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Sprach-Akrobatik

Heruntergekommene Spekulation

23. Februar 2018
Urs Meier
Der philosophische Begriff hat in der Alltagssprache eine ganz andere Bedeutung angenommen.

Spekulation hat keinen guten Ruf. „Spekulant“ ist gar ein Schimpfwort. Dabei ist der Begriff von höchst ehrenwerter Abstammung. „Spekulation“ geht auf das lateinische „speculatio“ und dieses auf das griechische „theoria“ zurück und meinte einst die ordnende, systematisierende Betrachtung der Wirklichkeit auf der Grundlage von Begriffen. Die Spekulation war gewissermassen der krönende Abschluss beim Errichten philosophischer Gedankengebäude.

Einen letzten Höhepunkt seiner philosophischen Verwendung erfuhr der Spekulationsbegriff im deutschen Idealismus. Bei Hegel und Schelling stand er im Gegensatz zum Begriff der Reflexion. Diese meint das unterscheidende Denken, das immer an unaufhebbare Gegensätze gebunden bleibt. Demgegenüber erlaubt nach Hegel der kühne Erkenntnisweg der Spekulation – und nur dieser – die denkerische Erfassung des Absoluten.

Von solchen Höhenflügen ist das Spekulieren wahrlich heruntergekommen. Das Wort wird in der Geschäfts- und Finanzwelt verortet – und dies mit Unterton. Wer hier von Spekulation spricht, unterstellt eine zumindest anrüchige Gewinnabsicht. Spekulanten suchen vermutete Marktbewegungen für sich auszunützen: Sie kaufen Güter, Immobilien, Anteile, Schuldscheine, Währungen oder was auch immer in der Hoffnung auf Wertvermehrung. Da spekulativer Profit nicht auf der Schaffung von Werten beruht, bewirkt er stets jemandes Verlust oder Mehraufwand. Daher die üble Reputation.

Nun ist allerdings das Schimpfen auf Spekulanten (wo sind übrigens in der politischen Rhetorik die Spekulantinnen?) eine zweischneidige Sache. Wir gehören nämlich alle dazu, nur schon, indem wir unsere obligatorischen Pensionskassen für uns am Markt spekulieren lassen. Wer Erspartes nicht im Strumpf unter der Matratze verwahrt, sondern in irgend einer Form anlegt, ist ebenfalls am Spekulationsspiel beteiligt. Unausweichlich involviert sind wir alle ferner durch die enge Verflechtung von Real- und Finanzwirtschaft oder auch nur schon durch die Schulden des Staates, deren Zinsen spekulativen Schwankungen unterliegen.

Entspannung ist angesagt: Wir sind alle Spekulantinnen und Spekulanten, und wir brauchen uns dabei nicht schlecht zu fühlen. Allerdings auch nicht sonderlich gut. Denn das Zeitalter der noblen, hoch geistigen Spekulation ist seit dem Ende der idealistischen Philosophie unwiederbringlich vergangen.

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