Im Frühjahr erhielt Jacqueline Veuve für ihr Gesamtschaffen den Schweizer Filmpreis. Er galt als hoch verdiente Ehrung einer ethnographisch engagierten Autorin, die sich geduldig und genau beobachtend vor allem mit alltäglichen Themen ihrer Romandie auseinandersetzte. Der gemeinsam mit Yves Yersin 1966 realisierte Streifen "Le Panier à Viande" über eine Hofschlachtung war im damals allmählich entstehenden neuen Schweizer Film die Entdeckung, wie spannend die unverkünstelte Darstellung traditioneller und an sich unspektakulärer Bräuche sein kann.
Bemerkenswerte und preisgekrönte Kontinuität
Die am 29. Januar 1930 in Payerne geborene Jacqueline Veuve studierte an der Universität Lausanne und an der Ecole de Bibliothecaire-Documentaliste in Genf. Hernach arbeitete sie am Musée de l'Homme in Paris zusammen mit dem Regisseur und Ethnologen Jean Rouch und am Massachusetts Institute of Technology mit dem Dokumentaristen Richard Leacock. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen folgte der Schritt ins eigene freie und auftragsbezogene Filmschaffen, ab 1974 mit ihrer in Lausanne domizilierten Produktionsgesellschaft Aquarius Films.
In einer bemerkenswerten Kontinuität entstanden weit über sechzig kurze, mittellange und abendfüllende Dokumentarfilme und einige wenige Spielfilme. Es handelte sich um prägnante Porträts und Reportagen über Handwerker, Bauern und Weinbauern, Aussenseiter, Kranke, Künstler und Soldaten.
Filme wie "Le Panier à Viande", "Les Lettres de Stalingrad", "La Mort du Grand-Père", "Chronique Paysanne en Gruyère", "L'Homme des Casernes", "Journal de Rivesaltes 1941-1942" oder "Parti sans laisser d'adresse" sicherten sich in der Schweizer Filmgeschichte ihren Platz. Jacqueline Veuve gewann zahlreiche Preise, u. a. den Prix Cinéma et Jeunesse in Cannes, den Ehrenpreis des Filmfests München, den Chicago International Gold Hugo Award, den Grand Prix Vaudois des Arts und den Schweizer Filmpreis, zunächst für "Journal de Rivesaltes 1941-1942" und dann fürs Gesamtwerk.
Menschenwürde
Die leidenschaftlich neugierige Jacqueline Veuve besass eine einnehmende Liebenswürdigkeit und zugleich ein kämpferisches Durchsetzungsvermögen, mit dem sie sich auch filmpolitisch und emanzipatorisch Respekt erwarb. Sie hatte auf der Leinwand, dem Bildschirm und in Debatten eine stark beachtete und immer wieder bewunderte Präsenz. Dem klaren Durchblick und der gestalterischen Einfachheit vertrauend, war Jacqueline Veuve den Stillen, von der Gesellschaft Unbeachteten eine mutige, sachliche und wirkungsvolle Anwältin für menschliche Würde. Ohne dogmatischen Eifer, sondern mit überzeugender Lauterkeit.
Ihren letzten Dokumentarfilm - "Vibrato" über den Chor des Freiburger Kollegiums St. Michael - drehte die am 18. April Verstorbene im vergangenen Jahr. Er war - sich zum ganzen Schaffen fügend - jungen Menschen gewidmet, die sich abseits der Massenkultur einer musikalischen Tradition verpflichteten.