Am 28. Juli ist Martin Walser im Alter von 96 Jahren gestorben. Über Jahrzehnte hat er das literarische Leben in der Bundesrepublik Deutschland mitgeprägt. Sein Werk und sein Denken lösten wiederholt heftige Kontroversen aus.
Seit 1953 wurde Martin Walser regelmässig zu den Tagungen der Gruppe 47 eingeladen. Sein erster Roman «Ehen in Philippsburg» erschien 1957 und machte Walser schlagartig berühmt. Zusammen mit Günter Grass und Hans Magnus Enzensberger bildete er eine Art Dreigestirn der deutschen Literatur, wobei sich die drei hinsichtlich ihres literarischen Stils und in ihrem Auftreten fundamental unterschieden.
Mit Marcel Reich-Ranicki verband sie eine Hassliebe. 1963 lobte Reich-Ranicki Martin Walser überschwänglich, um dann die späteren Werke mit grösster Skepsis zu beurteilen. Der Konflikt zwischen den beiden schaukelte sich soweit auf, dass Walser regelrechte Todeswünsche entwickelte und diese in seinem Roman «Tod eines Kritikers» 2002 zum Ausdruck brachte.
Die heftigsten Kontroversen allerdings löste seine Rede in der Paulskirche anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an ihn am 11. Oktober 1998 aus. Darin setzte er sich kritisch mit der deutschen Erinnerungskultur in Bezug auf den Holocaust auseinander und sprach von einer «Moralkeule», die geschwungen würde.
Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine machte Walser von sich reden, in dem er als Erstunterzeichner eines Briefes an Bundeskanzler Scholz vom 29. April 2022 in der Zeitschrift «Emma» fungierte. In diesem Brief sprachen er und die anderen Unterzeichner sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus Sorge vor einem dritten Weltkrieg aus.
Martin Walsers Produktivität war bis ins hohe Alter erstaunlich. Neben Theaterstücken verfasste er, wie ein Kritiker bemerkte, mit «der Zuverlässigkeit eines Uhrwerks» ein Buch nach dem anderen. Vieles wird vergessen werden, aber der Roman «Ein fliehendes Pferd» (1978) und sein Spätwerk «Ein liebender Mann» (2008), den der Literaturkritiker Martin Ebel für besonders gelungen hält, dürften wohl noch lange Ihr Publikum finden.
Über seine Arbeit als Schriftsteller hat er selbst einmal gesagt: «Ich schreibe für Menschen, die nachts an ihren Chef denken und wissen, dass er nicht an sie denkt.»
(J21)