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Kommentar 21

Alte weisse Männer am Pranger

25. April 2019
Urs Meier
Manche Feministinnen und antikolonialistisch Engagierte glauben, endlich die Schuldigen gefunden zu haben.

Am Anfang standen die Revolten an amerikanischen Universitäten gegen den literarisch-philosophischen Kanon der Humanities: Platon, Shakespeare, Kant und Goethe – alles tote weisse Männer. Wie sollten junge schwarze oder asiatische Studentinnen sich in solchem Lehrstoff wiederfinden? 

Die Debatte darüber kommt seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe. Sie ist ja auch schwierig, weil da völlig verschiedene Ansprüche aufeinanderprallen. Und gerade deswegen lohnt sich diese Diskussion, obschon eine Verständigung bislang nicht in Sicht ist.

Nun aber ist ein Schlachtruf gegen alte weisse Männer laut geworden, bei dem es um anderes geht. Wer das Pech hat, die Kombination der Eigenschaften nicht-jung, nicht-farbig und nicht-weiblich auf sich zu vereinen, sieht sich in den Stand des Angeklagten versetzt. 

Die Logik hinter dieser Spielart von Selbstjustiz funktioniert wie folgt: Da es gesellschaftliche Benachteiligungen entlang eben dieser Merkmale gibt, muss man von einem universellen System der Diskriminierung junger, farbiger und weiblicher Menschen sprechen. Je mehr von diesen drei Eigenschaften eine Person aufweist, desto stärker die systembedingte Diskriminierung. 

Im Umkehrschluss heisst das: Mit abnehmender Zahl dieser Merkmale steigt die Privilegierung. An der Spitze der sozialen Hierarchie stehen die alten weissen Männer. Wer zu dieser Kategorie gehört, so die Quintessenz, ist auf jeden Fall persönlich ein Profiteur des Systems. Die Kontrollfrage, ob das denn auch empirisch stimme, schenkt man sich gern; sie könnte ja die triumphale Pointe ins Wanken bringen.

Der erwähnte Schlachtruf ist die Begleitmusik einer Kampagne, die den alten weissen Männern genüsslich ihr Unrecht vorhält. Sie sollen sich bewusstwerden, dass sie ihre gesellschaftliche Position nicht eigener Leistung, sondern lediglich der gesellschaftlichen Privilegierung der Merkmale alt, weiss, männlich zu verdanken haben.

Die Ähnlichkeit dieses grossflächigen Shitstorms mit der Debatte über den Bildungskanon täuscht. Denn anders als bei jener ist an der pauschalen Anschuldigung alter weisser Männer nichts Diskussionswürdiges. Wer auf der Basis einer sozialstatistischen These allen Individuen mit den Merkmalen alt, weiss, männlich ein bestimmtes individuelles Verhaltensmuster – nämlich illegitime Aneignung gesellschaftlicher Statusvorteile – andichtet, erliegt einem Kategorienfehler. Anfängern gibt man den Merkspruch mit: «Statistics do not apply to individuals.» Zudem ist die Tatsächlichkeit eines hohen Status im Einzelfall kein Beweis dafür, dass dieser auf illegitimem Weg erreicht wurde.

Natürlich ist der Unterhaltungswert höher, wenn in Social Media und Talkshows die angeblichen Missetäter persönlich aufs Korn genommen werden, als wenn man sich in Fachdebatten mit der langwierigen Veränderung eines gesellschaftlichen Systems plagt. Der Erkenntnis dient der Quoten und Klicks bringende Pranger aber nicht. 

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