Wie war das Leben in der DDR? Darüber gibt es derzeit eine heftige Debatte. Gerade jüngere Autoren, die diese Zeit noch gar nicht bewusst erleben konnten, wenden sich jetzt entschieden gegen die westdeutsche Sicht. Der Alltag in der DDR sei alles andere als trist und grau gewesen.
Die Debatte ist so heftig, dass Bücher über eine selbstbewusste Ost-Identität in den oberen Rängen der Bestsellerlisten zu finden sind. Das aktuellste Beispiel bietet Katja Heuer: Diesseits der Mauer – Eine neue Geschichte der DDR 1949 bis 1990. Die Autorin und Historikerin hat den Jahrgang 1985 und wurde in Guben, unweit von Cottbus geboren. Zwei Plätze höher auf der Spiegel-Bestenliste vom Juni 2023 steht auf Platz 2 Dirk Oschmann: Der Osten: eine westdeutsche Erfindung.
Aus diesen Perspektiven erscheint die DDR als eine Erfolgsgeschichte. Wer floh, hatte oft nur im Sinn, seine gute Ausbildung, die er in der DDR erhalten hatte, im Westen lukrativer zu vermarkten. Dafür zahlte er aber den Preis, die Wärme, die ihm das von Solidarität geprägte Leben in der DDR bot, gegen die Kälte einer durch und durch materialistischen und gewinnorientierten Gesellschaft zu tauschen.
Für westdeutsche Augen lesen sich diese Bücher gar nicht gut und lösen nur Kopfschütteln aus. Doch sind sie ein Symptom dafür, dass sich die ehemaligen «Ostdeutschen» bis heute zu wenig anerkannt und geschätzt fühlen. Deswegen kommen ihnen Autoren, die das damalige Leben nachträglich aufwerten, gelegen. Das lässt sich sogar verstehen. Wer will schliesslich hören, dass er bis zur Wende von 1989 nur ein drittklassiges Leben geführt hat? Und bis heute ist es so, dass Führungspositionen in den «neuen Bundesländern» weit überproportional von Westlern besetzt sind, während in den westlichen Bundesländern Ostdeutsche unterproportional Leitungspositionen innehaben.
Das Foto entstand am 4. Dezember 1961 am Grenzübergang Bornholmer Strasse auf der Bösebrücke zwischen dem französischen Sektor Berlin-Wedding und dem sowjetischen Sektor Berlin-Prenzlauer Berg. Es sind Bilder dieser Art, die das westdeutsche Bewusstsein bis heute prägen. Die westlichen Medien, die Bildagenturen und ihre Fotografen haben sich weniger für den «Blick hinter den Zaun» interessiert. Direkt nach der Wende traten Fotografen aus der ehemaligen DDR mit ihren Bildern an die westdeutsche Öffentlichkeit und zeigten andere Aspekte des Alltags in der DDR. So entstand die Fotografenagentur Ostkreuz, die inzwischen ein sehr breites Themenspektrum hat. Dazu kommen zahlreiche höchst sehenswerte Bildbände und Ausstellungen.
(J21)