Nach den Parlamentswahlen 2023 fragen sich sicherlich viele umweltbewusste Menschen hierzulande, warum im Angesicht der aufziehenden Klimakatastrophe eine Mehrheit der Wählenden die Grünen und Grünliberalen zu Verlierern machte. Der Biologe Peter Duelli* vermutet als Ursache eine bestimmte resignative Erkenntnis.
Bei Krankenkassenprämien, Landwirtschaftspolitik, Umweltschutz, Mieten und Löhnen hat unser Wahlresultat eine konkrete Auswirkung auf unser Leben in der Schweiz. Wir können mit Wahlen tatsächlich etwas ändern an der Schweizer Realität.
Selbst bei sofort CO2-neutraler Schweiz – Gletscher schmelzen weiter
Bei der drohenden Klimakatastrophe, die nicht mehr wegzuleugnen ist, liegen die Dinge ganz anders. Die Rezepte, die die Grünen haben, sind für die meisten Menschen in der Schweiz zu unangenehm und zu teuer. Der Leidensdruck ist zu klein für ein freiwilliges Handeln. Zudem ist klar, dass keine der von den Grünen geforderten Massnahmen einen in der Schweiz feststellbaren Effekt auf unser Klima haben würde, solange nicht die ganze industrialisierte Welt dasselbe tut.
Selbst wenn die Schweiz morgen CO2-neural wäre, würden die Gletscher genauso weiter schmelzen, die klimatischen Extremereignisse weiter zunehmen und der auftauende Permafrost die Alpenverkehrsadern weiter gefährden. Das heisst, selbst wenn die Grünen die absolute Mehrheit im Parlament hätten, würde sich an der Klimaerwärmung in der Schweiz gar nichts ändern.
Koalitionen schmieden, statt vorpreschen
Was wir aber in der Schweiz tun können und müssen, ist aus Solidarität mit den Opfern der von uns mitverschuldeten Klimakrise in einer Koalition mit gleichgesinnten Staaten vorzuleben, wie die Klimaschäden gemildert werden können. Für die Schweiz heisst das, im Einklang mit Europa zu handeln, selbst wenn es den Grünen zu langsam geht. Vorpreschen bringt für unser Klima nichts, kostet aber viel Geld und Goodwill in der Bevölkerung. Viel wichtiger als Solidaritätsbekundungen mit unrealistischen Forderungen und kostspieligen Zielen ist es für die Schweiz als reiches Land, reich genug zu bleiben, um für die Klimaschäden aufzukommen und mit Volldampf technologisches Know-how zu entwickeln, wie der Ausstoss von klimaschädlichen Gasen reduziert werden kann, und wie das CO2 aus der Atmosphäre gebunden werden kann.
Eine andere wichtige Aufgabe für die Schweiz ist es, auf internationaler Ebene auf gemeinsame klimafreundliche Massnahmen zu drängen. Aber eben: Ob die Schweiz diese Massnahmen selbst einhält, ist für das Klima in der Schweiz leider völlig irrelevant. Möglicherweise haben das viele Wählenden geahnt oder erkannt. Das ist derzeit das traurige Schicksal der Grünen Parteien. Aber getrost, die nächste Umweltkatastrophe kommt bestimmt – und dann geht es wieder aufwärts.
Übrigens: Auch bei der SVP-Initiative gegen eine 10-Millionen-Schweiz gehen viele davon aus, dass diese einen konkreten Einfluss auf die Einwanderung haben würde. Wie Ministerpräsidentin Meloni in Italien zeigt, ist das leider eine Illusion. Auch wenn die SVP die absolute Mehrheit im Parlament hätte, könnte die illegale Einwanderung aus Asien und Afrika nach Europa nicht gestoppt werden. Die über die grüne Grenze illegal in die Schweiz eingewanderten Menschen alle zurückschicken könnte auch die SVP nicht. Zudem hätte ein Einwanderungsstopp für Europäer katastrophale Auswirkungen auf unsere Wirtschaft und das Gesundheitswesen. Und es würde unser Verhältnis zu unseren Nachbarländern massiv verschlechtern. Also besser nichts Derartiges in der Verfassung.
*Peter Duelli ist pensionierter Biologe. Er war Titularprofessor an der Universität Basel und Dozent an der ETH Zürich. An der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL leitete er die Abteilung Biodiversität.