15’000.
Der gesamte Afghanistankrieg von 1979 bis 1989 kostete das sowjetische Militär etwa 15’000 Menschenleben.
Heftige Strassenkämpfe
In der ostukrainischen Stadt Sewerodonezk finden noch immer heftige Strassenkämpfe statt. Wie das britische Verteidigungsministerium meldet, ist es den Russen nicht gelungen, in den Süden der Stadt vorzustossen. Beide Seiten würden schwere Verluste erleiden.
Den Russen gehen die modernen Waffen aus
Russland muss bei Bodenangriffen auf die Ukraine auf schwere Anti-Schiffs-Raketen zurückgreifen, die sehr ungenau sind und erhebliche Opfer und Kollateralschäden verursachen können. Dies berichtet das britische Verteidigungsministerium.
«Die Russen haben ihre moderneren ballistischen Marschflugkörper und ihre High-Tech-Präzisionswaffen aufgebraucht, so dass sie tief in ihren Arsenalen nachsehen müssen, was sie noch haben», schreibt die BBC.
Cholera in Mariupol?
«Cholera, Ruhr und andere Infektionskrankheiten sind bereits in der Stadt», sagte Wadym Bojtschenko, der frühere ukrainische Bürgermeister von Mariupol. Die Stadt sei abgeriegelt worden, um einen grösseren Ausbruch zu verhindern.
Die südliche Hafenstadt Mariupol wurde während des Kriegs fast völlig zerstört. Das Wasser mischt sich mit Abwässern. Cholera wird in der Regel durch schmutziges Wasser oder durch den Verzehr von verunreinigten Lebensmitteln übertragen. Noch immer herumliegende Leichen und Abfälle tragen zu den unhygienischen Bedingungen bei. Bereits in den letzten Wochen wurden erste Fälle von Cholera gemeldet. Jetzt drohe ein grösserer Ausbruch, sagt Bojtschenko, der im April von den Russen als Bürgermeister abgesetzt wurde. Russland hatte die Stadt Ende Mai endgültig erobert. Mitarbeiter des neuen, pro-russischen Bürgermeisters erklärten, bisher seien keine Fälle von Cholera aufgetreten.
Die russische Wirtschaft: «Geschädigt aber funktionstüchig»
Die scharfen Sanktionen, die der Westen gegen Russland verhängt hat, werden «tiefgreifend und weitreichend» sein, schreibt die New York Times in einer Analyse am Samstag. Die Folgen würden sich erste gerade bemerkbar machen. Der Lebensstandard in Russland sinke bereits. Die Situation werde sich nach Angaben von Ökonomen «wahrscheinlich noch verschlimmern, wenn die Importvorräte zur Neige gehen und mehr Unternehmen Entlassungen ankündigen».
Aber: Der wirtschaftliche Rückgang sei «nicht so drastisch, wie einige Experten nach der Invasion vom 24. Februar erwartet hatten». Die Inflation sei immer noch hoch, sie liege auf Jahresbasis bei etwa 17 Prozent, aber sie sei seit dem 20-Jahres-Höchststand im April zurückgegangen. Ein viel beachtetes Mass für die Industrietätigkeit, der S&P Global Purchasing Managers’ Index, zeige, dass das russische verarbeitende Gewerbe im Mai zum ersten Mal seit Beginn des Krieges expandierte.
Hinter den positiven Nachrichten stehe laut New York Times eine Kombination von Faktoren, die Putin zugute kommen. Dazu gehörten vor allem die hohen Energiepreise, die es dem Kreml ermöglichen, den Krieg weiter zu finanzieren und gleichzeitig die Renten und Löhne zu erhöhen, um die einfachen Russen zu beruhigen.
Die ukrainische Wirtschaft sei «zwar geschädigt, funktioniert aber noch. Die Banken sind ausreichend kapitalisiert, die Einlagen werden vom Staat geschützt und die Geldautomaten werden wieder aufgefüllt», so Olena Korobkowa, Vorstandsvorsitzende der Unabhängigen Vereinigung der Banken der Ukraine.
Als ob nichts wäre
Die ukrainische Hauptstadt versucht sich den Anschein von Normalistät zu geben. Viele fürchten jedoch, dass Kiew bald wieder von russischen Raketen beschossen wird.
Partisanen
Selbst wenn die Russen den Krieg gewännen, würden sie keine Ruhe haben, denn dann würde die Ukraine einen Guerilla-Krieg gegen die russischen Besatzer starten. Dies erklärten westliche Geheimdienstkreise seit Beginn des Krieges. Schon länger gibt es Anzeichen, dass sich anti-russische Partisanen-Gruppen formieren. In der von Russland besetzten südukrainischen Stadt Cherson war im Mai ein Anschlag auf ein Auto eines pro-russischen Beamten durchgeführt worden. Späher, die für die ukrainische Armee arbeiten, haben jetzt nach Angaben eines hochrangigen ukrainischen Militärs in dieser Woche Angriffe auf zwei russische Stützpunkte in der besetzten Region Cherson geführt.
Wallace besucht Selenskyj
Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace stattete der ukrainischen Hauptstadt am Freitag einen unangekündigten Besuch ab und traf mit Präsident Wolodimir Selenskyj zusammen. Berater von Wallace sagten später, Grossbritannien werde der Ukraine weiterhin «operativ wirksame Hilfe leisten».
McDonald’s ist zurück
Die Fastfood-Kette McDonald’s hatte sich aus Protest gegen die russische Invasion aus Russland zurückgezogen. Anschliessend kaufte ein sibirischer Ölmogul die 840 russischen Filialen von McDonald’s – und eröffnete sie jetzt wieder, allerdings ohne das McDonald’s-Logo mit den goldenen Bögen.
(Wird laufend aktualisiert)
Journal 21