
Am Bezirksgericht in Zürich läuft ein spektakulärer Geldwäsche-Prozess. Es geht um Gelder, die ein Jugendfreund von Putin über Konten der Gazprombank in Zürich fliessen liess. Die Staatsanwaltschaft macht keinen Hehl aus ihrem Verdacht, wem die Gelder wirklich gehören.
Dieser Tage beschäftigt sich ein Richter am Bezirksgericht Zürich mit Konten und Geldflüssen, die bis ins Innerste des russischen Machtapparates reichen, möglicherweise bis zum russischen Präsidenten Vladimir Putin.
Der «Gazprombank-Prozess» ist das erste strafrechtliche Verfahren weltweit, das sich mit dubiosen Geldtransaktionen einer Figur des engsten Umfelds von Putin auseinandersetzt: Sergei Roldugin, ein Cellist und Leiter einer Musikschule, aber auch Putins Jugendfreund und Pate dessen ältester Tochter.
Laut Medienrecherchen, die als Panama-Papers-Enthüllungen bekannt geworden sind, ist Roldugin mitverantwortlich für die «Geldwäsche» von mindestens zwei Milliarden US-Dollar über verschiedene Offshore-Firmen und Banken. Eine dieser Banken soll die Gazprombank Schweiz mit Sitz in Zürich sein, eine Tochtergesellschaft der staatlich kontrollierten Gazprombank in Russland.
Richter Sebastian Aeppli, der bereits das Verfahren um den Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz leitete, wird das Urteil im «Gazprombank-Prozess» am 30. März bekanntgeben. Egal wie es ausfällt, es wird weltweit für Schlagzeilen sorgen. Das liegt nicht nur an den Geldspuren, die bis zu Putin reichen; auch der Umgang der Schweiz mit dubiosen Geldern steht auf dem Prüfstand.
Der Verhandlungstag fand am 8. März am Bezirksgericht Zürich statt. Die Staatsanwaltschaft hat konkret vier Angestellte der Gazprombank beschuldigt, weggeschaut zu haben, als Roldugin von 2014 bis 2016 als Strohmann für diverse Geldtransaktionen über die Zürcher Filiale fungiert habe. Für diese «mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften» fordert die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten bedingt für die Angeklagten.
«30 Millionen Franken gingen über die Konten eines Cellisten», sagte Staatsanwalt Jan Hoffmann während des Plädoyers vor Gericht. Zudem seien obskure Millionendarlehen ohne Sicherheiten und ohne Zins über die Konten von Roldugin und seiner Partner vergeben worden. Und dann solle Musiker Roldugin noch Mitbesitzer eines der grössten Medienunternehmens in Russland gewesen sein. «Wenn bei dieser Konstellation keine weiteren Abklärungen notwendig sind — wann dann?»
Die Anklagschrift macht deutlich, wem die Staatsanwaltschaft Roldugins Finanztranskationen wirklich zurechnet: «Es ist notorisch, dass der russische Präsident Putin offiziell nur ein Einkommen von gut CHF 100’000 hat und nicht vermögend ist, tatsächlich jedoch über enorme Vermögenswerte verfügt, welche von ihm nahestehenden Personen verwaltet werden.»
Bei der Befragung durch Richter Aeppli gewährten die vier Angeklagten zur Enttäuschung der Presse jedoch keinen Einblick in die Finanzflüsse von Putins Vertrauten. Alle vier, darunter auch der CEO der Bank, schwiegen bei der Befragung zu den Finanzgeschäften. Einzig ihre Unschuld beteuerten sie alle.
Die Verteidiger der Angeklagten konterten die Beschuldigungen der Staatsanwaltschaft jedoch entschieden. Entgegen den Argumenten von Jan Hoffmann, dass Roldugins Nähe zu Putin gegen die Angeklagten spreche, entlaste seine Nähe zu Putin die Angeklagten vielmehr, sagten sie. Auch ein Musiker könne über ein grosses Vermögen verfügen, gerade weil er ein Freund von Putin sei und deshalb wirtschaftliche Privilegen geniesse. «Günstlingswirtschaft nennt man das», sagte einer der Anwälte. Die sei moralisch verwerflich, aber in vielen Ländern üblich.
Die Verteidigung betonte auch, dass Aeppli bei der Urteilsfindung berücksichtigen müsse, dass heute mehr über Roldugin bekannt sei als während der Zeit seiner Geschäftsbeziehung mit der Gazprombank Schweiz.
Tatsächlich wurden die Panama-Papers-Berichte, die Roldugin der massiven Geldwäsche beschuldigen, erst im April 2016 veröffentlicht. Die im Fokus der Staatsanwaltschaft stehenden Konten von Roldugin wurden jedoch bereits im Jahr 2014 eröffnet.
Doch der Reihe nach:
2014: Krieg, Sanktionen und Kontoeröffnung
Spätestens im März 2014 läuteten bei den Banken die Alarmglocken. Die Compliance-Abteilungen, die bei den Banken zuständig sind für die Einhaltung der Gesetze und Richtlinien, durchforsteten die Akten ihrer russischen Kunden. Denn ab Mitte März 2014 landeten alle paar Wochen vor allem Russen und russische Unternehmen auf Sanktionslisten der USA, der EU, der Schweiz und anderer Staaten. Und keine seriöse Bank wollte gegen Sanktionen verstossen. Russische Kunden wurden plötzlich zum potenziellen Ballast.
«Little green men», russische Soldaten ohne Kennungszeichen, hatten Ende Februar 2014 die zur Ukraine gehörende Krim-Halbinsel besetzt. Gleichzeitig begannen russische Geheimdienste und Militärs im Osten der Ukraine Proteste zu schüren und einen bewaffneten Konflikt zu organisieren. Als Reaktion darauf setzen die USA und die EU Mitte März 2014 ein weitreichendes erstes Sanktionspacket gegen Russland in Kraft.
Am 20. März belegte das US-Finanzministerium dann die Bank Rossiya mit massiven Sanktionen. Sie sei die Hausbank für hohe Regierungsbeamte und werde vom engsten Kreis der Putin-Günstlinge kontrolliert, schrieb das US-Finanzministerium zur Begründung. VISA und Mastercard stellten umgehend ihre Dienstleistungen ein, Vermögenswerte der Bank in den USA wurden eingefroren, US-Unternehmen war es nicht mehr erlaubt, Geschäfte mit der Bank zu tätigen, und Sanktionsumgehungsgeschäfte wurden ebenfalls verboten. Letzteres machte es praktisch unmöglich, dass Banken ausserhalb der USA Geschäfte mit der Bank Rossiya betreiben konnten. Ansonsten drohten sie selbst sanktioniert zu werden. Eigentlich niemand ausserhalb Russlands wollte noch irgendetwas mit der Bank Rossiya zu tun haben.
Doch nur einige Wochen später eröffnet die Gazprombank in Zürich auf Vermittlung der Bank Rossiya zwei Firmenkonten. Als Kontaktangaben für die Geschäftsbeziehung werden E-Mail-Adressen der Bank Rossiya angegeben und Roldugin wird als der wirtschaftlich Berechtigte der beiden Konten angegeben. Eine von Roldugins Firmen, die gerade ein Konto eröffnet hat, besitzt 20% an Video International. Das Unternehmen ist eines der grössten Medienwerbeunternehmen in Osteuropa und wird von der Bank Rossiya kontrolliert. Das alles steht in der Anklagschrift der Zürcher Staatsanwaltschaft und wird vor Gericht von der Verteidigung nicht bestritten.
Ende September 2014 erscheint in der New York Times ein Artikel, der Roldugin mit der Aussage zitiert, dass er sicher kein Geschäftsmann und kein Millionär sei. Trotzdem fliessen in den nächsten zwei Jahren etwa 30 Millionen Franken durch die beiden Konten von Roldugin, bis die Panama Papers all dem ein Ende bereiten.
2016–2018: Panama Papers, FINMA-Untersuchung und Kontoschliessung
Im April 2016 veröffentlichte ein Verbund von Medien die Panama-Papers-Berichte. In der Schweiz ging die Angst um, dass die hiesige Finanzbranche wieder in einen Strudel von Negativschlagzeilen geraten könnte. Denn die Panama Papers legten tausende Offshore-Konstrukte offen, die häufig einen Bezug zur Schweiz hatten. Dieses Mal gerieten aber nicht die Banken ins Visier der Kritik. Vielmehr kamen Schweizer Anwaltskanzleien unter Beschuss, die für ihre Kunden Offshore-Firmen in grosser Zahl gegründet hatten.
Die Panama-Papers sind eine riesige Menge von vertraulichen Unterlagen aus den Jahren 1977 bis 2015 des ehemals weltweit viertgrössten Verwalters von Offshore-Firmen, Mossack Fonseca aus Panama. Ein anonymer Whistleblower übergab die Dokumente der Süddeutschen Zeitung. Und nach mehreren Monaten Recherchearbeit veröffentlichte ein Verbund von über 100 Medien ihre Berichte. Sie enthüllten Fälle von Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Korruption.
Ein Geldwäsche-Netzwerk mit Roldugin und der Bank Rossiya als zentrale Akteur war eine der bedeutendsten Enthüllungen der Panama Papers. Roldugin und sein Umfeld seien verantwortlich für das «Waschen» von mindesten zwei Milliarden US-Dollar, schrieb der Recherche-Verbund The International Consortium of Investigative Journalists. Und die Gazprombank Schweiz und vor allem die Zürcher Anwaltskanzlei Dietrich, Baumgartner & Partner waren laut Recherchen des Tages-Anzeigers an den Geldwäsche-Transaktionen beteiligt.
Putins Name tauchte in den Panama Papers allerdings nicht auf. Für Russland-Kennerinnen wie Karen Dawisha, ehemalige Professorin am Havighurst Center for Russian and Post-Soviet Studies an der Miami University, war es aber klar, dass solche Geldwäsche-Netzwerke nicht ohne Wissen von Putin hätten existieren können. «Wenn du der Präsident von Russland bist, brauchst du keine schriftlichen Verträge. Du bist das Gesetz», schrieb sie über Putin.
Nur zwei Tage nach der Veröffentlichung der ersten Panama-Papers-Berichte informiert die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA die Gazprombank Schweiz über die Einleitung eines Vorabklärungsverfahrens. Es betrifft Sergey Roldugins Transaktionen bei der Bank. Fünf Monate später, im September 2016, wird die Geschäftsbeziehung zwischen der Gazprombank in Zürich und Roldugin aufgelöst.
Im Februar 2018, fast zwei Jahre nachdem die Panama-Papers-Berichte erschienen sind, veröffentlicht die FINMA einen niederschmetternden Bericht über die Gazprombank. Darin steht, «dass die Gazprombank Schweiz im Zeitraum von 2006 bis 2016 schwer gegen die Sorgfaltspflichten des Geldwäschegesetzes verstossen hatte».
Als Konsequenz verbietet die FINMA der Bank, ihre Geschäftstätigkeit mit Privatkunden bis auf weiteres auszuweiten. Und die Verfehlungen sind offensichtlich so schwer, dass die FINMA das Dossier an die Zürcher Staatsanwaltschaft weiterreicht.
2019–2022: «Troika Laundromat», das Verfahren läuft
Im März 2019 wurde ein weiteres Geldwäsche-Netzwerk aufgedeckt: der «Troika Laundromat». Wieder ging es um Milliarden aus Russland, die von 2006 bis 2013 über teilweise nichtsahnende Strohmänner und Strohfirmen auf teilweise groteske Weise hin- und her verschoben wurden, um die Herkunft der Gelder zu verschleiern. Das Pressebild eines einfachen armenischen Bauarbeiters, der in einer ungeheizten Wohnung lebte und gemäss Dokumenten 40 Millionen US-Dollar an Offshore-Firmen überwiesen hatte, wurde zu einem Symbol des «Troika Laundromats». Bekannt wurde auch der Steuerberater Sergei Magnitsky, der bereits im Jahr 2008 einen Betrugsring aufdeckte, der das «Troika»-Geldwäsche-Netzwerk benutzte. Dafür wurde er in Moskau in ein Gefängnis gesperrt, wo er nach schweren Misshandlungen im November 2009 starb.
Auch die Gazprombank Schweiz und dortigen Konten von Roldugin sind von den Enthüllungen des «Troika-Laundromats» betroffen. 69 Millionen US-Dollar fliessen im Zeitraum von 2006 bis 2012 über das Geldwäsche-Netzwerk auf die Konten der Gazprombank Schweiz, 37 Millionen davon auf Konten von Roldugin. In der Anklageschrift der Zürcher Staatsanwaltschaft im «Gazprombank-Prozess» steht auch, dass bereits zwischen 2006 und 2012 verschiedene Konten von Roldugin bei der Gazprombank Schweiz geführt wurden.
Im Februar 2022 bestätigt die Zürcher Staatsanwaltschaft gegenüber der Zeitschrift Bilanz, dass gegen den CEO und andere Angestellten der Gazprombank Schweiz ein Verfahren läuft.
2022: Kriegseskalation in der Ukraine, die Gazprombank gibt auf
Am 24. Februar 2022 überfiel Russland die Ukraine. Hundertausende sind in diesem Krieg bereits getötet oder verletzt worden, über 13 Millionen Ukrainer und Ukrainerinnen wurden vertrieben. Als Reaktion darauf bestraften vor allem westliche Länder Russland mit einer noch nie zuvor gesehenen Welle von Sanktionen. Viele Länder haben die Währungsreserven der russischen Zentralbank eingefroren und die Importe von russischen Rohstoffen eingeschränkt. Und mit Ausnahme der Gazprombank sind die grossen russischen Banken komplett von den internationalen Zahlungssystemen ausgeschlossen worden. Der Bundesrat beschloss rasch, die Sanktionen der EU gegen Russland zu übernehmen.
Die Gazprombank ist als einzige grosse russische Bank von harten Sanktionen ausgenommen worden, weil die EU eine Bank braucht, um Zahlungen für noch laufende Gasimporte aus Russland abzuwickeln.
Trotzdem wird es für die Gazprombank Schweiz immer schwieriger, Geschäfte zu tätigen. Viele westliche Unternehmen beenden unabhängig von Sanktionen die Zusammenarbeit mit russischen Firmen. Weil sich kein Wirtschaftsprüfer bereit erklärt, die gesetzliche Revision für die Gazprombank Schweiz durchzuführen, teilt die Bank im Oktober 2022 mit, dass sie sich aus der Schweiz zurückziehen wird.
Die Gazprombank in Zürich wird zurzeit «abgewickelt» und irgendwann still von der Bildfläche verschwinden. Am Donnerstag wird es aber noch einmal laut um die Bank, wenn Richter Sebastian Aeppli sein Urteil im «Gazprombank-Prozess» bekanntgegeben wird. Putins Geldspuren in der Schweiz, und der Umgang der Schweiz damit, werden wieder weltweit für Schlagzeilen sorgen.