Die Ermordung des konservativen Polit-Aktivisten Charlie Kirk beweist erneut, wie gespalten die amerikanische Gesellschaft ist. Dabei hilft wenig, wenn die Rechte, einst eine standhafte Verteidigerin der Redefreiheit, diese heute für Liberale und Linke einschränken will. Unter Druck des Weissen Hauses geraten zunehmend auch traditionelle Medien.
Während Präsident Donald Trump und First Lady Melania in Windsor Castle von König Charles und Königin Camilla mit allen Ehren empfangen wurden, lief gleichentags in Amerika die Repressionsmaschinerie des Weissen Hauses ungebremst weiter. Jüngstes Opfer: der Fernsehkomiker Jimmy Kimmel, dessen satirische Sendung «Jimmy Kimmel Live» auf ABC «auf unbestimmte Zeit», d. h. im Klartext für immer abgesetzt worden ist. Seitens des TV-Senders, der der Walt Disney Company gehört, war es erneut ein Akt vorauseilenden Gehorsams gegenüber Donald Trump, dem der populäre Komiker seit längerem ein Dorn im Auge war und dessen Absetzung der Präsident «Tolle Nachrichten für Amerika» nannte.
Der Grund für die Suspendierung des Fernsehstars? In seinem abendlichen Monolog hatte Kimmel den Mörder des Rechtsaktivisten Charlie Kirk, dessen wahres Motiv nach wie vor unklar ist, in die Nähe der MAGA-Bewegung gerückt und der Rechten vorgeworfen, den Mord politisch zu instrumentalisieren – Äusserungen, die Amerikas Konservative empörten und Brendan Carr, den von Trump ernannten Vorsitzenden der mächtigen Federal Communications Commission (FCC), dazu brachten, kritischen Medien zu drohen, wenn sie ihr Verhalten nicht änderten. Kimmels Bemerkungen, sagte Carr in einem Podcast, seien Teil «eines konzentrierten Efforts, die amerikanische Bevölkerung zu belügen».
Die Taktik autoritärer Herrscher
Die Fakten? Tyler Robinson, Charlie Kirks Mörder, stammt aus einer religiösen republikanischen Familie in Utah, und das Jagdgewehr, mit dem der 22-Jährige den 31-jährigen Influencer erschoss, war ein Geschenk seines Vaters. Kirk selbst hatte einmal bemerkt, einige Opfer bei Schusswaffenmassakern seien in Kauf zu nehmen, wenn es darum gehe, das im Zweiten Verfassungszusatz garantierte Recht auf den Besitz und das Tragen von Waffen zu behalten. Robinsons Mutter zufolge war der Täter, der mit einem Transmenschen befreundet war, in jüngster Zeit politisch nach links gerückt und hatte sich mehr für die Rechte von Homosexuellen und Transpersonen interessiert.
Der demokratische Senator und Fraktionsführer Chuck Schumer (New York) nannte den Druck des Weissen Hauses auf den Fernsehsender ABC «verachtenswert, ekelhaft und wider demokratische Werte» und verglich das Vorgehen der FCC mit der Taktik autoritärer Herrscher in China und Russland. «Trump und seine Alliierten wollen freie Rede unterdrücken, die ihnen nicht passt», sagte der Politiker auf CNN: «Demokratien tun das nicht. Das tun Autokratien. Und es spielt keine Rolle, ob man mit Kimmel einig geht oder nicht; er hat das Recht auf freie Rede.»
FCC-Chef Brendan Carr dagegen nannte die Entwicklung «einen wichtigen Meilenstein» und sagte, er sei sehr froh, dass sich Amerikas Rundfunkanstalten stark machten, um den Interessen ihrer Gemeinschaft gerecht zu werden: «Diese progressive Foie gras kommt nicht nur aus New York oder Hollywood.» Ein Zufall, dass die Fernsehkette Nexstar, die viele lokale ABC-Stationen besitzt, für eine Firmenfusion, ein 6,2 Milliarden Dollar-Geschäft, demnächst Brendan Carrs Zustimmung braucht?
Klage gegen die »New York Times»
Die Absetzung Jimmy Kimmels, die zweite eines Fernsehkomikers nach Stephan Colbert auf CBS, erfolgte fast gleichzeitig wie Anfang Woche die Ankündigung Donald Trumps, die «New York Times» sowie vier ihrer Reporterinnen und Reporter wegen Rufschädigung auf mindestens 15 Milliarden Dollar Schadenersatz zu verklagen. Drei Artikel der «Times» sowie das Buch «Lucky Loser» zweier ihrer Mitarbeitenden, heisst es in der Klage, hätten gezielt versucht, «Präsident Trumps Ruf als Geschäftsmann, Privatmann und Politiker» zu schaden.
Die Beiträge im Blatt und das Werk seien mit böswilliger Absicht («actual malice») publiziert worden und hätten «enorme» wirtschaftliche Schäden verursacht und Trumps «professionellen und beruflichen Interessen» beschädigt. Und das auf dem Höhepunkt des Präsidentschaftswahlkampfs, um Donald Trump politisch maximal schaden zu können.
Eine ganze Reihe von Klagen
A. G. Sulzberger, der Verleger der «New York Times», nannte die Rechtsklage in einer Mitteilung an die Redaktion «frivol» und fügte hinzu, alle, egal wie sie politisch denken würden, müssten ob der wachsenden Kampagne gegen Amerikas Presse beunruhigt sein, die Donald Trump und seine Regierung führten. Die Klage des Präsidenten gegen die «Times» ist die dritte innert vier Jahren; beide früheren Eingaben haben Gerichte abgewiesen.
Die jüngste Klage ist nur die letzte in einer Reihe von Klagen Donald Trumps gegen amerikanische Medien. Sie waren teils erfolgreich, weil die Medienbesitzer dem Präsidenten in Akten vorauseilenden Gehorsams Entschädigungen zahlten, obwohl Juristen die Klagen für grundlos und vor Gericht chancenlos hielten. Vor der «Times» hatte der US-Präsident auch Rupert Murdochs «Wall Street Journal» angeklagt, weil die konservative Zeitung enthüllt hatte, dass Donald Trump 2003 dem verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein mit einem schlüpfrigen Brief zum 50. Geburtstag gratulierte.
Provokative Äusserungen des Opfers
Bemerkenswert ist auf jeden Fall, dass Amerikas Rechte und Republikaner nach Charlie Kirks Ermordung genau jener «Cancel Culture» frönen, die sie früher der Linken und den Demokraten wiederholt vorgeworfen und lauthals beklagt haben. Über den Toten nichts als Gutes, heisst heute die Devise, auch wenn es noch lange nicht heisst, dessen Tötung gutzuheissen, wenn einer an die rassistischen, islamophoben und menschenverachtenden Äusserungen erinnert, die der politische Aktivist bei öffentlichen Auftritten und im Netz geäussert hat. «Der Islam ist das Schwert, das die Linke braucht, um Amerikas Kehle aufzuschlitzen», sagte Kirk zum Beispiel. Oder: «Amerikas demokratische Partei hasst dieses Land. Sie wollen es kollabieren sehen. Sie lieben es, wenn Amerika weniger weiss wird.» Den Bürgerrechtler Martin Luther King nannte er «schrecklich. Er ist kein guter Mensch».
Der liberale Fernsehsender MSNBC hat Kommentator Mathew Dowd entlassen, weil der als Antwort auf den Mord in Utah sagte, hasserfüllte Gedanken würden zu hasserfüllten Worten und diese zu hasserfüllten Taten führen. Laut einer Zählung der Nachrichtenagentur Reuters sind in den USA bis Anfang der Woche mindestes 15 Personen, unter ihnen auch andere Journalisten, entlassen oder suspendiert worden, weil sie sich online zum Mord an Charlie Kirk geäussert hatten. Die Büroartikelkette «Office Depot» entliess einen Mitarbeiter, der sich weigerte, Flyer für eine Mahnwoche für das Mordopfer zu drucken. Derweil listet die Webseite «Expose Charlie’s Murderers» Personen auf, die den Betreibern zufolge «politische Gewalt online unterstützen».
Schützenhilfe des MAGA-Lagers
Doch wenn zwei das Gleiche tun, d. h. das Recht auf freie Rede wahrnehmen, so ist es noch lange nicht dasselbe. Bereits bevor die Identität des Täters bekannt war, hatte Donald Trump die «radikale Linke» der Tat beschuldigt und behauptet, deren Rhetorik sei «direkt für den Terrorismus» in Amerika verantwortlich. Er gebe im Lande, sagte der Präsident, kein Problem mit politischer Gewalt, es gebe nur «radikale linke politische Gewalt». Ein Detail, dass 2024 und in den zwei Jahren zuvor alle politisch motivierten Morde von Rechtsextremisten begangen worden sind.
Wenig überraschend leistete das MAGA-Lager Trump umgehend Schützenhilfe. «Die Linke ist die Partei des Mordes», erklärte Elon Musk. «Sie sind im Krieg mit uns! Ob wir das einsehen wollen oder nicht …», sagte Jesse Waters, Moderator der konservativen Fox News. «Es ist Zeit, für die Regierung Trump, jede einzelne linkslastige Organisation zu schliessen, ihr das Geld zu entziehen und sie zu verfolgen», forderte die Influencerin und Trump-Vertraute Laura Loomer: «Wir müssen diese verrückten Linken für immer und ewig abschalten.» Der Online-Influencer Andrew Tate, stets für eine Provokation gut, sprach von «Bürgerkrieg».
Die Kehrtwendung von JD Vance
In den Chor der Empörten reihte sich per Podcast aus seinem Büro im Weissen Haus auch Vizepräsident JD Vance ein. Er sprach von «einer unglaublich zerstörerischen Bewegung des linken Extremismus» und davon, dass es keine Gemeinsamkeit mehr mit jenen Leuten geben könne, die Charlie Kirks Ermordung (in den Medien) feierten: «Es gibt keine Einigung mit den Leuten, die diese Artikel finanzieren, die die Löhne dieser Terroristensympathisanten zahlen, die argumentieren, dass Charlie Kirk – ein liebender Ehegatte und Vater – einen Schuss in den Hals verdiente, weil er Worte äusserte, die ihnen nicht passten.»
Stichwort Redefreiheit: Noch im Februar hatte JD Vance an der Sicherheitskonferenz in München die Regierung Biden dafür getadelt, Privatunternehmen dazu zu ermutigen, Leute zum Schweigen zu bringen, die lediglich sagten, was sich später als reine Wahrheit entpuppen sollte: «Unter Donald Trumps Führung werden wir unter Umständen nicht mit dem einig gehen, was Sie sagen, aber wir werden kämpfen für Ihr Recht, es öffentlich zu sagen, ob wir es gut finden oder nicht.»
«Nach Empörung süchtig»
Versöhnlicher zeigte sich Brain Cox, der republikanische Gouverneur von Utah. Er sprach die verhängnisvolle Rolle an, welche soziale Medien dabei spielten, Gewalt zu fördern und Desinformationen zu verbreiten. «Ich kann es nicht genug betonen, was die sozialen Medien und das Internet uns allen antun», sagte der Politiker am Sonntag auf NBC: «Die mächtigsten Unternehmen in der Geschichte der Menschheit haben Mittel und Wege gefunden, um unsere Gehirne zu hacken und uns nach Empörung süchtig zu machen.» Er meine damit Plattformen wie X oder Facebook, die JD Vance im München gegenüber den Europäern noch in Schutz genommen hatte.
Doch Senatorin Katie Britt (Alabama) widersprach gleichentags auf Fox News ihrem besonnenen Parteikollegen. Ihr zufolge sind die traditionellen Medien am jetzigen Zustand Amerikas schuld, weil sie Donald Trump einen Faschisten nennen und ihn dafür kritisiert haben, dass er für ein toxisches politisches Klima sorgt und alle, die ihm widersprechen, als Feinde taxiert: «Für Leute, die diese Art von Hass säen und ihn feiern, muss es Konsequenzen geben. Und ich glaube, dass es solche geben wird.» Es gibt sie bereits.