Gut zwei Stunden lang hat Putin im russischen Fernsehen bei einer Tischrunde mit 18 handverlesenen Journalisten und sogenannten Militärbloggern über Russlands Krieg gegen die Ukraine geredet. Er wurde auch nach den aktuell gültigen Kriegszielen befragt, doch seine lange Antwort blieb ein nichtsagendes Ausweichmanöver. Auf den sich verschärfenden Streit des Söldnerführer Prigoschin mit Verteidigungsminister Schoigu ging er nur mit einer indirekten Nebenbemerkung ein.
Ungewöhnlich an Putins Fernsehauftritt in dem zweistündigen Fernsehgespräch mit der offenkundig sorgfältig ausgewählten Journalistenrunde war zumindest ein Aspekt: die fast schon marathonverdächtige Länge dieser Sendung. So lange hat man den russischen Machthaber nicht mehr vor laufenden Kameras beobachten können und sprechen hören, seit er vor 15 Monaten den militärischen Überfall auf das Nachbarland Ukraine befahl. Offenkundig ging es ihm mit dieser Inszenierung nicht zuletzt darum, dem eigenen Publikum und wohl auch dem interessierten Ausland seine gesundheitliche Robustheit und Ausdauer zu demonstrieren.
Darüber kursieren seit Kriegsausbruch im In- und Ausland immer wieder allerhand Gerüchte. Soweit diese die körperliche Fitness des Kremlchefs in Zweifel ziehen, so dürften deren Glaubwürdigkeit für eine Weile nicht hoch im Kurs stehen. Die in Riga produzierte russische Oppositionsplattform «Meduza» hat einen Link zu der Sendung veröffentlicht, auf der man Putins Auftritt in voller Länge verfolgen kann.
«Das hängt von den Zielen der Spezialoperation ab»
Inhaltlich aber werden jene Interessenten enttäuscht sein, die vielleicht gehofft hatten, von Putins epischen Monologen in der Journalistenrunde irgendwelche näheren Hinweise oder Aufschlüsse über seine konkreten Kriegsziele in der Ukraine oder neue Anhaltspunkte für eine mögliche Friedenslösung zu erfahren. Zu diesen Fragen erschöpfte sich seine Rede in inhaltsleerem Geschwurbel.
Auf die erste Frage eines Journalisten, welches denn die Ziele der «speziellen Militäroperation» in der Ukraine seien und ob diese Ziele sich inzwischen verändert hätten, antwortete der Kremlchef wie folgt: «Nein, sie ändern sich je nach der aktuellen Situation, aber im Allgemeinen werden wir natürlich nichts ändern, und sie sind für uns grundlegend.» Was das nun konkret heissen soll, darüber bleibt der Zuschauer so klug wie zuvor. Bei der Bekanntgabe der Ukraine-Invasion im Februar 2022 hatte Putin davon gesprochen, es gelte das «faschistische Regime» in Kiew zu beseitigen. Davon ist jetzt nicht mehr explizit die Rede. Auch kein klärendes Wort darüber, ob Moskau nun die ganze Donbass-Region im Osten der Ukraine zu annektieren gedenkt oder sich mit der Einverleibung der fünf Provinzen zufriedengeben will, die bereits im vergangenen September formell an die russische Föderation angeschlossen wurden.
Auf eine weitere Journalistenfrage, ob eventuell eine allgemeine Mobilmachung in Russland nötig werde, antwortete Putin ebenso kryptisch: Das hänge ganz von den Zielen der Spezialoperation ab – die er ja offenkundig nicht weiter definieren will. Er fügte hinzu, im Frühjahr sei Russlands Armee ja aus der Hauptstadt Kiews wieder abezogen. «Sollen wir dorthin zurückkehren? Warum stelle ich diese rhetorische Frage? Es ist klar, dass Sie darauf keine Antwort haben, einzig ich selbst kann darauf antworten. Aber je nachdem, welche Ziele wir uns stellen, müssen wir die Frage der Mobilmachung lösen. Heute ist das nicht nötig.»
«Das ist der beste Panzer der Welt»
Auch bei dieser Antwort bleibt also alles im Nebel. Allenfalls soll dem Publikum signalisiert werden, dass Putin selber weiss, was genau er in der Ukraine erreichen will, die Katze aber nicht aus dem Sack lassen will. Er verliert auch kein Wort darüber, weshalb denn die russischen Streitkräfte nach Beginn des Überfalls zuerst nach Kiew marschiert sind, sich dann aber nach kurzer Zeit aus der Nähe der Stadt wieder zurückgezogen haben. Dieser Rückzug war zweifellos die Folge des unerwartet heftigen Widerstandes der ukrainischen Armee und bestimmt nicht so vorgesehen, auch wenn Putin weiterhin suggeriert, alles laufe nach seinen Plänen.
Zu konkreteren Aussagen lässt sich der russische Machthaber im Gespräch mit den loyalen Journalisten erst herbei, als die Rede auf die Verluste im Zusammenhang mit der vielzitierten militärischen Frühlingsoffensive der Ukraine kommt. Putin erklärt, «nach meiner Berechnung» habe die Ukraine bei diesen Angriffen bereits «25 bis 30 Prozent der vom Ausland gelieferten Technik verloren». In Zahlen beziffert er die ukrainischen Verluste mit mehr als 160 Panzern und über 360 gepanzerten Fahrzeugen. Die russische Seite habe dagegen nur 54 Panzer eingebüsst, von denen aber ein Teil wieder repariert werden könne.
Geradezu schwärmerisch spricht Putin vom russischen Panzer T-90, Modifikation «Proryw». «Das ist der beste Panzer der Welt. Wo der in Stellung geht, da können die andern einpacken», erklärt er wörtlich. Offenbar waren diese Wunderpanzer im vergangenen Jahr beim Angriff gegen die ukrainische Hauptstadt noch nicht im Einsatz, sonst hätte man ja dort nicht den Rückzug antreten müssen. Kein Thema ist für Putin auch die wesentliche Frage, weshalb die «militärische Spezialoperation» in der Ukraine trotz der angeblich überlegenen Waffentechnik 15 Monate nach Beginn der Invasion überhaupt immer noch im Gange ist und ein Ende nirgends abzusehen ist.
Muss sich der Söldnerführer Prigoschin unterordnen?
Auf den in den letzten Tagen verschärft aufgeflammten öffentlichen Streit zwischen Jewgeni Prigoschin, dem Führer der Söldnertruppe Wagner, und Verteidigungsminister Schoigu geht Putin in seinem monologisierenden Fernsehgespräch mit den meist zustimmend nickenden Journalisten nur in einer kurzen Nebenbemerkung ein, wobei der Name des aufmüpfigen Söldnerchefs nicht genannt wird. Schoigu fordert, dass alle «Freiwilligenverbände», die im Krieg gegen die Ukraine beteiligt sind, dem Verteidigungsministerium unterstellt werden. Dazu sollen bis zum 1. Juli entsprechende Verträge unterzeichnet werden. Der Chef der Wagner-Truppe hat diese Aufforderung in einer wütenden Stellungnahme abgelehnt und den Verteidigungsminister einmal mehr als unfähigen und korrupten Bürokraten attackiert.
Putin erklärte nun in seinem Fernsehauftritt, er halte die Registrierung der «Freiwilligenverbände» für eine gute Sache, mit deren vertraglichen Anbindung an die Armee würden auch die Sozialleistungen der betreffenden Söldner geregelt. Der Präsident stellt sich damit zumindest in der Sache auf die Seite seines unter Druck stehenden Verteidigungsministers. Doch das beweist noch nicht, dass er tatsächlich gewillt ist, den renitenten Söldnerführer Prigoschin, der sich mit seinen unflätigen öffentlichen Beschimpfungen in den letzten Monaten immer unverfrorener als eine Art Gegenpol zum militärischen Establishment profilierte, in die Schranken zu weisen. Selbst wenn Prigoschin zunächst einlenken sollte und die vertragliche Unterordnung unter die Armee unterschreibt, muss das keineswegs schon bedeuten, dass der abenteuerliche Söldnerführer, der offenbar über immense finanzielle Mittel verfügt, seine Rolle im putinschen Machtsystem ausgespielt hat.