Vor 40 Jahren brachte die Süddeutsche Zeitung am 4. Januar einen Beitrag ihres Bonner Korrespondenten Alexander Szandar, der den bis dahin grössten Bundeswehrskandal auslösen sollte. Der Vier-Sterne-General Günter Kiessling sei wegen seiner Homosexualität entlassen worden.
Es gab die irrsten Gerüchte. Kiessling sei «händchenhaltend mit einem Oberst» gesehen worden, treibe sich in Frauenkleidern in Berliner Lokalen herum und verkehre als «Günter von der Bundeswehr» in Kölner Schwulenkneipen. Als Kiessling mit diesen Vorwürfen konfrontiert wurde, fiel er aus allen Wolken. Denn er hatte keine derartigen Neigungen. Aber der damalige Verteidigungsminister Manfred Wörner handelte schnell. Zum 31. Dezember 1983 wurde Günter Kiessling unehrenhaft entlassen.
Doch Kiessling hielt sich keine Pistole an die Schläfe, sondern engagierte einen der renommiertesten Bonner Rechtsanwälte, Konrad Redeker. Nicht nur dessen Nachforschungen erwiesen die Vorwürfe als haltlos. Auch ein Journalist, Udo Röbel von der Kölner Boulevardzeitung «Express», konnte nachweisen, dass der «Günter von der Bundeswehr» dem General zwar ähnlich sah, es sich aber um eine andere Person handelte.
In recht kurzer Zeit stellte sich heraus, dass der Militärische Abschirmdienst MAD ebenso schlampig gearbeitet hatte wie auch andere Abteilungen im Ministerium. Auch Wörner hatte sich nicht die Mühe gemacht, Kiessling einmal gründlicher zu befragen. Das Ganze wuchs sich zu einem Skandal aus, im Zuge dessen Wörner dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl seinen Rücktritt anbot, der allerdings nicht angenommen wurde. Statt dessen wurde Kiessling rehabilitiert, wieder als General eingesetzt und kurz darauf mit militärischen Ehren verabschiedet, auch bei der Nato. Aber seine Offizierskameraden, die ihn verleugnet und im Stich gelassen hatten, verweigerten ihm sogar das traditionelle Abendessen.
Das Bild entstand am 27. Februar 1984 und zeigt Günter Kiessling, Mitte, während eines Interviews in Bonn.
(J21)