Er habe den Teufel bezwungen und Gebirgspässe, der heilige Theodul. Er ist nicht nur Landespatron des Wallis, auch die Walser verehren ihn als Hausheiligen. Im Engelbergertal führt uns ein Bild zur Legende dieses Heiligen mit den vielen Namen.
Die Welt sei voller Phänomene, lehrte uns der Kunstgeschichts-Lehrer. Vielleicht eine Plattitüde, damals aber einprägsam. Sie zu entdecken setze einerseits Wissen voraus, meinte er. Wir sähen eben nur, was wir wüssten. Das war ihm wichtig. Der Satz gehe auf Goethe zurück, betonte er. Nicht das Sichtbare wolle er als Lehrer darum wiedergeben, sondern für uns Phänomene ersichtlich und sichtbar machen.
Eines könne er aber nicht herbeizaubern: Entdecken setze Neugier voraus, diese wunderbare, unausrottbare Eigenschaft eines Menschen! Jede Kultur lebe, so unserer Lehrer, von Neugier. Wo sie erlösche, wachse Langeweile. Neugier sei der leidenschaftliche Wunsch, etwas zu wissen oder auch zu tun, was man gar nicht brauche. Was im Moment auch nichts nütze. Was man aber kennen und wissen möchte, einfach weil es existiert.
Einer der höchstgelegenen Alpenpässe
Kinder mit ihrem Wissensdrang leben uns diese Neugier vor. In ihrer Art. Als Lehrer erlebte ich es immer wieder – und freute mich darüber. Noch heute erinnere ich mich an eine solche Frage. Im Primarschul-Geografieunterricht besprachen wir Passübergänge – aktuelle und fast vergessene wie den Septimer. Auf der Karte eingetragen haben wir auch den hochgelegenen Theodulpass. Er führt von Zermatt ins italienische Aostatal. Warum er denn so heisse, wollte eine Schülerin wissen. Ich kramte in meinen Wissensbeständen und versuchte zu erklären. Damals gab es noch keinen Mister Google und kein ChatGPT, es gab Lexika und das eigene Gedächtnis.
Beim Recherchieren stiess ich auf die Geschichte des Heiligen Theodul und wie ein glockentragender Teufel ihn von Rom her über das Matterjoch, den künftigen Theodulpass, von Rom her ins Wallis getragen habe. So richtig vorstellen konnte ich mir die Legende erst viel später.
Im Innern vielleicht «der schönste Teufel»
Eine Wanderung im Nidwaldischen, dem Land «zwische See und heeche Bäärge» und den vielen Seilbahnen, führte mich nach Oberrickenbach. Von dort ging’s hinauf zum Bannalp-Stausee und dann hinunter zur spätmittelalterlichen Kapelle St. Joder. Welch grandioser Ausblick ins Engelbergertal! Das kunsthistorische Kleinod thront einsam in majestätischer Landschaft – auf knapp 900 Metern hoch über dem Talgrund von Grafenort.
In der Kapelle entdeckte ich einen neunteiligen Bilderzyklus, gemalt um 1620 auf hölzernen Tafeln. Heureka! Jetzt sah ich die Legende bildlich vor mir: Theodul, der Bischof von Sitten – alemannisch San[k]t Joder, im Rätoromanischen Sogn Gioder – steht in einer umgestülpten Kirchenglocke. Klein mutet er an, verglichen mit dem Monsterwesen. Es hat Krallenfüsse und Flügel, dazu eine Art Schakalkörper und Hörner. Dargestellt ist der Teufel als Spediteur des Heiligen. Widerwillig schleppt er den Bischof in der Glocke auf dem Rücken durchs Gelände heimwärts. Vielleicht «der schönste Teufel» weit und breit, so vermutete der Literat und Germanist Peter von Matt.
Die Legende sichtbar machen
Das Bild greift eine Legende von Theodor oder Theodul auf. Verstorben ist er um 400. In Rom rettete er den Papst vor einer Versuchung. Zum Dank schenkte ihm der Heilige Vater eine Glocke. Theodul zwang darauf den Höllenfürsten, das schwere Ding über die Alpen heim ins Wallis zu schaffen. Er überwand so das Böse und gleichzeitig auch den Passübergang Matterjoch, der später nach ihm benannt wurde.
Dieser sympathische Heilige ist nicht nur Beschützer der Winzer – darum oft die Traube in seiner Hand –, sondern auch der Passübergänge. Man trifft ihn weitverbreitet in den Walsergebieten, eben: Theodulpass. Auf diesem waghalsigen Weg emigrierten im 13. und 14. Jahrhundert viele Walser aus dem Mattertal ins südliche Aostatal, walserdeutsch «Augschtalann». Ihm geweiht ist auch die grösste Glocke an der Pfarrkirche der Walsergemeinde Obersaxen. Seinen Namen tragen viele andere Kirchen und Kapellen.
Beten beim Schutzheiligen
Der heilige Theodul wird als Schutzheiliger auch in der Innerschweiz verehrt – und früh schon in Engelberg. Die Kapelle St. Joder mit dem mächtigen Turm stammt aus dem Jahr 1482. Die Neugier, diese animierende menschliche Eigenschaft, hat mich hierhergeführt – zum vielleicht «schönsten Teufel».
Wie viel sie wohl erlebt hat in all diesen Jahren, diese schmucke kleine Kirche – und wie viele Leute da hinauf gepilgert sind? Nicht aus Neugier und wegen des Teufels, sondern des Gebetes und der Fürbitten wegen bei Sankt Joder, dem Schutzheiligen auch gegen Unwetter.