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Buch

Ali Khameneis Regime – kritisch hinterfragt

8. Oktober 2025
Erich Gysling
Erich Gysling
Ali Khamenei
Ali Khamenei, Irans oberster politischer und geistlicher Führer. Der 86-jährige Herrscher zeigt sich seit den israelischen Bombardierungen im Juni kaum mehr in der Öffentlichkeit. Hier bei einer Sitzung mit dem Kabinett, September 2025 (Foto: Keystone/EPA/HANDOUT)

Ali Sadrzadeh, in Deutschland lebender iranischer Publizist, schildert in seinem Buch mit dem Titel «Ali Khamenei, Aufstieg und Herrschaft» den seit 1989 in Iran herrschenden politischen und geistlichen Führer der Islamischen Republik – und beschreibt auch, gut recherchiert, einen Machtapparat, der nur aufgrund von Intrigen und familiären Beziehungen zustande gekommen ist.

Ein lesenswertes Buch für alle Iran-Interessierten, die sich die Frage stellen, wie dieses System all die inneren Aufstände (wie die Bewegung «Frau, Leben, Freiheit»), alle internationalen Sanktionen und die Konflikte mit externen Kräften (Israel, USA) überstehen konnte.

Intrige gegen den «Ziehvater» Rafsanjani 

Der Aufstieg Khameneis zum mächtigsten Mann in der Islamischen Republik begann mit einer Intrige. Der im Jahr 1989, dem Todesjahr von Revolutionsführer Khomeini, mächtige Politiker Ali Akbar Rafsanjani zog im Hintergrund die Fäden. Er ging davon aus, Khamenei würde ein schwacher Nachfolger Khomeinis, ein Mann, den er, Rafsanjani, manipulieren könne, und nominierte ihn, erfolgreich, für das höchste Amt. Khamenei hatte keine religiöse Legitimation, er war kein Ayatollah (höchste Stufe in der schiitischen Hierarchie), sondern nur ein Prediger mit durchschnittlicher religiöser Ausbildung – bekannt, ja populär, war er als wortgewandter Mullah, mehr nicht. 

Bald allerdings stellte sich heraus, dass der «Königsmacher» Rafsanjani sich geirrt hatte: Khamenei baute schnell seinen Machtapparat gewaltig aus, emanzipierte sich von seinem «Ziehvater» Rafsanjani (den er allmählich aus allen einflussreichen Ämtern entfernte) und verbohrte sich bald in einen, wie Ali Sadrzadeh schreibt, grenzenlosen Hass auf Israel und auf das Ziel, Jerusalem zu «befreien». 

Konfrontation mit Israel 

Was Israel betrifft, hätte ich mir allerdings einige Hinweise auf die Gründe für diesen Hass gewünscht. Er beruhte (auch) auf der in der iranischen Bevölkerung weit verbreiteten Meinung, dass die iranischen Sicherheitskräfte sich noch in der Zeit vor der iranischen Revolution von 1979, also in der Zeit der Herrschaft von Reza Pahlevi, vollumfänglich vom israelischen Geheimdienst Mossad hatten durchdringen lassen. Bei den Iranerinnen und Iranern verbreitete sich daher mehr und mehr die Überzeugung, Israel sei verantwortlich für die Repression durch das Schah-Regime, mit all seinen blutigen Exzessen. 

Und was die Jahre danach, also bereits in der Ära Khamenei, betrifft: Da verhielt sich Israel ja keineswegs friedfertig, sondern lancierte immer wieder tödliche Attacken gegen iranische Atomtechniker und sabotierte mit Viren die Nuklearanlagen Irans, alles mit dem Ziel, Iran an der Entwicklung einer Atombombe zu hindern. Dieses Ziel verfolgte (echt oder nur vorgeschoben) ja auch der 12-Tage-Krieg Israels gegen Iran im Juni 2025, durch den Iran fast die ganze Führung der Revolutionsgarden verlor und bei dem etwa tausend Menschen starben.

Enge Verflechtung mit Russland

Iran musste eingestehen, dass seine nuklearen Anlagen schwer beschädigt wurden. Die faktische Niederlage hinderte Khamenei, das schildert Ali Sadrzadeh anschaulich, nicht daran, seiner eigenen Linie treu zu bleiben: Unbeirrt droht er jetzt sowohl Israel als auch den USA mit «Massnahmen», sollten sie es wagen, noch einmal gegen Iran Krieg zu führen. 

Ali Sadrzadeh widmet ein Kapitel des Buchs den Beziehungen zwischen Iran und Russland. Die sind, folgt man dem Autor, so eng, dass ein Machtwechsel in Teheran nicht denkbar wäre ohne einen Machtwechsel in Moskau – eine, wie ich meine, etwas gewagte These. Tatsache ist aber, dass Iran und Russland nicht nur durch ein Bündnis aneinander gebunden sind, das die Lieferung von Waffen (u. a. die in Iran, jetzt im Krieg gegen die Ukraine eingesetzten, Drohnen) beinhaltet, sondern auch gegenseitige Hilfe bei der Umgehung von internationalen Sanktionen. Und dass Putin und Khamenei gemeinsam in der Ideologie gefangen sind, sie müssten eine Mauer gegen westliches Gedankengut aufbauen.

Rückzug in die «Festung»

Was die Person von Khamenei betrifft, konnte Ali Sadrzadeh (das ist verständlich) nicht in die Details der Biografie vordringen, denn Khamenei gibt Medienleuten nie ein Interview und schottet sich durch einen Sicherheitsapparat weitgehend ab. Seit dem Juni-Krieg mit Israel tritt er kaum mehr öffentlich auf – und wenn, dann in einem Raum, der sich, nie klar erkennbar wo, in seiner «Festung» befindet. Aber Khamenei, 86-jährig, sei, das werde auch bei diesen Auftritten erkennbar, nach wie vor geistig klar und imstande, komplexe Zusammenhänge zu analysieren, schreibt Ali Sadrzadeh. 

Und den Machtapparat kontrolliert er weiterhin vollumfänglich. Er bestimmt die Richtlinien der Innen- und Aussenpolitik, er ernennt und entlässt die Kommandeure der Streitkräfte und der Polizei plus die Chefs von Radio und Fernsehen. Ausserdem bestimmt er mehrere Mitglieder des Wächterrats und hat das Recht, den vom Volk gewählten Staatspräsidenten (gegenwärtig ist das Mahmud Pezeshkian) zu entlassen und das Parlament aufzulösen. Dazu Ali Sadrzadeh: «All das genügt Khamenei offenbar nicht. Er will die totale Kontrolle.»

Tiefe Entfremdung von breiten Volkskreisen

Wie steht die iranische Bevölkerung zu Ali Khamenei? Der Autor gelangt aufgrund eigener Recherchen zum Schluss: Da gibt es nicht nur einen gravierenden Generationenkonflikt, sondern auch eine Kulturrevolution, die sogar schiitische Theologen erfasst hat. Zitat aus dem Buch: «Ein scharfsinniger Beobachter hat einmal bemerkt, Iran sei das Land der Ungleichzeitigkeit»: In einer Gasse treffe man einen, der Hegel in der Originalsprache lese und interpretiere, und nicht sehr weit davon entfernt pures und dunkles Mittelalter. 

Dieser übertriebene Plot taucht vor dem geistigen Auge auf, denkt man über den Generationenkonflikt in der Islamischen Republik nach. Von Hegel und seiner komplizierten Sprache hat die iranische Jugend in ihrer Mehrheit mit Sicherheit nie etwas gehört. Doch das Gefälle, der Hass, ja, die Entfremdung, die sie von den alten Geistlichen an der Spitze trennt, sind tatsächlich gross, ein Graben so breit wie die Entfernung vom Mittelalter bis heute.

Welcher Schluss lässt sich daraus ziehen? Wird das «System Khamenei» überleben, auch wenn ein anderer Mann oberster Führer der Islamischen Republik wird? Ali Sadrzadeh schliesst sein Buch so: «Die Zukunft Irans als Staat ist fraglicher denn je. Waffen allein werden nicht ausreichen, um diese Gesellschaft zu zähmen. Das iranische Nationalbewusstsein ist noch lebendig. Die Frage ist, in welcher Form es sich künftig erhebt.» 

Ali Sadrzadeh: Ali Khamenei, Aufstieg und Herrschaft. Kohlhammer Sachbuch 2025, 256 Seiten 

Ali Sadrzadeh stammt aus Iran. Er kam als Jugendlicher, Ende der 1960er Jahre, nach Deutschland,  wo er Germanistik und Politologie studierte. Er ist als Journalist tätig u. a. für die «Frankfurter Rundschau». Für die ARD war er mehrere Jahre lang als Radio-Korrespondent aktiv. Ali Sadrzadeh schreibt für Journal 21.

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