Eigentlich ist bildende Kunst immer Lichtkunst. Zu sehen sind die Objekte ja nur, weil sie Licht reflektieren und absorbieren. Lichtkunst in einem spezifischen Sinn waren Impressionismus und Pointillismus, die revolutionären Malstile des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, da sie visuelle Wahrnehmung und atmosphärische Effekte auf neue Weise zur Hauptsache machten.
Seit 1936 – da stellte der tschechische Künstler Zdeněk Pešánek seine ersten, aber bald wieder vergessenen Versuche mit Neonröhren an – meint der Begriff Lichtkunst aber ein Gestalten mit Objekten, die selber leuchten. Nicht viel später als Pešánek, nämlich zu Beginn der Fünfzigerjahre, pröbelte Christian Herdeg mit Lämpchen für Spielzeugbühnen; er war damals neun. Die Begeisterung für das Arbeiten mit Licht hielt an. Herdeg wurde Fotograf, Beleuchter und Kameramann.
Inspiration der Minimal Art
In Kanada und den USA, wo Christian Herdeg längere Zeit als freier Fotograf lebte, führten inspirierende Begegnungen ihn zur Kunst. Leidenschaft für Phänomene des Lichts, Hang zur Reduktion auf Elementares, Offenheit für Erscheinungsformen der Warenästhetik und ein technisch-handwerkliches Tüftlernaturell wiesen ihm den Weg zum Gestalten mit Leuchtröhren. 1971 kehrte Herdeg nach Zürich zurück und wurde bald zu einem der international herausragenden Pioniere des Lichtkunst-Genres.
Die retrospektiv angelegte Werkschau im Haus konstruktiv dokumentiert die Gradlinigkeit und innere Folgerichtigkeit seiner künstlerischen Entwicklung von den siebziger Jahren bis heute. Die Fluoreszenzröhre zwingt einerseits durch die beschränkte Formbarkeit des Materials zur Reduktion auf einfache Grundformen. Andererseits eröffnet sie durch die Verbindung mit flächigen oder skulpturalen Objekten sowie durch die schier endlosen Möglichkeiten von Lichteffekten völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten.
Christian Herdeg hat die Gesetzmässigkeiten und Spielräume seines Genres geradezu methodisch erkundet. Anfänglich von den amerikanischen Lichtkünstlern Dan Flavin und vor allem Stephen Antonakos beeinflusst, gewann er zunehmend an Statur. Auch seine eigenständige Auseinandersetzung mit der Konkreten Kunst, der amerikanischen Minimal Art und der italienischen Arte povera ist dem Œuvre anzumerken. Herdegs kontinuierliche Hinführung seiner Statements zum Elementaren spiegelt eine Strömung, welche die Kunst des 20. Jahrhunderts geprägt hat. Einzelgänger war Herdeg hingegen in der Weiterentwicklung des Materials und im gestalterischen Umgang mit Lichtwirkungen.
Kunst mit Verfalldatum
Für Leuchtstoffröhren werden verschiedene Edelgase verwendet, vor allem Neon und Argon. Das erste emittiert rötliches, das zweite bläuliches Licht. Mit unterschiedlichen Innenbeschichtungen der Glasröhren erzielt man die gewünschten Lichtfarbtöne. In Zusammenarbeit mit Chemikern der Leuchtstoffwerke Heidelberg entwickelte Herdeg in jahrelangen Versuchen über die standardisierten dreissig bis vierzig Lichtfarben hinaus eine Palette von rund dreihundert Farbtönen, darunter allein schon ein Dutzend verschiedene Weiss. In seinem Atelier in Zürich lagert er Leuchtstoffröhren in allen Farben und Grössen – seine Farbstifte, wie er sie nennt.
Die technische Entwicklung hat sich von der Leuchtstoffröhre wegbewegt, sie wird derzeit verdrängt durch LED und Dioden. Die Heidelberger Leuchtstofffabrik gibt es nicht mehr; sie war die weltweit einzige ihrer Art. Christian Herdegs Kunstwerke haben ein Verfalldatum. Es heisst, Leuchtstoffröhren würden etwa vierzig Jahre halten. Herdegs erste Arbeiten sind schon älter und könnten bald erlöschen. Einige seiner jüngeren Objekte hat er bereits mit LED realisiert. Wieder sind neue Anforderungen zu meistern und künstlerische Möglichkeiten zu explorieren. Wer sich auf die Schaffung von Lichtkunst einlässt, erzeugt Objekte, die im Vergleich zu Werken klassischer Gattungen der bildenden Kunst relativ kurzlebig sind.
Vergänglich sind nicht nur die Objekte, ephemer sind auch ihre Effekte. Das Zusammenspiel von Licht- und Farbreflexen auf den Werken, an den hinter ihnen stehenden Wänden und – je nach Art der Installation – auch im gesamten sie umgebenden Raum ändert sich mit jeder Nuance des Umgebungslichts. Schon das Öffnen einer Tür oder eine Ansammlung von Menschen im Raum kann die Lichteffekte beeinflussen.
Bezug zum Urknall der Abstraktion
Herdegs Formen- und Farbenspiele sind oft subtil und intellektuell, etwa bei „Cool Jazz“: zwei monochrome quadratische Platten, schwarz und hellgrau nebeneinander, und über der rechten grauen der weiss leuchtende Kreis eines feinen Leuchtröhrenrings. Dessen Licht wirft auf den mattgrauen Hintergrund einen feinen bläulichen Halo.
Genau in der Mitte, am Punkt, da die Trennlinie zwischen Schwarz und Grau sich mit dem Leuchtring trifft, erkennt man, dass auf der schwarzen Fläche kein Widerschein ist. Das Schwarz absorbiert das ganze Licht und schneidet ein Segment des bläulichen Kreises ab. Man kann dieses Formen- und Lichtspiel als harmonisches Objekt bewundern – und kann sich zu Gedankenspielen anregen lassen. Der linke Teil referiert selbstverständlich auf das ikonische Schwarze Quadrat Kasimir Malewitschs, das seit 1915 durch die Kunstgeschichte geistert. Provokativ und visionär nimmt es mit einem „absoluten Zeichen“ den Endpunkt des Wegs der Kunst zum Abstrakten vorweg.
Dieser Absolutheit fügt Herdeg rechts eine Variante zu diesem Urknall der Abstraktion an. Wird das Schwarz aufgehellt, so öffnen sich Möglichkeiten der Interaktion mit Licht. Das von Malewitsch im terminalen Zeichen prophetisch gesetzte Ende der Kunstgeschichte wird mit einem Epilog kommentiert. In diesem Nachwort gelten zwar weiterhin strengste Abstraktion und Reduktion, aber der von Malewitsch angedeutete Rückzug der Kunst in sich selbst und in die Kommunikationslosigkeit ist aufgehoben. Herdegs minimalistisches Werk spielt mit Lichteffekten und Bedeutungen. Es nimmt Kontakt auf. Es swingt. Cool Jazz eben.
Opulenz und Poesie
Doch Herdeg kann auch anders. Mit der Reduktion aufs Elementare lassen sich opulente Installationen bauen wie „Light Stage“ (Bild ganz oben). Oder er hält sich vordergründig an die klassische Präsentationsform des Tafelbildes und transzendiert diese mit den von den Leuchtröhren erzeugten Farbräumen ins Unabgeschlossene, prinzipiell Unendliche: „Neon/Argon Square“ erzeugt mit seiner geradezu simpel scheinenden technischen Anordnung eine Vision wie ein Blick durchs Teleskop in die Tiefen des Alls.
Bei manchen Objekten ist ein bisschen Schalk im Spiel. Wenn Herdeg eine horizontale rote Röhre durch eine davor montierte blaue verdeckt, so scheint deren blaues Licht an der Wand einen roten Widerschein zu erzeugen. Hat man dann die Spielerei entlarvt und schaut genauer hin, so entdeckt man erst die feinen Nuancen von Blau in dem roten Lichtmeer.
Verblüffend und faszinierend sind Herdegs Objekte mit Schwarzlicht-Effekten. Unsichtbares kurzwelliges Licht aus „schwarzen“ Röhren bringt scharf begrenzte fluoreszierende Flächen zum Leuchten. Die Fluoreszenz ist je nach Abstand zur Lichtquelle verschieden stark, so dass sich auf der leuchtenden Fläche eine an Magnetismus erinnernde Struktur bildet. Neben den mit sichtbarem Licht gestalteten Artefakten sind die Schwarzlicht-Objekte ein wenig irritierend. Sie konterkarieren alle naiven Vorstellungen von Lichtwirkungen und erscheinen auf den ersten und selbst noch den zweiten Blick rätselhaft.
Verletzt Christian Herdeg mit solchen Spielereien die gebotene Ernsthaftigkeit der Kunst? Überschreitet er da eine Grenze zur Schaustellerei? Entschieden nein. Er führt ja keine Tricks vor, die sich im Verblüffungseffekt erschöpfen. Die verdeckten Lichtphänomene gehören zu Herdegs poetischem Instrumentarium und funktionieren ähnlich wie der doppelbödige Witz eines René Magritte oder die lakonische Artistik bei Fischli Weiss. Christian Herdegs Werkschau im Haus konstruktiv ist präzis charakterisiert mit ihrem Titel „Lyrical Minimalism“. Sie bezaubert und verbindet üppigen visuellen Genuss mit lässig zugespielten Denkanstössen.
Christian Herdeg: Lyrical Minimalism, kuratiert von Sabine Schaschl, Museum Haus konstruktiv, Zürich, 27. Oktober 2016 bis 15. Januar 2017
Gleichzeitig im Museum Haus konstruktiv:
Nairy Baghramian: Scruff of the Neck (Supplements)/ Zurich Art Prize 2016
Fritz Glarners „Rockefeller Dining Room“, revisited by Alfredo Häberli