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Film

Baggerpoesie gegen Seelenschmerz

2. Mai 2025
Michael Lang
Bagger Drama

«Bagger Drama» ist das fein ziselierte Spielfilmdebüt des international preisgekrönten Schweizer Filmschaffenden Piet Baumgartner. Er erzählt in ländlicher Umgebung von einer nach einem Schicksalsschlag traumatisierten Unternehmerfamilie.

Aus dem Off sind Stimmen zu hören. Dann zeigt eine Bildtotale einen blauen Himmel mit Schleierwolken. Rechts unten taucht eine Baggerschaufel auf, dann eine zweite – sie bewegen sich wie tanzend über die Leinwand. Bald kommt ein Flusslauf ins Bild, am Ufer ein Betonblock mit zwei eingelassenen Eisenstangen, zu sehen sind die Protagonisten von «Bagger Drama»: das Elternpaar Conny und Paul, ihr Sohn Daniel und der Sennenhund Tiger. Sie sind gekommen, um bei der Stelle ein Bäumchen zu pflanzen, wo vor Jahresfrist die Tochter und Schwester Nadine beim Paddeln ums Leben kam.

Verwundete Seelen 

Die Tragödie hat Seelenwunden hinterlassen, die weiterschwelen. Obwohl jedes Familienmitglied individuell versucht, damit umzugehen Doch von einer gemeinsamen Aufarbeitung des Traumas ist man weit entfernt. 

In «Bagger Drama» fokussiert der Autorenfilmer Piet Baumgartner (*1984) auf die erwähnte Mikro-Gemeinschaft: Sie spürt, dass es höchste Zeit wird für ein neu definiertes Miteinander, das über den aktuellen eskapistischen «Weiter so»-Rhythmus hinausweist.

Im Geschäftsbereich ist die Inhaberfamilie einer Bagger-Firma zwar gut und innovativ unterwegs. Auch weil alle aktiv mitwirken, beisammen wohnen, so wie das Nadine auch getan hatte. Doch jetzt bahnen sich dramatische Veränderungen an, ausgelöst von Daniel, der um die jüngere Schwester trauert und – seinem Alter gemäss – aus der Familie ausbricht. Der Sohn hat das Bedürfnis, sich von den Eltern zu emanzipieren und einen Lebensplan nach seinem Gusto zu kreieren. Dazu gehört, dass er nicht gewillt ist, den Baggerbetrieb in naher Zukunft zu übernehmen. Vielmehr ist er fest entschlossen, ein Management-Studium in den USA zu absolvieren. Dies nicht zuletzt, um der Enge des Dörflichen zu entgehen und in einem offeneren Umfeld Neues zu erkunden. Und im ganz Persönlichen seine Homosexualität auszuleben. 

Vier Jahreszyklen

Das Thema wird virulent, weil in der Baggerfirma ein begabter deutscher Mitarbeiter (beeindruckend gespielt von Maximilian Reichert) auftaucht, von dem man sich beruflich einiges verspricht. Zwischen ihm und Daniel kommt es zu einem Techtelmechtel, das dem Vater Paul nicht verborgen bleibt. Daniel sucht das Gespräch und outet sich. Paul ist nicht wirklich überrascht, äussert aber Bedenken. Er ist der Meinung, dass sich ein offen deklariertes Bekenntnis zum Schwulsein in der konservativen Gegend aufs Geschäftliche nachteilig auswirken könnte. Mutter Conny zeigt Verständnis, ist aber betrübt, weil sie gerne Enkelkinder hätte. 

In vier Jahreskapiteln durchleuchtet Autor und Regisseur Baumgartner autofiktiv, wie sich die Hinterbliebenen neu aufzustellen versuchen. Er schreibt dazu: «Eine Familie scheint unzerstörbar, ausser sie tut es selbst. Ich bin erstaunt und fasziniert zugleich, wie wenig man innerhalb einer Familie auszusprechen vermag, was einem am meisten beschäftigt. Dort, wo ich herkomme, werden Probleme nicht besprochen, man macht solche Dinge mit sich selbst aus. Mein Weg raus aus diesem Familien-Vakuum ist das Erzählen. Interessanterweise wird die Geschichte weder besser noch schlechter, aber das Erzählen schafft eine Distanz. So kann ich als Beteiligter selbst auf die Geschichte schauen. Dann kann die Verarbeitung beginnen. Dies ist meine bisher persönlichste Arbeit.»

Multibegabter Autorenfilmer

Piet Baumgartner machte eine Ausbildung als Maschinenzeichner, war als Videojournalist für einen TV-Sender tätig, studierte Filmregie an der Zürcher Hochschule der Künste ZHdK, wo er mit einem MA abschloss. Im Anschluss absolvierte er eine Weiterbildung beim renommierten polnischen Filmkünstler Andrzej Wajda in Warschau. 

Zurück in der Schweiz war er im Theaterbereich tätig, so am Schauspielhaus Zürich als Assistent der Regisseure Frank Castorf und René Pollesch sowie am Theater Neumarkt. Der Visual Artist, Drehbuchautor und Regisseur im Film- und Theaterbereich arbeitet gerne kollaborativ. Wie mit dem vielseitigen Musiker und Künstler Rio Wolta (*1988), für den er das schmucke Musikvideo-Bijou «Through My Street» (2015) drehte, einen Pas de deux für rote Bagger in einer Kiesgrube, melancholisch-unprätentiös choreografiert. Das Fünfminuten-Opus war eine Inspirationsquelle für «Bagger Drama», notabene mit Musik von Rio Wolta. 

Das menschlich Universelle 

2023 stellte Piet Baumgartner den Dokumentarfilm «The Driven Ones» vor, eine vielbeachtete Langzeitbeobachtung von und mit beruflich ambitionierten «Strategy and International Management»-Studierenden der Universität St. Gallen (HSG).

Sein Spielfilmdebüt «Bagger Drama» drehte Baumgartner an diversen Schauplätzen im ländlichen Teil Kantons Bern. Erzählt wird aber keine mit Heimatfilm-Klischees befrachtete Story über die helvetisch-provinzielle Schweiz. Baumgartner hat andere Ambitionen: Er schürft nach dem Universellen im Verhalten seiner von Unbill gebeutelten Charaktere – im bestechenden inszenatorischen Schulterschluss mit einem vortrefflichen Schauspiel-Ensemble.

Bagger Drama

Das Resultat ist beeindruckend und wurde bereits bei der Uraufführung des Werks am renommierten Filmfestival im spanischen San Sebastian 2024 honoriert: Piet Baumgartner gewann den «New Directors Award». Und wenige Monate später am deutschen Filmfestival Max Ophüls Preis weitere Auszeichnungen für die «Beste Regie» und das «Beste Drehbuch». Derartige Erfolge sind für ein Debütwerk schweizerischer Provenienz alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

Der Film «Bagger Drama» spürt gescheit, nie depressiv und ab und an von verblüffender Lockerheit umspielt dem nach, was ein Schicksalsschlag mit einer Mini-Gemeinschaft macht. Der Titel «Bagger Drama» erinnert ja eher an Abbruch- und Aushubarbeiten, quasi mit dem «Zweihänder», per Abrissbirne oder schwerer Zackenschaufel. Doch Piet Baumgartner zeigt schon früh im Film in assoziativen Parallelhandlungen andere Bilder vom Einsatz robuster Maschinenkraft: Mit der feinen Klinge, quasi dem Florett, zum Beispiel wenn Bagger-Piloten und -Pilotinnen mit mehreren Maschinen an Festivitäten ballettartige Shownummern zelebrieren. Oder fast schon uhrmacherartig filigran mit einer Baggerschaufel eine Bügelverschluss-Flasche öffnen, ohne dass sie umkippt. So geht Feinmotorik vom Allerfeinsten! 

Beziehungsschach für drei: Bettina Stucky …

Piet Baumgartner hat ein stupendes Flair für das Theater, wo im Gegensatz zum teureren, terminlich gedrängteren Filmbetrieb meistens mehr Raum für kreative Debatten zwischen Regie und Interpreten da ist. Gut also, dass Baumgartner mit Bettina Stucky, Phil Hayes und Vincent Furrer ein hochkarätiges, bühnenerfahrenes Kernteam zusammenstellen konnte.

Piet Baumgartner erzählt seinen Plot linear, aber so, dass das Ganze wie ein raffiniertes Beziehungsschach für drei anmutet. Dazu gehört die faszinierende Wahrnehmung, dass sich die Charaktere in konzis akzentuierten Szenen, wie bei Schachfiguren üblich, stets wieder ähnlich bewegen.

Bagger Drama

Mama Conny ist die «Dame», die einen emotional breiten Spielraum abdeckt. Verkörpert wird sie von Bettina Stucky, 1969 in Bern geboren. Sie gehört aktuell dem Ensemble des Deutschen Schauspielhaus Hamburg an und hat an anderen illustren Häusern wie dem Zürcher Schauspielhaus, der Berliner Schaubühne oder dem Wiener Burgtheater gespielt. Im «Bagger Drama» brilliert sie mit ihrer facettenreichen Gestaltungsenergie als weibliches Familienoberhaupt Conny. Diese zeigt sich als umsichtige, scharfsinnige und entscheidungswillige Beobachterin der heiklen Lage. Als sie notfallmässig im Spital landet, ergibt die ärztliche Diagnose, dass Conny intensive psychologische Hilfe und Ruhezeit benötigt; nun stehen auch der Ehemann und der Sohn in der Pflicht. Aber es ist Conny, die später privat wie beruflich radikale Entscheidungen trifft. 

… Phil Hayes und Vincent Furrer

Paul als Vater ist wie ein Turm. Strategisch geschickt, ein wichtiges Familienmitglied. Unter Druck aber wirkt er statisch, immobil, zu Übersprungaktionen neigend. Paul, der in die Bagger-Firma eingeheiratet hat, sucht in schwierigen Situationen sein Heil in neuen Kontakten und Abhängigkeiten, wendet sich einer anderen Frau zu. Seine Rolle füllt der Engländer Phil Hayes (*1966) aus, ein Performer, Theaterregisseur, künstlerischer Berater und Musiker.

Bagger Drama

Und Sohn Daniel? Er gibt mit Verve den Springer, wachsam, beweglich, gut für unerwartete Finten. Intelligent, forsch, fadengerade bringt er einiges In Bewegung. Er bietet dem auseinanderdriftenden Elternpaar Kontra, besteht auf seinen Ansprüchen. Aber er zeigt sich lernfähig, wenn es um Perspektivisches im Gemeinsamen geht. Piet Baumgartner hat den Hannoveraner Vincent Furrer (*1994) für die Rolle gewonnen. Er ist am Theater Ulm engagiert und war im Schweizer Spielfilm «Stationspiraten» von Mike Schaerer zu sehen. 

Zeichen und Chiffren

Die Ausdrucksqualität dieser Besetzungen wird vor allem ersichtlich, als die Luft zum Atmen im schwer geprüften familiären Dreierhaus immer dünner, die Stimmung aufgeladen und gereizter wird. Was sich am Verhalten von Sennenhund Tiger ablesen lässt. Er gehörte Nadine und ist nun eine frauenlose Kreatur, die auf jede Gewohnheitsänderung der Personen um ihn herum wie ein Seismograf winselnd und bellend reagiert.  

Piet Baumgartner präsentiert im Film ab und an derartige Parallelhandlungen mit Zeichen und Signalen, die plausibel wirken und die verdichtete Handlung zusätzlich akzentuieren. Etwa dort, wo Vater Paul verspätet zum Jahrestreffen mit Conny und Daniel an Nadines Unfallort mit einem neuen Auto vorfährt. Und vor allem anderen seine auf Knopfdruck startende Einpark-Funktion vorführen möchte. Das kommt nicht gut an – und auf dem Display im Wagen erscheint gut lesbar der Satz: «Umfeld beachten und bremsbereit sein». Hingewiesen sei in diesem Kontext noch auf ein paar gefühlsstarke Szenen, zu denen wie nebenbei einige Musiktakte des Balladen-Welthits «Heaven» der Schweizer Rockband Gotthard erklingen oder originell zitiert werden.

Symbiose von Handlung und Kamera

Dass «Bagger Drama» als Gesamtkunstwerk stimmig wirkt, ist neben der Regie und dem Spielensemble natürlich auch der feinfühligen Kamera-Arbeit von Pascal Reinmann (*1989) geschuldet, der schon bei Baumgartners Dokumentarfilm «The Driven Ones» mitgearbeitet hat. In «Bagger Drama» sind nicht Kamera-Effekte erste Pflicht, sondern die durchgängige Kreativsymbiose zwischen Interpreten und Bildgestaltung, mit aussagekräftigen ruhigen Tableaus. So entsteht die gefühlsstarke Ambiance, die den Film durchzieht. Mit dem Ergebnis, dass das Publikum näher an die Charaktere herangeführt wird, um mehr von dem zu spüren, was diese umtreibt. 

Auch in sehr emotionalen Szenen im Schlussakt sind keine Anzeichen von Effekthascherei zu sehen. Im Gegenteil: Baumgartner schaltet einen Gang zurück, als wolle er das Publikum zu gedanklichen Akzentsetzungen einladen. Das schafft nur einer, der nicht allein das Kunstvolle und schon gar nicht das Gekünstelte zum Mass seiner Story erhebt.

Bagger Drama

«Bagger Drama» ist ein stimmungsvoller, berührender Film. Unprätentiös inszeniert, sensitiv gestaltet, sehr nahe aber nie aufdrängend bei den Figuren, denen man empathisch zuneigt. Als sich die drei noch einmal am Flussufer treffen, ist Nadines Bäumchen ein junger, verwurzelter Baum geworden. Ihre Geschichte könnte weitergeschrieben werden, weil Piet Baumgartner um ein anspruchsvolles Kino-Publikum wirbt, das sich vom vielschichtigen Narrativ verführen, animieren lässt, über das Filmende hinaus etwas mitzunehmen. Als wäre es ein Stück von einem selbst.

Spielorte und -zeiten

 

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