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Ausserirdische sind auch bloss Menschen

29. November 2025
Eduard Kaeser
Objekt aus instellaren Tiefen

2017 tauchte ein erratisches, zigarrenförmiges Objekt aus interstellaren Tiefen auf, durchquerte unser Sonnensystem und verliess es wieder. Weshalb man dem Himmelskörper schon bald die Hawaiianische Bezeichnung «Oumuamua» gab, was so viel bedeutet wie «erster Bote». 

Die Astrophysiker hielten ihn zunächst für einen Kometen, später für einen Asteroiden. Aber Omuamua weist eine Reihe anormaler Eigenschaften auf, die ihn zum kosmischen «Ausreisser» machen. Solche Anomalien rufen erwartungsgemäss Alienjäger auf den Plan. Aber nicht davon soll hier die Rede sein, sondern von einem anderen Phänomen, das zeigt, wie menschlich, allzumenschlich eigentlich solche Objekte sind.

Wenn die «natürlichen» – sprich naturwissenschaftlichen – Erklärungsmittel nicht befriedigen, greift man gern zu «künstlichen». Man mobilisiert das Narrativ der Ausserirdischen, der fremden extragalaktischen Intelligenzen und Technologien, die uns Menschen haushoch überlegen sind. 

Sind Aliens Sozialisten?

Für Erklärungen von Ausserirdischen gilt ein einfacher Merksatz: Sag mir, was die Ausserirdischen sind, und ich sage dir, wer du bist und wie du tickst. Wir projizieren unsere eigenen Ideologien, Utopien und Dystopien auf das Andere, Fremde. Der Kalte Krieg und die atomare Bedrohung verstärkten die dystopische Imagination, fremde Zivilisationen seien infolge ähnlicher Katastrophen untergegangen – eine einfache Erklärung für unsere kosmische Einsamkeit. Dagegen war Juan Posadas, ein argentinischer Trotzkist und Ufologe – Begründer des «Posadismus» –, überzeugt, dass Aliens Sozialisten seien und uns den intergalaktischen Kommunismus brächten. Der vatikanische Astronom José Gabriel Funes gab sich 2008 auf andere Weise zuversichtlich: Ausserirdische stünden Gott durchaus nahe, obwohl sie Jesus nicht hätten empfangen können. 

Die Hypothese der fremden Technologie

Nicht anders verhält es sich mit Wissenschaftlern. Es ist eine Illusion zu meinen, sie seien unbefangen und objektiv. Auch sie lassen sich von meist impliziten Voreingenommenheiten leiten. Mathematiker neigen dazu, in den Ausserirdischen geniale Zahlenzauberer zu sehen. Im Film «Contact» (1997) etwa senden die ausserirdischen Besucher zunächst Primzahlen, was nahelegt, dass sie die höchste Form irdischer Intelligenz in der Mathematik sehen (ein grosses Vorurteil auch unter Menschen). 

Physiker und Ingenieure tendieren ihrerseits dazu, die überragende Intelligenz der Aliens eher in deren technischen Artefakten auszumachen. Genau das tat zum Beispiel Avi Loeb, ein an der Harvard University lehrender Astrophysiker. Er stellte 2018 die Hypothese auf, dass es sich bei Oumuamua möglicher­weise um ein Objekt mit einer Art von ingeniösem Sonnensegel handelt. Um ein Artefakt aus einer fremden Technologie also.

Damit war eine spekulative Kaskade losgetreten, nicht nur unter Ufologen und sonstigen Grenzwissenschaftern, sondern auch unter «disziplinierten» Wissenschaftlern. Loeb schrieb ein Buch: «Ausserirdisch: Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten» (2021). Und es erinnert stark an die Haltung von Verschwörungstheoretikern. 

Ausserirdische als letzter Erklärungsansatz

Loeb ist kein Verschwörungstheoretiker. Aber er exemplifiziert ein typisches Problem in der Wissenschaft. Seine unkonventionellen Ideen bringen ihn fast zwangsläufig in eine Aussenseiterposition. Loeb diagnostiziert denn auch beim astrophysikalischen Mainstream «fehlenden Commonsense» und Kritiker bezeichnet er als «mediokre Forscher». Damit punktet er natürlich bei Gleichgesinnten ausserhalb der Disziplin. Und er stilisiert eine wissenschaftsinterne Hypothesenkontroverse zu einem grösseren Drama hoch: nonkonformer Wissenschaftler wird vom Establishment nicht wahrgenommen. 2021 nahm er an «Contact in the Desert» teil, einer der grössten Konferenzen von Grenz- und Parawissenschaftlern – übrigens neben dem unverwüstlichen Rhapsoden der ausserirdischen Raumfahrt Erich von Däniken.

In der Astrophysik gilt grob gesagt folgende Leitlinie: Ausserirdische Intelligenz ist möglich, aber jede beobachtete Anomalie wird zunächst mit natürlichen astrophysikalischen Prozessen erklärt. Ausserirdische Technologie wird erst in Erwägung gezogen, wenn natürliche Erklärungen ausgeschlossen sind. Das entspricht der methodologischen Maxime: Ausserirdische Technologie ist ein letzter Erklärungsansatz, nicht der erste. Loeb kehrt diese Maxime um. 

Das kausale und das intentionale Brillenglas

Das akzentuiert nun freilich ein allgemeineres Problem, über Astrophysik und Aliens hinaus. Wir alle tragen sozusagen eine kognitive Brille mit zwei völlig verschiedenen Gläsern. Durch das eine Glas sehen wir in allem Geschehen die Folgen von Absichten, durch das andere die Wirkungen von Ursachen. Man könnte vom intentionalen und  kausalen Brillenglas sprechen. Beide bilden sie untrennbar unsere kognitive Brille. Und bei jedem Brillenträger unterscheiden sich die Sehstärken der Gläser auf individuelle Weise – sind sie auch individuell getrübt. Im Extremfall ist ein Glas blind. Und dann sehen wir nur noch monokular.

Auf vielen Gebieten haben wir die Sehstärke des kausalen Brillenglases verbessert. Wissenschaftlicher Fortschritt nennt sich das. Er hat in Physik, Chemie und Biologie alte intentionale Erklärungsmuster verdrängt. An die Stelle zorniger Wettergötter treten Gesetze der Atmosphärenphysik; an die Stelle alchimistischer Mächte chemische Reaktionen; an die Stelle eines göttlichen Designs zufallsbedingte Mutation und Selektion. Aber noch in der Medizin stösst diese Naturalisierung auf Widerstand. Es gibt Leute, welche die Beschwörung von Naturgeistern Medikamenten vorziehen, einen Talisman gegen Krankheiten tragen oder sich mit Beten vor Viren schützen. Wer hier bloss Irrationalismus diagnostiziert, verkennt eine heimliche Dialektik des Fortschritts. Je mehr wir über die Welt wissen, desto schwieriger ist das kausale Muster anzuwenden. Wir greifen dann vermehrt zum intentionalen Monokel.  Das Motto dieser «monokulistischen» Komplexitätsreduktion mittels Einäugigkeit: Erkläre nicht durch Ursache und Wirkung, was du genau so gut durch Absichten und Motive erklären kannst. 

Unser Sinnbedürfnis

Und hier stossen wir auf ein zutiefst menschliches Motiv in der Erklärung von Ausserirdischen: das Bedürfnis nach Sinn. Was uns die Astrophysik auch an objektiver Erkenntins noch beschert, genügt uns letztlich nicht. Unser Blick auf das Universum ist ein menschlicher Blick, der Blick eines intelligenten Wesens, das «verstehen» will, nicht bloss erklären. Die meisten von uns fühlen sich befremdet, ja, abgestossen von der Sicht, die uns der Molekularbiologe Jacques Monod in seinem viel gelesenen «Zufall und Notwendigkeit» (1970) so beschrieb: Wenn man die objektive Botschaft der Biologie «in ihrer vollen Bedeutung aufnimmt, dann muss der Mensch (…) seine totale Verlassenheit, seine radikale Fremdheit erkennen. Er weiss, dass er seinen Platz wie ein Zigeuner am Rande des Universums hat, das für seine Musik taub ist und gleichgültig gegen seine Hoffnungen, Leiden oder Verbrechen».

Erkenntnistheoretische Bescheidenheit 

Ausserirdische sind auch bloss Menschen – in dem Sinne, dass wir gar nicht anders können als anthropomorphisieren. Das ist kein Freibrief für entfesseltes Spekulieren, vielmehr ein Appell zur erkenntnistheoretischen Bescheidenheit. «Meiner Ansicht nach ist das Universum nicht nur sonderbarer als wir denken, sondern sonderbarer als wir denken können», schrieb ein anderer Biologe, der Brite J. B. S. Haldane. Freunden wir uns also mit dem Gedanken an, dass die Welt – auch die irdische – nicht nur voller kognitiver Exoten ist, sondern, dass die Intelligenzleistungen dieser Exoten womöglich den Horizont des menschlich Denkmöglichen übersteigen. Das ist ebenfalls eine wissenschaftliche Einstellung. Die reifste.

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