Dies ist der endgültige Ausgang eines seit 2012 spielenden politischen und juristischen Dramas, das Bände spricht über die politischen Verhältnisse in Damaskus und in Beirut.
Aufgeflogene Sprengstoffanschläge
Im August 2012 wurden im Auto des früheren Ministers 24 Pakete von Explosivkörpern und Zündsätze gefunden und beschlagnahmt. Ein erster Prozess gegen ihn machte klar, dass er nach seinem eigenen Geständnis gedachte, dieses Material und dazu bestimmte Geldsummen weiterzugeben an Agenten, die, wie er annahm, beauftragt waren, die vorgesehenen Bombenanschläge durchzuführen.
In Wirklichkeit war der angebliche Organisator der Anschläge und Empfänger des Materials ein Doppelagent, der für die libanesische Sicherheit wirkte, und deshalb flog der Anschlag auf. Der Agent, der Milad Kfouri heissen soll, und der den Empänger spielte, sorgte auch dafür, dass die Anweisungen, die er von Samaha erhielt, registriert wurden.
Treffen mit dem Geheimdienstchef in Damaskus
Aus den Tonaufnahmen mit Samahas Stimme ging hervor, dass es der syrische Geheimdienstchef und spätere Oberste Sicherheitsberater Asads, Ali Mamluk war, der Samaha das Material übergeben hatte. Das Treffen hatte im Büro des Geheimdienstchefs in Damaskus stattgefunden, und der Auftrag war, nach dem Tonband mit der Stimme Samahas, mit den Bomben gegen libanesische Politiker und Geistliche vorzugehen, um zu verhindern, dass Waffen über die libanesische Grenze in die Hände der Widerstandskämpfer gegen das Asad Regime gelangten.
Samaha erklärte, nach dem Tonband, "kollaterale Schäden seien hinzunehmen", was nur bedeuten kann, der Tod von Unschuldigen sei in Kauf zu nehmen. Da auch Geistliche die vermutlichen Ziele der Anschläge waren, ist weiter anzunehmen, dass es nicht nur um Verhinderung des Waffenschmuggels ging, sondern - viel weiter gefasst - um Unruhestiftung zwischen den Religionsgemeinschaften mit dem vermutlichen Ziel, in Libanon ähnliche Zustände zu schaffen, wie sie in Syrien herrschten.
"Konfessionalisierung" als Strategie
In Syrien war "Konfessionalisierung" des Konfliktes, der anfänglich ein Aufstand von Aktivisten aus allen Konfessionen (d.h. Religionsgemeinschaften) gegen Asad gewesen war, eine Technik des Regimes, die bewirken sollte und auch bewirkte, dass die Erhebung gegen Asad sich wandelte in einen Zusammenstoss der Religionsgemeinschaften. Dies war ein Vorteil für das Regime, weil es die Minderheitsreligionen, in erster Linie jene der Alawiten, aber auch die verschiedenen christlichen Religionsgemeinschaften, zu verlässlichen Parteigängern des Regimes machte. Sobald die Minderheiten sich durch die sunnitische Mehrheit bedroht sahen, mussten sie sich durch dick und dünn an das Regime halten, das zu ihrem Verteidiger wurde.
Dieser Konfessionalisierungseffekt kam nicht einfach automatisch zustande. Er wurde gesucht und herbeigerufen durch das Regime. Beweis dafür sind die zahlreichen Entlassungen aus den Gefängissen von dort oftmals seit vielen Jahren eingekerkerten islamistischen Fanatikern im August 2011, nachdem im März die Erhebung gegen Asad ausgebrochen war. Die damals entlassenen Aktivisten begannen sofort ihre islamistischen Kampfgruppen aufzustellen und dadurch die Konfessionalisierung des Bürgerkrieges zu erzwingen.
Offensichtlich sollten die Bomben Samahas, die vom syrischen Geheimdienstchef stammten, einen vergleichbaren Prozess in Libanon ankurbeln. Samaha gestand, dass er die Bomben transportiert habe, und er räumte auch ein, dass der syrische Geheimdienstchef sie ihm übergeben und für ihre Verwendung bezahlt habe. Er erklärte auch, er sei einem libanesischen Agenten in die Falle gelaufen.
Unerklärliche Milde
In einem ersten Militärprozess wurde gegen den syrischen Geheimdienstchef und gegen Samaha Klage erhoben. Doch wie zu erwarten war, reagierte Damaskus nicht auf den Haftbefehl der libanesischen Justiz für den syrischen Geheimdienstchef. Deshalb wurde der Prozessbeginn aufgeschoben. Schliesslich trennte ein Richter die beiden Anklagen, und jene gegen Samaha kam alleine vor ein Militärgericht. Dieses veruteilte den ehemaligen Minister am 20. Februar 2013 zu vier Jahren Gefängnis. Unter Anrechunung seiner Zeit in Untersuchungshaft kam er dadurch im Januar 2016 frei, nur die Gelder, die er von Ali Mamluk erhalten hatte, wurden vom Staat eingezogen, und er erhielt Politikverbot für den Rest seines Lebens.
Zweites, schärferes Urteil
Die Freilassung führte zu einem Aufschrei, vor allem in der sunnitischen Stadt Tripolis, wo Selbstmordanschläge gegen Moscheen und gegen sunnitische Geistliche verübt worden waren und wo es eine permanente Spannung mit gelegentlichen Kämpfen gibt zwischen den aus Syrien als Hafenarbeiter eingewanderten Alawiten und den einheimischen Sunniten, die in getrennten aber benachbarten Quartieren leben. Die Alawiten halten zum syrischen Regime, die Sunniten neigen dem syrischen Aufstand zu.
Doch Politiker, die Hizbullah nahe stehen, verteidigten das milde Urteil. Der libanesische Justizminister, General Ashraf Rifi, selbst ein ehemaliger Sicherheitschef, reichte im Protest gegen das Urteil seinen Rücktritt ein. Doch dieser wurde nicht angenommen. Es kam zu einem neuen Prozess vor einem höheren Militärgericht, und dieses hat nun den Ex-Minister zu 13 Jahren Zuchthaus mit Zwangsarbeit verurteilt.
Im Dienste des syrischen Geheimdiensts
Michel Samaha ist ein Angehöriger der Griechisch Orthodoxen Christlichen Gemeinschaft. Er hatte ursprünglich in den Reihen der "Phalanges" (Kataeb) politisiert, war aber in den Jahren, in denen syrische Truppen in Libanon standen und der syrische Geheimdienst in der libanesischen Politik mitredete (1991-2005), zu einem Mitarbeiter der syrischen Behörden geworden. Dies hatte ihm auch seinen Posten als Informationsminister Libanons verschafft. Er war auch als Informationsberater direkt für Baschar al-Asad tätig gewesen, und so zum pro-syrischen Politiker in Libanon geworden. Als solcher war er mit Hizbullah eng verbunden, aber ein Gegner der libanesischen Sunniten.