Hunderte weiterer ukrainischer Kämpfer, die wochenlang im Stahlwerk Asowstal in Mariupol ausharrten, haben kapituliert und sich in russische Hände begeben. Drohnenaufnahmen zeigen, wie russische Soldaten Dutzende offenbar verwundete Ukrainer auf Bahren aus dem Werk tragen. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums haben sich bisher 1’730 ukrainische Kämpfer ergeben. Russische Medien berichten, dass sich noch zahlreiche Kämpfer im Stahlwerk befinden.
Das IKRK, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, erklärte, es habe «Hunderte» als Kriegsgefangene registriert.
Die Evakuierten werden von den Russen in Bussen in eine «Gefangenenkolonie» in Oleniwka bei Donezk gebracht. Was mit ihnen geschieht, ist unklar. Russland will nun entscheiden, ob sie als «Kriegsgefangene», «Kriegsverbrecher» oder «gewöhnliche Verbrecher» behandelt werden sollen. Angehörige fürchten, dass die ehemaligen Kämpfer lange, lange Zeit nicht freigelassen werden. Die ukrainische Regierung und Angehörige der Kombattanten fürchten, dass sich die Russen an ihnen rächen werden. Bei dem wochenlangen Kampf um das Stahlwerk Asowstal haben die Russen und pro-russische Kräfte schwere Verluste erlitten.
Laut der dritten Genfer Konvention müssen Kriegsgefangene «menschenwürdig» behandelt werden. In Russland gibt es Stimmen, die sagen, die Asowstal-Soldaten seien keine Kriegsgefangenen, sondern Verbrecher. Für sie würden die Genfer Konventionen nicht gelten.
Der Senat billigt 40 Milliarden-Paket
Der amerikanische Senat hat am Donnerstag mit klarer Mehrheit ein militärisches und humanitäres Soforthilfepaket für die Ukraine gebilligt. Damit investieren die USA in den Krieg bisher insgesamt rund 54 Milliarden Dollar. Mit 86 zu 11 Stimmen wurde das Paket gutgeheissen. Auch viele Republikaner stimmten dafür.
Die New York Times schreibt dazu: Die relativ reibungslose Annahme des Gesetzesentwurfs «hat gezeigt, dass die erschütternden Bilder des Leids in der Ukraine und die Befürchtungen, dass sich die russische Aggression über die Grenzen des Landes hinaus ausbreiten könnte, den Widerstand beider Parteien gegen eine amerikanische Beteiligung am Krieg im Ausland – zumindest vorläufig – überwunden haben».
Milley spricht erstmals mit Gerassimow
General Mark Milley, der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs der Streitkräfte der USA hat am Donnerstag erstmals seit Beginn des Krieges mit dem russischen General Waleri Gerassimow telefoniert. Gerassimow ist Chef des Generalstabes der Streitkräfte Russlands und erster stellvertretender Verteidigungsminister. «Die militärischen Führer erörterten mehrere sicherheitsrelevante Fragen und vereinbarten, die Kommunikationslinien offen zu halten», heisst es in einer Mitteilung des Pentagon.
«Konstruktive Gespräche» mit der Türkei
Schweden und Finnland wollen mit der Türkei Gespräche aufnehmen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan stemmt sich gegen eine Aufnahme der beiden nordischen Länder in die Nato. Erdoğan wirft Schweden und Finnland vor, «Terroristen» aufzunehmen. Vor allem stört er sich daran, dass beide Länder Mitgliedern verbotener kurdischer Truppen Asyl gewähren.
Der finnische Präsident Sauli Niinistö und die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson waren im Weissen Haus von Präsident Biden empfangen worden. Andersson lobte die «tiefe und langjährige Freundschaft mit den USA».
Die Situation in der Ukraine erinnere die Schweden «an die dunkelsten Tage der europäischen Geschichte», und in «dunklen Zeiten ist es gut, unter engen Freunden zu sein», sagte sie. Die Nato werde mit Schweden und Finnland gestärkt werden. «Wir sind Sicherheitsanbieter mit hochentwickelten Verteidigungskapazitäten» und haben eine «lange Tradition der umfassenden militärischen Zusammenarbeit mit der Nato», sagte sie.
Schweden werde versuchen, mit der Türkei die anstehenden Probleme zu klären.
Auch der finnische Präsident Niinistö sprach die Probleme mit der Türkei an. Finnland werde sich voll und ganz für die Sicherheit der Türkei einsetzen. «Wir nehmen den Terrorismus ernst, wir verurteilen den Terrorismus in all seinen Formen und wir engagieren uns aktiv für seine Bekämpfung», sagt er.
Niinistö fügte hinzu, dass «offene und konstruktive» Gespräche mit der Türkei bereits im Gange seien und in den kommenden Tagen fortgesetzt würden.
Es gibt Beobachter, die sagen, die Türkei wolle für die Zustimmung eines Nato-Beitritts von Schweden und Finnland einen möglichst hohen Preis aushandeln.
Der türkische Aussenminister Mevlüt Çavuşoğlu befindet sich zur Zeit ebenfalls in Washington.
Suspendierung russischer Kommandanten?
Da die russischen Vorstösse nicht nach Plan verlaufen, hat der Kreml mindestens zwei Kommandanten seiner Streitkräfte suspendiert. Dies berichtet der britische Verteidigungsgeheimdienst am Freitag. Die Kommandanten werden für die Nichteinnahme von Charkiw und den Untergang des russischen Flaggschiffs «Moskwa» verantwortlich gemacht.
Der Donbass, eine «Hölle»
«Der Donbass ist völlig zerstört», sagte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj am Donnerstagabend in seiner täglichen Ansprache. Die Russen seien dabei, die Ostukraine in «eine Hölle» zu verwandeln. Es gebe auch pausenlose Angriffe auf die Region Odessa und auf Städte in der Zentralukraine.
«Für all dies gibt es keine militärische Erklärung», sagte er. «Dies ist ein vorsätzlicher und krimineller Versuch, so viele Ukrainer wie möglich zu töten. So viele Häuser, soziale Einrichtungen und Unternehmen wie möglich zu zerstören.»
40’000 ukrainische Soldaten im Donbass
Der Krieg entscheidet sich voraussichtlich im Donbass, diesem alten industriellen ukrainischen Kernland. Nachdem sich die Russen aus der Region Kiew zurückgezogen hatten, intensivieren sie ihre Bemühungen um eine «Befreiung» des Donbass. Diese Bemühungen bestehen vor allem darin, Dörfer und Städte und andere zivile Ziele mit Bomben zu belegen. Eine Eroberung des Donbass wäre ein schwerer Schlag für die ukrainische Regierung. Deshalb hat die ukrainische Militärführung etwa 40’000 ihrer besten und kampferprobtesten Soldaten in der Ostukraine zusammengezogen. Sie werden immer mehr mit westlichen Waffen ausgerüstet. Im Norden ist es den ukrainischen Truppen gelungen, die Russen zurückzudrängen. Auch in der Region Luhansk und Donezk sind die russischen Bemühungen ins Stocken geraten.
Bomben auf Sewerodonezk
Russische Streitkräfte haben die ostukrainische Stadt Sewerodonezk (Sjewjerodonezk) bombardiert. Dabei sind nach Angaben der Regionalgouverneurs mindestens 12 Menschen getötet und 40 verletzt worden. Die russischen Streitkräfte hätten «wahllos mit schweren Waffen» angegriffen, sagte Serhij Gajdaj, der Gouverneur der Region Luhansk. Dabei seien vor allem Wohnhäuser getroffen worden. «Die Bombardierungen dauern an», fügte Gajdaj hinzu. Sjewjerodonezk liegt nordwestlich von Luhansk.
Eine Million Rückkehrer
Mehr als eine Million ukrainische Flüchtlinge sind in ihre Heimat zurückgekehrt. Dies sagte Vadym Prystaiko, der ukrainische Botschafter in Grossbritannien. Die Flüchtlinge würden ihre Angehörigen, ihre Heimat und ihre Arbeitsplätze vermissen. Zudem hätten viele Probleme mit der Integration im Westen. Viele bekunden auch Komplikationen im Umgang mit westlichen Behörden. Die Bürgermeister von Kiew und Charkiw haben die Menschen aufgefordert, nicht in ihre Städte zurückzukehren, da die Lage noch immer unsicher sei.
Lebenslange Haft gefordert
Der Prozess gegen den 21-jährigen russischen Panzerkommandanten Vadim Schischimarin geht weiter. Schischimarin hat zugegeben, den 62-jährigen Zivilisten Oleksandr Schelipov erschossen zu haben. Shelipov fuhr auf einem Velo, als Schischimarin mit einer Kalaschnikow auf ihn feuerte. Die Witwe des Getöteten erschien am Prozess und fragte den 21-Jährigen, ob er seine Tat bereue. Schischimarin gab seine Schuld zu und entschuldigte sich. Laut der Staatsanwaltschaft erhielt Schischimarin offenbar den Befehl eines Vorgesetzten, den 62-Jährigen zu töten. Bei dem Prozess handelt es sich in diesem Krieg um das erste Gerichtsverfahren gegen einen beschuldigten Kriegsverbrecher. Die Staatsanwaltschaft fordert eine lebenslange Haft. Laut ukrainischen Medienberichten setzt sich Russland nicht mehr für ihn ein und hat ihn «fallen gelassen».
Cherson wird russisch
Das südukrainische Cherson, die erste Stadt, die die Russen in diesem Krieg erobert hatten, wird russisch. Wolodymyr Saldo, der von Russland eingesetzte Gouverneur der Stadt, sagte, die Region werde bald «vollständig in die Russische Föderation integriert». Die Bewohner Chersons können – «sobald sich die Lage stabilisiert hat» – die russische Staatsbürgerschaft beantragen.
Schröder tritt aus Rosneft-Aufsichtsrat zurück
Der deutsche Altkanzler Gerhard Schröder war wegen seiner Russland-Connections zunehmend unter Druck geraten. Schröder ist ein enger Freund Putins und hat nach seiner Abwahl als Bundeslanzler im Jahr 2005 diverse Posten bei russischen Energiekonzernen bekleidet, zuletzt unter anderem den des Aufsichtsratsvorsitzenden bei Rosneft. Von diesem Posten tritt er nun zurück.
Da Schröder sich weigerte, Russland wegen seines Angriffskriegs auf die Ukraine zu kritisieren, und von seinen Mandaten bei russischen Konzernen nicht zurücktreten wollte, wurde er von der SPD-Spitze zum Austritt aus der Partei aufgefordert. Schröder reagierte nicht darauf.
Gestern hat ihm nun der Haushaltsausschuss des deutschen Bundestags die Altkanzler-Vergünstigungen (Büro mit Angestellten, Fahrbereitschaft) gestrichen. Allerdings begründete man den Schritt nicht mit Schröders russischen Engagements, sondern mit der neuen Bestimmung, solche Vergünstigungen stünden Altkanzlern nur noch zu für die Erfüllung von Aufgaben im Zusammenhang mit dem früheren Kanzleramt.
Stärkeren Eindruck als dieser Entzug des Altkanzler-Privilegs (im vergangenen Jahr ging es um 400’000 Euro) machte auf Schröder vermutlich der Plan der EU, ihn und die österreichische Ex-Aussenministerin Karin Kneissl mit persönlichen Sanktionen zu belegen. Auch Kneissl ist wegen allzu enger Beziehungen zu Putin in der Kritik.