Es sei nicht Sache der Schweiz, im Ukrainekrieg zu bestimmen, wer Täter und Opfer sei. Mit dieser Äusserung bezieht Ständerat Peter Hegglin eine Position im Sinne der Blocherschen Initiative, welche die immerwährende Neutralität in der Verfassung verankern will.
Ständerat Peter Hegglin (Die Mitte, Zug) hat anlässlich der Debatte über die bundesrätliche Armeebotschaft beiläufig seine Vorstellung von Neutralität einfliessen lassen, und die hat im Rat und in einzelnen Medienberichten einen kleinen Wirbel verursacht. Dies, obwohl Hegglins Votum zur Weiterentwicklung der Armee durchaus besonnen und konstruktiv war, eine typische Äusserung eines erfahrenen Parlamentariers eben. Sie wäre wohl nach dem letzten Satz schon vergessen gewesen, hätte Hegglin sich nicht in der Einleitung zum Ukrainekrieg und am Schluss zur geplanten Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock ausgelassen.
Was Hegglin zu diesen Themen quasi im Vorübergehen sagte, war interessant, weil er hier – anders als im Hauptteil seines Votums – ziemlich deutlich wurde. Er sagte: «Ich verorte mich in der westlichen Welt, und trotzdem möchte ich nicht einseitig für die Ukraine Partei ergreifen und die Russen als alleinigen Aggressor verurteilen. Auch die Ukraine und die sie unterstützende Nato tragen eine Mitschuld an diesem Konflikt.» Weiter sagte Hegglin, es sei auch «nicht an der Schweiz, darüber zu entscheiden, wer Täter und wer Opfer ist».
Zum Schluss seines Votums kam er noch auf die Bürgenstock-Konferenz zu sprechen: «Eine Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock zu organisieren, an welcher eine Konfliktpartei nicht teilnimmt, weil sie die Schweiz als nicht neutral betrachtet, sagt genug aus.» Genug wofür? Offenbar um zur Feststellung zu gelangen, wenn Russland die Teilnahme wegen angeblicher Nicht-Neutralität des Veranstalters verweigere, dann sei die Schweiz nicht neutral. Punkt.
Hegglins Auslassungen wurden im Rat zu Recht scharf zurückgewiesen. Die Behauptung einer Mitschuld von Ukraine und Nato, die zum Standardnarrativ der Putin-Adepten gehört, ist längst überzeugend widerlegt, das Spiel mit angeblich unklarem Täter- und Opferstatus ist allzu durchsichtig, und die absolute Neutralitätsforderung gegenüber dem Ukrainekrieg ist ein moralisches und aussenpolitisches Unding.
Zur Kritik, die ihm von Rats- und auch Parteikollegen entgegenschlug, meinte Hegglin: «Ich habe nur zur Mässigung aufgerufen in einer Situation, wo alle Länder aufrüsten, denn für einen Streit braucht es zwei.» – Das ist realitätsferne Beschwichtigungsrhetorik. Dass jetzt auch in Europa wieder aufgerüstet wird, hat einen Grund: die Angriffe Russlands auf Georgien 2008, auf die Krim und den Donbass 2014, auf die ganze Ukraine 2022. Und es ist eben nicht so, dass es für die Auslösung eines Kriegs «zwei braucht». Es reicht einer, der eine aggressive Agenda verfolgt und sich von kriegerischen Aktionen Vorteile verspricht.
Hegglins Neutralitätsidee entspricht offensichtlich jener, die Blocher mit seiner neuesten Initiative für die Schweiz festschreiben will. Sie bedeutet praktisch das prinzipielle sich Heraushalten aus allen Konflikten. Statt im konkreten Fall Ursachen, Genese und Tragweite eines Konflikts zu beurteilen und das politische Verhalten der Schweiz danach auszurichten, gälte nur noch die generelle und immerwährende Neutralitätspflicht. Es wäre im Einzelfall das Ende der Diskussion, bevor sie beginnt, die selbstverordnete politische Blindheit.
In den bevorstehenden Diskussionen um die Blocher-Initiative wird es darum gehen müssen, die Tücken eines allzu simplen Neutralitätsverständnisses klarzumachen. Wenn Neutralität bloss Wegschauen bedeutet, auf Verweigerung von Solidarität hinausläuft und die Kosten des Einsatzes für Frieden stets auf andere abschieben will, wird die Schweiz nicht nur einen Reputationsschaden davontragen, sondern zunehmend isoliert dastehen.