In Bezug auf das internationale Tanzgeschehen kann ihr in der Schweiz niemand was vormachen. Da kennt sie sich aus wie vermutlich sonst kaum jemand im Lande. Isabella Spirig ist künstlerische Leiterin des von Migros Kulturprozent ausgerichteten Tanzfestivals «Steps», das in den kommenden Wochen in allen Teilen der Schweiz stattfindet.
Jetzt sitzt sie noch im Grossraumbüro in der Nähe des Viadukts im Zürcher Kreis 5. Der Blick schweift auf den Prime Tower, aber auch auf den Schornstein der Kehrichtverbrennungsanlage. Ab 7 April wird ihr Blick aber wieder mehr auf den Tanz in Theatern jeglicher Grösse gerichtet sein. Auf Gruppen, Solisten, und Choreografen, insgesamt etwa 160 Tänzerinnen und Tänzer aus neun Ländern, die in der Schweiz antanzen.
Vierzig Schweizer Bühnen sind bereit für insgesamt 90 Vorstellungen, die von rund 30'000 Zuschauern besucht werden dürften. Isabella Spirig hat alle Produktionen bereits gesehen. Mit Ausnahme einer Weltpremiere. Bei dieser Uraufführung handelt es sich um «Força Forte», eine Choreographie von Gilles Jobin, dem Träger des Schweizer Tanzpreises 2015. Es geht – gemäss Programmtext – um die «abstrakte Dekonstruktion einer Beziehung». Wie diese Abstraktion dann auf der Bühne wirkt, darauf ist Isabella Spirig ebenso neugierig wie das Publikum.
Isabella Spirig hat aber auch Tanzproduktionen besucht, die nun nicht im Rahmen von «Steps» auftauchen, weil man zum Beispiel keinen gemeinsamen Termin für Truppe und Festival finden konnte. Im Laufe der zwei Jahre, die zwischen den jeweiligen «Steps»-Festivals liegen, ist Isabella Spirig jedenfalls viel auf Reisen. «Manchmal habe ich natürlich auch schon Videos einzelner Compagnien gesehen, dann hat man schon eine Idee, wie das aussehen könnte. Oft aber muss man es erst live sehen, um ein Programm richtig zu beurteilen», sagt Spirig, die sich nun seit rund zwanzig Jahren um »Steps» und das Tanzgeschehen im Migros Kulturprozent kümmert.
Am Anfang war der Tango
Spirigs Interesse am Tanz geht auf ihre Jugend zurück. Der Tango hatte es ihr angetan. Sie gründete die Gruppe «Las Tangueras», die ausschliesslich aus Frauen bestand, und ging damit auf Tour. Sehr erfolgreich übrigens. Die Gruppe trat auch im benachbarten Ausland auf und Isabella Spirig kam an den Punkt, sich zu überlegen, ob sie nun noch einen Zacken zulegen wollte, um endgültig den Sprung in eine Profilaufbahn zu wagen, oder nicht.
«Dann hatte ich die Möglichkeit, beim Migros Kulturprozent den Fachbereich Tanz zu übernehmen. Ausserdem gab es noch ein ganz anderes Angebot. Ich habe mir dann gesagt, dass die Laufzeit einer Tanzkarriere beschränkt ist und ich vielleicht doch lieber vom aktiven Tanzen zum aktiven Tanz-Organisieren wechsle.» Gesagt, getan. Und Isabella Spirig bereut den Schritt zu «Steps» nicht. Der Tanz ist ihr geblieben. Beruflich, aber auch privat, dann allerdings nur noch als Freizeit-Vergnügen.
Schweiz ohne Tanztradition
Zwischen Musik und Theater ist der Tanz eine eigene Sparte, die von manchen als elitär angesehen wird. Isabella Spirig kann das gut nachvollziehen. «Besonders in der Schweiz hat der Tanz keine eigentliche Tradition,» sagt sie. «In Ländern mit Adelshäusern ist der Tanz am Hof immer gepflegt worden. Auf der Bühne, aber auch in Form von Gesellschaftstänzen. Also in Frankreich, Italien, Österreich oder England hat Tanz eine ganz andere Stellung als bei uns, in der Schweiz ‘fremdet’ man eher damit». Gleichzeitig ist der Tanz aber in den letzten Jahrzehnten auch immer mehr auf der Strasse angekommen, Hip-hop, Breakdance, das ist «Street dance», der mit der Globalisierung auch zu uns gekommen ist. Und von «elitär» kann bei diesen Tanzstilen keine Rede mehr sein, so artistisch sie auch sein mögen.
«Steps» steht immer unter einem Motto. «Zukunft» heisst es dieses Mal. Ein weiter Begriff. Wie ergibt sich denn ein Motto? Wird das am Schreibtisch ausgedacht und sucht man dann Tanzproduktionen, die dem Motto entsprechen? «Das ist unterschiedlich. Oft liegt es einfach in der Luft,» sagt Isabella Spirig. «Das Motto ‘Zukunft’ entstand aus meinem persönlichen Interesse an wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen, die mich beschäftigen und die sowieso auf uns zukommen. Fragen, die sich zum Beispiel mit dem Älterwerden befassen, die Begegnung mit Fremden zum Thema machen oder das Zusammenleben mit Robotern, die in unser Leben eingreifen. Das sind Entwicklungen, die uns gegenwärtig alle sehr beschäftigen.»
«So haben wir nun einerseits ‘Eun-Me Ahn’ aus Südkorea eingeladen, die uns in ‘Dancing Grandmothers’ Perspektiven auf das Alter zeigen, und es tanzen tatsächlich ältere koreanische Bäuerinnen mit in dieser Ode an das Leben. Andererseits präsentiert der taiwanesische Choreograf Huang Yi eine Begegnung zwischen Mensch und Roboter. Das ist zeitgenössischer Tanz und Robotertechnologie zu Musik von Arvo Pärt, Bach und Mozart». Dies zu einer Zeit, in der Roboter in Pflegeheimen durchaus schon Realität werden. Grundsätzlich sei die Tanzkunst aber ohnehin auf die Zukunft ausgerichtet, meint Isabella Spirig, denn Tanz sei flüchtig und vergänglich und müsse sich daher immer wieder neu erfinden. Tanz sei so eine Art Wegweiser in die Zukunft, oder eben: ein Schritt in die Zukunft.
Grosse Gruppen faszinieren
Was kommt denn beim Publikum am besten an? Da hat Isabella Spirig schliesslich ihre Erfahrungen in allen Landesteilen machen können, in grossen und in kleinen Städten. «Es sind vor allem die grösseren Gruppen, in denen viele Tänzer auftreten. Das fasziniert das Publikum am meisten.» Aber nicht nur. Denn eine Solo-Performance oder ein zeitgenössischer Pas-de-deux findet ebenfalls sein Publikum. So haben seit Beginn im Jahre 1988 bis zur vergangenen «Steps»-Ausgabe fast 400'000 Interessierte den Weg in eine Aufführung gefunden. Das ist sozusagen die Gesamtbevölkerung der Stadt Zürich. Und es waren nicht weniger als 2'550 Künstler, die bis und mit dem diesjährigen «Steps»-Festival in der Schweiz aufgetreten sind. Beeindruckende Zahlen.
Darüber, was das alles kostet, macht das Migros Kulturprozent als privater Förderer keine Angaben. Dass «Steps» aber zu den Grossanlässen gehört, ist klar. Insbesondere auch logistisch sind viele Mitarbeitende beteiligt, um die verschiedenen Tanzgruppen von einem Aufführungsort zum anderen quer durch die Schweiz zu transportieren und unterzubringen.
Jetzt geht es also los mit dem diesjährigen Jahrgang von «Steps». In Gedanken beschäftigt sich Isabella Spirig aber auch schon mit der nächsten Ausgabe in zwei Jahren. «Dann feiern wir ’30 Jahre Steps’,» sagt sie. Und gibt es da schon ein Motto? «Noch nicht definitiv,» so Spirig, «aber es schweben mir schon zwei, drei vor.» Eines könnte vielleicht einfach «30 Jahre» heissen, denn 30 Jahre, das ist ja auch ein weiter Begriff, allerdings etwas begrenzter als die «Zukunft», in die »Steps» dieses Jahr hineintanzt.
Das Tansfestival «Steps» findet von 7. April bis 1. Mai an vierzig Spielorten in der ganzen Schweiz statt.