Der dänische Maler Vilhelm Hammershøi (1864–1916) ist hierzulande wenig bekannt. Zu Unrecht! In seinen Bildern äussert sich ein unruhiger Geist von hintergründiger Modernität, die vorausgreift zu Giorgio de Chirico, Edward Hopper oder Gerhard Richter.
Mit «Silence» ist die hochkarätige Hammershøi-Schau bei Hauser & Wirth Basel überschrieben. Still sind namentlich die Interieurs, die bevorzugte Bildgattung dieses Malers, der gemäss Zeugnissen von Zeitgenossen auch selbst am liebsten geschwiegen hat. Wenn Menschen vorkommen in seinen hallenden Räumen, erscheinen sie fast immer in Rückenansicht und ohne Bezug zum Umfeld. Selbst wenn ausnahmsweise zu Gruppen versammelt, sind sie Vereinzelte. Aber auch in den wenigen Landschaften und menschenleeren Stadtansichten herrscht gespenstische Ruhe.
Vilhelm Hammershøi (1864–1916) malt keine besinnliche Stille. Seine intimen Sujets erscheinen nur bei flüchtiger Betrachtung als Genrebilder; sie zeigen weder Putziges noch Herzerwärmendes und erzählen keine moralischen Geschichten. Auch die häufig vorgeschlagene Einordnung von Hammershøis Werk in den Symbolismus liegt gründlich falsch, denn die Bilder verweisen auf keine «höheren» Botschaften oder Sinndimensionen. Für die symbolistische Schublade ist der Däne zu radikal.
In Hammershøis Bildkompositionen geschieht nichts. Die im Genrebild dominante Narration wird geradezu demonstrativ verweigert. Ehefrau Ida, Hammershøis bevorzugtes Modell, hat in vielen seiner Interieurs eine statuenhafte Präsenz. Weshalb steht sie im Bild von 1901 (oben), vom Betrachter abgewandt, dicht neben dem Tafelklavier in einer Ecke des Raums? Auch im Bild von 1898 (unten) ist sie mit dem Rücken zum Betrachter am Bildrand platziert. Vor sich hält sie ein weisses Tuch, neben ihr ein Möbel mit aufgeklappter Tischplatte, auf dem als visuell dominantes Objekt ein schlanker weisser Kerzenständer hervorsticht. Das Bild ist nicht lesbar, es bleibt verschlossen.
In Hammershøis Szenerien herrscht Stille, aber keine Ruhe. Die Rätselhaftigkeit seiner Interieurs ist beunruhigend und abgründig. Es ist die Stille von Giorgio de Chiricos surrealen Stadtlandschaften, die hier, noch in altmeisterlicher Verkleidung, sich eine Generation voraus schon ankündigt. Unvorbereitet ist dieses Aufbrechen fester Gewissheiten, dieser Sturz aus der Geborgenheit eines geschlossenen ästhetischen Kosmos bei Hammershøi allerdings nicht. Er hat seinen Landsmann Søren Kierkegaard gelesen. Dessen Bücher – sie befinden sich in seiner privaten Bibliothek – fokussieren auf den Einzelmenschen und dessen unausweichlich eigene Entscheidung über seine ganze Existenz. «Entweder – Oder» heisst der Titel von Kierkegaards bekanntestem Werk, das bereits vorausweist auf die Existenzphilosophie eines Sartre oder Camus. In ähnlicher Weise wie Kierkegaard als Philosoph dem unter dem Einfluss Hegels herrschenden Systemdenken seiner Zeit das Faktum der nackten Existenz entgegengesetzt hat, so liegt auch Hammershøi mit seinen doppelbödigen und radikalen Bildern mit den damals gängigen Erwartungen an Kunst überkreuz.
Mit seiner Abweichung vom herrschenden Kunstkanon ist er schon als Kunststudent nicht allein. Er schliesst sich einer freien Kunstschule an, die unzufriedene Studenten aus Protest gegen den veralteten Unterricht an der Königlichen Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen gegründet haben. Und gleich mehrere seiner frühen Arbeiten lösen Skandale aus. Seine vordergründig konventionelle Malweise täuscht die Kunstwächter nicht. Sie spüren ganz richtig, dass in diesen Bildern ein unruhiger Geist am Werk ist, der ihren Konsens über eine den gesellschaftlichen Konventionen verpflichtete Kunst leise aber unerbittlich aufkündigt.
Vilhelm Hammershøi und seine Frau Ida reisen viel. Sie verbringen längere Perioden in Paris und vor allem in London. Von besonderer Bedeutung ist für Hammershøi die niederländische Genremalerei des Golden Age, die er bei Aufenthalten in Holland und Belgien studiert. Die Vorbildwirkung Jan Vermeers, aber auch Pieter de Hoochs und anderer ist an seinen Interieurs deutlich abzulesen.
Die zeitgenössischen Entwicklungen der Malerei vom Impressionismus bis zum Fauvismus und Expressionismus hat Hammershøi selbstverständlich mitbekommen. Doch er geht unbeirrt seinen eigenen Weg. Aber auch wenn er eine altmeisterliche Malweise pflegt, ist er kein Konservativer. Hammershøi ist auf eigenständige Weise modern. Seine Bildsprache weist voraus auf die Œuvres eines Edward Hopper oder Andrew Wyeth. Selbst in frühen Arbeiten Gerhard Richters lassen sich Bezüge zu Hammershøis Lichtmalerei entdecken.
Immer wieder haben Interpreten darauf hingewiesen, dass Hammershøis Bilder bei einem Späteren, der ihn nicht gekannt hat, einen besonders deutlichen Widerhall finden. Im Werk Giorgio Morandis, der vor allem durch seine Stillleben berühmt ist, zeigt sich eine tiefe Geistesverwandtschaft mit dem Dänen. So wie Morandi seine immergleichen Vasen, Krüge und Töpfe auf dem Ateliertisch arrangiert und mit reduzierter Farbpalette in kreidigem Licht malt, so rückt Hammershøi in der Kopenhagener Wohnung an der Strandgade seine Möbel zurecht, um die befremdlichen Szenerien der immer neu gestalteten Interieurs zu erzeugen. Beides sind Vorwände, um etwas nicht Darstellbares malen zu können. Morandi geht es letztlich um das Mysterium, dass überhaupt Etwas und nicht vielmehr Nichts ist. Vielleicht fehlt bei Hammershøi eine solch positive Spiritualität: In seinen Bildern lauert das herandrängende Nichts. Kierkegaard nannte es die «Die Krankheit zum Tode». Eine Ahnung davon zeigt sich im verborgenen Gehalt von Hammershøis Werk.
Hammershøi ist in Europa ausserhalb Skandinaviens seltsamerweise wenig bekannt. In kunsthistorischen Überblicksdarstellungen kommt er praktisch nicht vor. Dass dem Dänen in der Schweiz nie eine Einzelausstellung gewidmet war, ist ein eklatanter Mangel, dem die Galerie Hauser & Wirth jetzt abhilft. Mit sechzehn Bildern stellt sie das eminente Werk Hammershøis in Basel vor. Die kleine, aber repräsentativ bestückte Ausstellung wird begleitet von einem schönen Katalog, der mit Texten des Hammershøi-Spezialisten Felix Krämer und des Schriftstellers Florian Illies eine ausgezeichnete Einführung bietet. – Eine ideale Gelegenheit, das enigmatische Werk des dänischen Malers kennenzulernen. Und hoffentlich Ansporn für ein Museum, sich dieses Malers mit einer grossen Ausstellung anzunehmen.
Hauser & Wirth Basel, Luftgässlein 4, 4051 Basel:
Vilhelm Hammershøi – Silence
Öffnungszeiten:
Di–Fr 14:00–18:00 Uhr, Sa 11:00–16:00
Öffnungszeiten während der Art Basel 10.–16. Juni:
9:00–19:00 Uhr
Katalog: Hauser & Wirth Publishers