Man sieht es ihm an und er zeigt es auch mit Freude: Long Yu, Chefdirigent der Shanghaier Symphoniker ist stolz auf die Einladung. Und nicht nur das. Der Beifall am Konzert-Abend war überwältigend und endete in einer Standing Ovation.
Tags zuvor treffen wir uns bei einem Tee in Zürich. Das Programm, das Long Yu für Luzern zusammengestellt hat, besteht ausschliesslich aus russischen Werken: Tschaikowsky, Schostakowitsch und Avshalomov. Maxim Vengerov, der Solist, stammt ebenfalls aus Russland. Warum also alles russisch, beim Luzerner Debut eines chinesischen Orchesters? «Russland und China sind Nachbarn», sagt Long Yu. «Und während ungefähr hundert Jahren stand Russland uns näher als jedes andere Land. Auch politisch.» Shanghai habe sich damals zum kulturellen Zentrum des Landes entwickelt mit einer grossen europäischen Community. «2019 feiern wir das 140-jährige Jubiläum des Shanghai Symphony Orchesters. Während des zweiten Weltkrieges gewann es immer mehr an Bedeutung, denn viele jüdische Musiker spielten in diesem Orchester.» Bis 1949, dann wurde das Orchester komplett chinesisch. «Es ist wie ein Wunder», meint Long Yu, «während all der Jahre, der Kriege und der Revolution, sogar während der Kulturrevolution, hat das Orchester ohne Unterbruch weitergespielt. Darauf sind wir stolz und auch darauf, dass wir in China das führende Orchester sind.»
Natürlich würde es ihm gefallen, auch Chinesisches zu spielen. Aber durch die politische Entwicklung hat sich auf diesem Gebiet einige Zeit lang nichts entfalten können. «Das ändert sich aber jetzt und das nächste Mal möchte ich Werke neuer chinesischer Komponisten aufführen.» Menschen zusammenzubringen, Brücken zu bauen, das Interesse am anderen zu wecken und all dies nicht nur, aber auch dank der Musik, das wäre sein Ziel.
Ausgebildet von Arthur Honegger
Long Yu stammt selbst aus einer Musikerfamilie. «Mein Grossvater, Ding Shande, war ein bekannter Komponist. Ausgebildet wurde er eine Zeitlang sogar von einem Schweizer: am Conservatoire in Paris war Arthur Honegger sein Lehrer! Später wurde mein Grossvater Leiter des Konservatoriums in Shanghai. Ich bewahre immer noch Briefe auf, die Honegger und mein Grossvater wechselten.» Long Yus Mutter war Pianistin und seine Ehefrau ist Geigerin. Long Yu selbst begann zunächst am Konservatorium Shanghai, setzte seine Ausbildung dann an der Hochschule der Künste in Berlin fort und kehrte als Principal Conductor der Pekinger Oper nach China zurück. Gleichzeitig war er als Gastdirigent zwischen Europa, den USA und Australien unterwegs. Da unterscheiden sich chinesische Dirigenten nicht von westlichen ...
Fernweh beim Zuhören
Am nächsten Tag in Luzern. Grosse Übertragungswagen des Schweizer Fernsehens stehen neben dem KKL. Das Konzert am Abend wird aufgezeichnet im Auftrag des chinesischen Fernsehens. Um 17 Uhr soll die Probe beginnen. Kurz zuvor haben die Festival Strings in diesem Saal noch ein Konzert gegeben, das die Stadt Luzern ihren Einwohnern spendierte, und am Vormittag hat Patricia Kopatchinskaja Heinz Holligers Violinkonzert erfolgreich und auf geradezu halsbrecherische Weise aus ihrer Geige gepresst. Und nun also das Shanghai Symphony Orchestra.
Als Erstes spielen sie mit viel tschingderassa «Happy Birthday …», ein Geburtstagsständchen für Maxim Vengerov, den Star des Abends. Dann wird geprobt.
Schmelzend zart klingt es nun in der Einleitung zu Tschaikowskys Violinkonzert. Long Yu unterbricht immer wieder, gibt auf Chinesisch Anweisungen und die Streicherfraktion wiederholt die Passage. Die Kameraleute des Fernsehens üben derweil ihre Einstellungen. Zackig geht Long Yu weiter. Geprobt wird jetzt «Hutongs of Peking», ein Werk von Aaron Avshalomov, eines jüdischen Russen, der 1918 nach China emigrierte. Sein musikalisches Wissen hatte er sich übrigens am Konservatorium in Zürich angeeignet. Seine Familie hatte ihn zum Medizinstudium hierhergeschickt, aber den Sohn zog’s zur Musik. Sehr chinesisch klingt das Stück des Russen. Fremd und flott zugleich, und es macht Fernweh beim Zuhören. Dieses Stück haben die Chinesen intus, lange geprobt wird nicht.
Ein Stück fürs nächste Mal
Am Abend dann läuft alles wie am Schnürchen. Das Shanghaier Orchester begeistert das Publikum ebenso wie Solist Maxim Vengerov. Sogar Krysztof Penderecki, selbst Dirigent und Komponist, sitzt im Zuschauerraum. Kein Wunder: Long Yu und Penderecki haben auch schon zusammengearbeitet. Am Schluss gibt es dann doch noch etwas Chinesisches als Zugabe und plötzlich klingt das Sinfonieorchester ganz folkloristisch, nur viel edler …
Die chinesisch-russisch-schweizerische Veranstaltung hat bestens funktioniert. Nächste Woche treten die Chinesen in Hamburg in der Elbphilharmonie auf. Dann wird Maxim Vengerow sogar ein chinesisches Stück interpretieren. «Unglaublich, wie Maxim dieses Stück spielt», schwärmt Long Yu schon jetzt.
Wer weiss, vielleicht wäre das ja etwas fürs nächste Gastspiel in der Schweiz.