Mit diesem Bus sind am Freitag 50 Zivilisten aus dem umkämpften Stahlwerk in Mariupol evakuiert worden. Auch am Samstag wurden 50 Frauen, Kinder und ältere Menschen aus dem Werk in Sicherheit gebracht. Insgesamt seien 176 Zivilisten evakuiert worden. Dies erklärt ein Sprecher der sezessionistischen prorussischen «Volksrepublik Donezk».
Wird laufend aktualisert
- Erneut russische Schiffe versenkt?
- Evakuierungen in Mariupol
- Was hat Putin vor?
- Ukrainische Gegenoffensive bei Charkiw
- Kämpfe bei Kramatorsk
- Moderner russischer Panzer zerstört
- Cherson, «für immer russisch»
- Sicherheitsrat äussert sich erstmal
- Jill Biden in Bukarest
«Die Russen hörten nicht auf zu schiessen»
Alle Frauen, Kinder und ältere Menschen seien aus dem Werk herausgeschafft worden, erklärten die prorussischen Kräfte. Ob sich noch zivile Männer im Stahlwerk befinden, ist unklar. Sicher ist, dass in den Bunkern des Werks Dutzende Leichen liegen. Gerettete sprachen von «apokalyptischen Zuständen» in den Unterständen des Stahlwerks.
Im Werk harren noch etwa 1500 bis 2000 ukrainische Kämpfer aus. Die Ukraine befürchtet, dass die russische Armee nach der Evakuierung der Zivilisten das Stahlwerk endgültig stürmen und unter den Kämpfern ein Blutbad anrichten wird.
Die ukrainische Vize-Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk wirft Russland vor, die Feuerpause für die Evakuierung aus dem Asowstal-Werk wiederholt verletzt zu haben. Organisiert wird die Evakuierung vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz IKRK und von der Uno.
Der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andriy Jermak, erklärte am Samstag auf Telegramm, dass «die Evakuierung der Menschen aus dem Asowstal-Stahlwerk sehr schwierig war. Die Russen provozierten ständig, hörten nicht auf zu schiessen und kämpften weiter».
«Aber wir haben es geschafft, 50 Zivilisten zu retten. Es handelt sich um Frauen, Kinder und ältere Menschen», sagte er. «Unsere Evakuierungsaktion wird fortgesetzt, wir werden nicht aufhören», sagte Jermak.
Die selbsterklärte Volksrepublik Donezk teilte ebenfalls mit, dass am Samstag 50 Menschen aus Asowstal evakuiert worden seien.
Die russischen Truppen versuchen in diesen Stunden alles, um das Werk vor dem 9. Mai endgültig zu erobern.
Beschuss während Evakuierung
Drei ukrainische Soldaten wurden am Freitag bei dem Versuch getötet, Zivilisten aus der Stahlfabrik Asowstal in Mariupol zu evakuieren, sagte Michailo Vershinin, der Chef der städtischen Patrouillenpolizei. Vershinin, der sich in der Fabrik aufhält, sagte, dass eine Rakete und eine Granate einschlugen und die Soldaten tötete. «Sechs Menschen wurden verwundet, einige von ihnen schwer», fügte er am Samstag in einer Sprachnachricht hinzu. «Im Spital des Werks gibt es keine Medikamente, keine Anästhesie, keine Antibiotika.»
Was hat Putin vor?
Putin nutzte im Jahr 2014 den 9. Mai um die Annexion der Krim zu feiern. Nachdem er die Parade auf dem Roten Platz abgenommen hatte, reiste er nach Sewastopol auf der Krim und hielt vor Tausenden eine Rede.
Dieses Jahr wollte er zunächst die Annexion der gesamten Ukraine und dann zumindest die Annektierung des östlichen Landesteiles feiern. Daraus wird nichts. Die Ukrainer leisten erbarmungslosen Widerstand.
Der «Tag des Sieges über Nazi-Deutschland», den Russland jedes Jahr am 9. Mai mit grossem Pomp und vielen Emotionen feiert, hat dieses Jahr eine spezielle Bedeutung. Er findet statt, während Russland den grössten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg angezettelt hat.
Zu feiern gibt es also nichts. Was wird Putin ankündigen? Muss sich der Kreml damit begnügen, die Eroberung von Mariupol und eventuell den Anschluss der Region Cherson zu verkünden? «Das wäre fast schon eine Schmach für ihn», erklärt ein amerikanischer Geheimdienstmann. «Putin, der die ganze Ukraine wollte, muss sich mit zwei einzigen Städten begnügen ...»
Russland hat im Zweiten Weltkrieg den grössten Blutzoll aller Kriegsparteien bezahlt: 28 Millionen Russinnen und Russen – Zivilisten und Soldaten – wurden getötet. Der 9. Mai ist deshalb für die meisten Russen denn auch nicht ein «Tag des Sieges», sondern ein Gedenktag für die Toten.
Erneut russische Schiffe versenkt?
Das ukrainische Militär hat bei der Schlangeninsel ein russisches Amphibienangriffsschiff versenkt. Dies meldet die ukrainische Nachrichtenagentur Unian. «Ein feindliches Landungsboot vom Typ ‘Serna’ wurde vernichtet, hiess es. Angegriffen wurde das russische Schiff von einer bewaffneten ukrainischen Bayraktar TB2-Drohne, ein türkisches Produkt. Ein Video, das der Pressechef der Militärverwaltung in Odessa veröffentlichte, soll den Beschuss des Schiffs zeigen.
Ein von der amerikanischen Firma «Planet Labs PBC» veröffentlichtes Satellitenbild zeigt in Brand geratene russische Stellungen auf der Schlangeninsel. Das Eiland, etwa zehn Mal so gross wie ein Fussballfeld, liegt etwa 20 Kilometer vor Odessa. Wie Unian berichtet, griffen ukrainische Truppen russische Stellungen auf der Schlangeninsel an.
Möglicherweise wurde auch die russische Fregatte «Admiral Makarow» versenkt oder beschädigt. Sie sei von einer ukrainischen «Neptun»-Rakete getroffen worden, berichtet Unian. Träfen diese Informationen zu, wären sie ein weiterer psychologischer Schlag für die gesamte russische Schwarzmeerflotte und für die russischen Streitkräfte allgemein. Die «Admiral Makarow» ist nach der Versenkung der «Mosva» eines der wichtigsten Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte. Bisher gibt es weder von offizieller ukrainischer noch von russischer Seite Reaktionen zu diesen Meldungen.
Ukrainische Gegenoffensive bei Charkiw
Der Kampf um die zweitgrösste ukrainische Stadt tritt nach Ansicht eines angesehenen amerikanischen Thinktanks in die entscheidende Phase. Die Stadt wird seit Kriegsbeginn fast täglich mit Raketen und Artillerie beschossen. Hunderte Menschen, Zivilisten und Soldaten, sind ums Leben gekommen.
Laut dem amerikanischen «Institute for the Study of War» haben die ukrainischen Armee-Einheiten eine Gegenoffensive gestartet und einige umliegende Dörfer und Gebiete zurückerobert.
Charkiw liegt direkt beim ostukrainischen Donbass. Ziel der Russen war es gewesen, die gesamte Ostukraine bis zum 9. Mai zu besetzen und zu annektieren.
Kämpfe rund um Kramatorsk
Russland versucht offenbar, in den letzten Tagen vor dem 9. Mai im Osten noch möglichst viel Boden gutzumachen. In der Region Kramatorsk und Sewerodonezk sind heftige Kämpfe ausgebrochen. Sewerodonezk, eine Stadt mit früher 100’000 Einwohnern, liegt zwischen Luhansk und Kramatorsk. Die Separatisten rückten nach eigenen Angaben vor, stiessen aber auf Scharfschützen und Drohnen. In den Vororten von Sewerodonezk wird nach ukrainischen Angaben gekämpft. Die Stadt sei eingekesselt.
«Es geht um Ihr Leben»
Die Ukraine erwartet im Vorfeld der russischen Feierlichkeiten zum 9. Mai verstärkte Raketen und Luftangriffe. «Ich bitte alle Bürgerinnen und Bürger – besonders in diesen Tagen – die Luftschutzsirenen nicht zu ignorieren», sagte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj am Freitaggabend in seiner täglichen Ansprache. «Bitte, es geht um Ihr Leben, um das Leben Ihrer Kinder.» Den Ukrainern und Ukrainerinnen ist es derzeit auch verboten, Wälder in den ehemals besetzten Gebieten zu besuchen, weil dort «eine grosse Gefahr durch Minen und Stolperdrahtminen besteht, die das russische Militär hinterlassen hat». «Halten Sie sich unbedingt an dieses Verbot», erklärte Selenskyj.
«Für immer russisch»
Russland wird die südukrainische Stadt Cherson «für immer» kontrollieren, sagte der russische Parlamentsabgeordnete Andrej Turtschak bei einem Besuch in der Stadt. Cherson ist neben Mariupol die einzige grössere Stadt, die die Russen in dem zehnwöchigen Krieg erobert haben. «Russland ist für immer hier. Daran sollte es keinen Zweifel geben. Es wird kein Zurück in die Vergangenheit geben», sagte Turtschak. Letzte Woche kündigten die Behörden die baldige Einführung des russischen Rubels an, um die Kontrolle durch Moskau zu normalisieren. In der Stadt gab es immer wieder Demonstrationen gegen die russischen Besatzer. Beobachter halten es für möglich, dass Putin am 9. Mai den Anschluss Chersons an Russland verkünden wird. Geplant ist, die ukrainischen Pässe der Einwohner von Cherson mit russischen Pässen zu tauschen.
«Tiefe Besorgnis»
Zum ersten Mal hat der Uno-Sicherheitsrat, dem Russland angehört, eine Erklärung zur Ukraine verabschiedet. Die Worte «Krieg», «Konflikt» oder «Invasion» fehlen jedoch. Stattdessen drücken die 15 Mitglieder des Sicherheitsrates ihre «tiefe Besorgnis über die Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit in der Ukraine» aus. Sie bekundete ihre «starke Unterstützung» für Generalsekretär António Guterres bei der Suche nach einer friedlichen Lösung für den seit zehn Wochen andauernden «Streit». Bisher hat die Vetomacht Russland alle Versuche, eine Erklärung zur Ukraine zu verabschieden, vereitelt.
Mehr US-Waffen
Die USA wollen der Ukraine mehr Waffen, Artillerie, Munition, Radar und andere militärische Ausrüstungen schicken.
«Die Vereinigten Staaten setzen ihre starke Unterstützung für das tapfere ukrainische Volk fort, das sein Land gegen die anhaltende Aggression Russlands verteidigt», sagte Präsident Joe Biden.
«Wir schicken die Waffen und die Ausrüstung, die der Kongress genehmigt hat, direkt an die Frontlinien der Freiheit», fügte er hinzu.
Ein amerikanischer Beamter sagte, das jüngste Waffenpaket habe einen Wert von 150 Millionen Dollar.
Russland zahlt «einen hohen Tribut»
Der Krieg in der Ukraine fordert von den russischen Streitkräften einen «hohen Tribut», erklärt der britische Militärgeheimdienst am Samstag. Sowohl den russischen Armee-Einheiten als auch ihrer Ausrüstung würden die Ukrainer «erheblichen Schaden» zufügen.
«Mindestens einer» der modernen russischen Panzer T-90M sei zerstört worden. Der T-90M, eine modernere Version des T-90A, ist mit einer verbesserten Panzerung gegen Panzerabwehrwaffen ausgestattet. Russland setzt vermutlich etwa 100 solcher Panzer ein. Laut ukrainischen Quellen wurden 18 T-90A und ein T90M zerstört. Überprüfen lässt sich das nicht.
Das britische Verteidigungsministerium erklärte, es werde «viel Zeit und Geld kosten, bis Russland seine Streitkräfte nach diesem Konflikt wieder aufgebaut hat». «Aufgrund der Sanktionen, die den Zugang zu wichtiger Mikroelektronik verhindern, wird es eine besondere Herausforderung sein, modernisierte und fortschrittliche Ausrüstung zu ersetzen.»
Wieder Raketen auf Odessa
Russland hat am Freitagnachmittag erneut zwei Raketen auf die Schwarzmeer-Stadt Odessa abgefeuert. «Glücklicherweise gab es keine Verletzten», sagte der örtliche Militärgouverneur Maxim Marchenko.
Die Behörden in Odessa haben angekündigt, dass vor, während und nach dem 9. Mai eine Ausgangssperre für die Hafenstadt und ihre Umgebung verhängt wird. Sie gilt ab dem 8. Mai um 22:00 Uhr Ortszeit bis zum 10. Mai um 05:00 Uhr Ortszeit.
«Der Aufenthalt auf den Strassen und anderen öffentlichen Plätzen ist während des festgelegten Zeitraums ohne speziell ausgestellte Ausweise und Zertifikate verboten», zitiert die Nachrichtenagentur Interfax Ukraina einen Militärsprecher.
Jill Biden in Rumänien
Die amerikanische First Lady traf in der amerikanischen Botschaft in Bukarest mit mehreren Vertretern von Hilfsorganisationen zusammen. Dabei handelt es sich um NGOs, die Flüchtlinge unterstützen.
Ein Beamter der Vereinten Nationen teilte ihr mit, dass jeden Tag etwa 7’000 Flüchtlinge aus der Ukraine nach Rumänien kommen. Zurzeit befinden sich etwa 36’000 Flüchtlingskinder in Rumänien.
Jill Biden, eine Englischprofessorin, fragte, ob die Lehrer für den Zustrom ukrainischer Schüler angemessen ausgebildet seien. Mehrere Beamte sagten, dass die Schulen mehr Berater bräuchten, um die Lehrer besser zu schulen, damit sie den traumatisierten Kindern helfen können.
Anschliessend traf Jill Biden mit Schülern und Flüchtlingskindern zusammen.
(Wird laufend aktualisiert)
Journal 21