Vor 60 Jahren bahnte sich im beschaulichen Tutzing am Starnberger See ein grundsätzlicher Kurswechsel der deutschen Ostpolitik an. Das Schlagwort dafür lautete: «Wandel durch Annäherung».
Der damalige Pressechef des Berliner Senats, Egon Bahr, hielt vor dem «Politischen Club» der «Evangelischen Akademie Tutzing» am 15. Juli 1961 eine Rede, in der er darlegte, dass es keinen Sinn mehr habe, die DDR grundsätzlich infrage zu stellen. Vielmehr komme es darauf an, sich mit den politischen Gegebenheiten zu arrangieren und auf dieser Basis in geduldigen Verhandlungen Kompromisse zu erarbeiten.
Eine erste Frucht dieser Bemühungen war das Passierscheinabkommen vom 17. Dezember 1963.
Im Rückblick ist völlig klar, dass diese Rede Egon Bars, die höchst umstritten war – Herbert Wehner nannte sie «Ba(h)ren Unsinn» und eine «Narretei» – das Fanal für die Ostpolitik war, die zuletzt in die Wiedervereinigung mündete.
Entsprechend begrüsste die sowjetische Führung die neue Flexibilität und empfing die westdeutschen Politiker mit offenen Armen. Das Foto stammt vom September 1971. Breschnew unternimmt mit Willy Brandt und Egon Bahr einen Bootsausflug auf dem Schwarzen Meer vor der Küste der Krim.
Im Rückblick lässt sich deutlicher erkennen, warum der Kurswechsel der deutschen Ostpolitik damals Erfolg hatte. Die Sowjetunion unter Breschnew hatte ein geradezu existenzielles Interesse an der Sicherung ihres durch den Ausgang des Zweiten Weltkriegs erreichten europäischen Besitzstandes und der Anerkennung der 1945 gezogenen Grenzen zwischen «West» und «Ost». Sie war, so gesehen, zu einer konservativen, auf die Wahrung der Status quo ausgerichteten Macht geworden.
Die Ausrichtung der deutschen Politik auf das Interesse der Regierungen der Ostblockstaaten sollte in der Folge dazu führen, dass insbesondere die deutsche SPD keinerlei Gespür für die Anliegen der Bürgerrechtsbewegungen im damaligen Ostblock hatten. So antwortete Egon Bahr 1980 auf die Frage, ob die Sowjetunion im Zusammenhang mit der Solidarność ein Recht hätte, in Polen militärisch zu intervenieren: «Aber selbstverständlich». – Dieses Kapitel ist bis heute noch nicht befriedigend aufgearbeitet.
(J21)