Das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, Kirill I. von Moskau, steht fest an der Seite Putins. Er stützt dessen nationalistisch-ideologische Propaganda mit seiner kirchlichen Autorität. Mehr noch: Kirill überhöht den Krieg zur «heiligen Sache».
Es gehört zur historischen Prägung der Russisch-Orthodoxen Kirche aus der Zarenzeit, sich eng an die herrschende weltliche Macht anzuschmiegen. Das konfliktträchtige Gegenüber von Kaiser und Papst, das die westliche Kulturentwicklung seit dem Mittelalter geprägt und befruchtet hat, kennt der orthodoxe Raum nicht. So ist es denn nicht verwunderlich, dass die Spitze der russisch-orthodoxen Hierarchie selbst zu Sowjetzeiten, als die Kirchen mit ideologischem Furor verfolgt und marginalisiert wurden, es stets verstanden hat, kirchliche Privilegien in erstaunlichem Umfang für sich selbst zu bewahren.
Patriarch Kirill I. von Moskau, Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche, ist ein typischer Exponent dieser staatlich-kirchlichen Symbiose. Sie ist beides zugleich: eine kritiklose religiöse Identifikation mit der herrschenden Politik des Staats und im Gegenzug eine distanzlose Vereinnahmung der Kirche durch diesen Staat.
Anfang März, kurz nach Beginn des Kriegs, hielt Kirill ein «Gebet für die Ukraine» ab. Was sich auf den ersten Blick so christlich ausnimmt, gipfelte allerdings darin, dass der Patriarch der Ukraine das Existenzrecht rundweg absprach. Kirills Position ist nicht nur in diesem Punkt völlig deckungsgleich mit derjenigen von Präsident Putin. Wie dieser vertritt auch er die Idee des «Russki Mir», eines religiös und kulturell homogenen Grossrusslands unter Einschluss von Belarus und der Ukraine – mit expansiver Tendenz. Genau wie der Kriegsherr im Kreml erklärt Kirill den Westen zum Todfeind, der in seiner Dekadenz und moralischen Verkommenheit dem Untergang geweiht sei. Deshalb werde sich ein russisch geführtes Eurasien von Wladiwostok bis Lissabon durchsetzen. Kirill hat den Ukrainekrieg für die Russen zur «heiligen Sache» erklärt.
Entsprechend militant ist die Sprache des russisch-orthodoxen Oberhaupts: Sie steht den schlimmsten Scharfmachern in Politik und Medien Russlands in nichts nach. Putins Lügen betet Kirill getreulich nach. Die beiden kennen sich ja auch seit langem. Kirill stand genauso im Sold des KGB wie Putin. Und wie dieser und seine Entourage hat er es verstanden, sich zu bereichern. Sein geistlicher Stand hat ihn nicht daran gehindert, mit Tabak- und Erdölgeschäften ein privates Vermögen von geschätzten vier Milliarden US-Dollar zu scheffeln und sich einen Lebensstil nach Oligarchenmanier zuzulegen.
Obzwar der Patriarch von Moskau keinen Widerspruch gewohnt ist, bleibt es in seiner Kirche nicht völlig still. Ein von Priester Joann Burdin in der Oblast Kostroma am 25. Februar verfasster, von mehreren orthodoxen Priesterkollegen mitunterzeichneter offener Brief wandte sich scharf gegen den russischen Überfall auf die Ukraine: «Das Blut der Einwohner der Ukraine wird an den Händen nicht nur der Regierenden Russlands kleben, sondern auch an jenen der Soldaten, die diesen Befehl ausführen», hiess es da, und weiter: «Ihr Blut klebt an den Händen eines jeden von uns, der diesen Krieg gutheisst oder einfach schweigt.» – Nachdem Burdin auch in Predigten Klartext redete, wurde er wegen «Diskreditierung der russischen Streitkräfte» zu einer hohen Busse verurteilt. Im Wiederholungsfall droht ihm eine mehrjährige Haftstrafe.
Schockierend leisetreterisch liest sich im Vergleich die Intervention des Ökumenischen Rates der Kirchen ÖRK, einer Weltorganisation, der auch die Russisch-Orthodoxe Kirche angehört. Der Geschäftsführende Generalsekretär des ÖRK, Ioan Sauca, schrieb am 2. März an Kirill: «Ich schreibe Eurer Heiligkeit mit grossem Schmerz und einem gebrochenen Herzen.» In diesem Ton ergeht die Bitte des ÖRK an den Patriarchen um Vermittlung für einen Waffenstillstand. Kirills Antwort besteht aus einer Floskelorgie sowie aus Vorwürfen an den Westen und die Nato, eine grossangelegte geopolitische Strategie zur Schwächung Russlands zu verfolgen. Auf die Bitte um Vermittlung geht er gar nicht erst ein.
Im September dieses Jahres wird in Karlsruhe eine ÖRK-Vollversammlung stattfinden. Im Blick auf diese Zusammenkunft haben deutsche Theologen und kirchennahe Politiker die Evangelische Kirche in Deutschland EKD, die als Gastgeberin amten wird, dazu aufgefordert, die Beziehungen zur russisch-orthodoxen Kirche auf Eis zu legen. Ziel ist eine Sistierung von deren Mitgliedschaft beim ÖRK.
Auch in der Evangelisch-Reformierten Kirche der Schweiz EKS gibt es Bestrebungen in dieser Richtung. So fordert der Zürcher Kirchenratspräsident Michel Müller, dass der ÖRK die weitere Mitgliedschaft der Russisch-Orthodoxen Kirche prüfe: «Es ist Zeit, dass der Russisch-Orthodoxen Kirche unmissverständlich mitgeteilt wird: Wir haben ein Problem mit eurer Haltung.»
Das ist immer noch diplomatisch ausgedrückt. Aber es ist wenigstens hinreichend klar.