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Sprach-Akrobatik

Die Mühen der doppelten Negation

22. Februar 2019
Urs Meier
Der falsche Gebrauch von «nichts weniger als» hat sich wie eine Seuche verbreitet.

Wenn es von einer Sache heisst, sie sei «nichts weniger als ein Skandal», so heisst es aufpassen. Es kann gut sein, dass genau das Gegenteil dessen gemeint ist, was dasteht. Den Sinn der Aussage wird man nur aus dem Zusammenhang entnehmen können. Je nachdem soll nämlich ausgedrückt werden, die Angelegenheit sei so schlimm, dass das Wort «Skandal» nur knapp hinreiche, um das Empörende an der Sache zu bezeichnen. Weniger als «Skandal» zu sagen, würde nicht genügen. – Ist die Wendung so gemeint, so haben wir es mit dem missglückten Versuch einer doppelten Negation zu tun.

Missglückt ist der Versuch, weil das «nichts weniger» im vorliegenden Fall – entgegen der beabsichtigten Aussage – eben gerade sagt, nichts sei weniger ein Skandal als das Vorgefallene. «Nichts weniger als ein Skandal» heisst: alles andere als ein Skandal, überhaupt kein Skandal.

Wer mit doppelter Negation von Skandal reden will, um so das Skandalöse zu unterstreichen, muss bei der falschen Formel nur einen Buchstaben weglassen, und schon wird’s richtig: «nicht weniger als ein Skandal».

Doch wie eingangs gesagt, kann man die Aussageabsicht nur aus dem Zusammenhang herauslesen. Das «nichts weniger als ein Skandal» kann eben je nach Intention auch korrekt sein, nämlich wenn damit gesagt werden soll: Alle reden von Skandal, doch das Vorgefallene wird völlig zu Unrecht als solcher gebrandmarkt. Nichts passt weniger zu der Geschichte als das Wort Skandal. Deshalb ist die Angelegenheit «nichts weniger als ein Skandal».

Das Negieren ist eine komplexere Operation, als es den Anschein macht. Mit ihr begeben sich Sprache und Denken in die Zone des Abstrakten, und deren Tücken zeigen sich sofort, wenn die Negation verbunden wird mit weiteren Operationen wie Frage, Möglichkeitsform, Verstärkung, Verdoppelung. Im Dialekt ist die Verstärkung durch wiederholte Negation gebräuchlich: «Ich ha nie nüt verbroche.» Wer so redet, will sich nicht im Sinn der doppelten Negation als Gewohnheitsverbrecher outen, sondern mimt mittels verstärkter Negation den Unschuldsengel. Wie beim Ausruf «nein, nein!» wird hier quasi die Negation addiert, während sie in der Logik der doppelten Negation multipliziert wird: Minus mal Minus gibt Plus.

Die doppelte Negation wäre nicht so schwierig, gäbe es nicht den im Deutschen leicht zu übersehenden Unterschied zwischen «nichts» und «nicht». «Nichts» drückt das Nichtvorhandensein von etwas aus; «nicht» hingegen ist die Verneinung einer Aussage. Für eine doppelte Negation braucht es also das «nicht». Will man jedoch die Verneinung nicht aufheben, sondern verstärken, so ist «nichts weniger als ein Skandal» richtig, denn es addiert die Negativbegriffe und sagt: nichts könnte weniger ein Skandal sein als das Vorgefallene.

Die Wikipedia, die bei ihren Texten Wert auf klare Verständlichkeit legt, hat ihren Autorinnen und Autoren zu dem Thema in einem «Tipp des Tages» eine ausgezeichnete Wegleitung gegeben. Schreibende und Medien sollten sie beherzigen.

 

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