Als Zeitungen und Magazine im Zeichen der damals «Web 2.0» genannten technischen Neuerungen im Internet Plattformen für Kommentare und Diskussionen öffneten, sahen manche Beobachter ein neues Medienzeitalter heraufziehen. Endlich werde der passive Nutzer zum mündigen Bürger. Zeitgeist-Auguren setzten ein neues Wort in Umlauf: «Prosumenten», hybride Produzenten-Konsumenten also. Sie wurden als neuer Typus für mündige Mediennutzung propagiert.
Tatsächlich werden die Kommentarfunktionen rege genutzt. Grosse Online-Medien sind längst dazu übergegangen, Moderatoren zu beschäftigen, um die offensichtlich starken Mitteilungsbedürfnisse zu bändigen. Diese Gatekeeper haben die Aufgabe, Justiziables auszufiltern und allzu ungehemmte Äusserungen zu unterbinden. Je nach Thema können unerwünschte Postings den Löwenanteil des Zustroms ausmachen. Bei Themen, die nicht polarisieren und weniger Emotionen auslösen, kann es hingegen auch auf zivile Art lebhaft zugehen. Und tatsächlich wird die Utopie des Dialogs da und dort Wirklichkeit. Es sind die Highlights der Kommentarspalten.
Ähnlich wie bei gedruckten Leserbriefen herrscht jedoch in elektronischen Kommentaren vielfach ein gereizter Ton. Bei einzelnen einschlägigen Themen will die Mehrzahl der Schreiber (die männliche Form ist in diesem Fall korrekt, denn es sind anscheinend wirklich fast immer Männer) offenkundig nicht nur ihre Meinung, sondern fast mehr noch ihre Empörung kundtun: Sie herrschen die Autoren an, bemühen sich um originelle Sarkasmen, unterstellen finstere Absichten (Manipulation! Verschleierung! Verdummung!) und ringen nach Worten, um Inkompetenz und Ahnungslosigkeit der Verfasser oder anderer Kommentatoren gebührend zu brandmarken.
Dieser rhetorische Schlachtenlärm ist offensichtlich das Werk einer überschaubaren Gruppe. Schon ein flüchtiger Stilvergleich zeigt trotz der Anonymität bzw. Pseudonymität der meisten Schreiber, dass vieles aus mit der Zeit vertrauten Quellen kommt. Zudem sind bei speziellen Themen auch Gesinnungsnetzwerke tätig, die ihre immergleichen Botschaften an möglichst vielen Stellen zu deponieren trachten.
Das Genre der zornigen Botschaften ist im übrigen nicht ohne Reiz. Es lässt sich daran ablesen, welcher Formen, Stilmittel und Stereotypen sich eine Kommunikation im Modus der Empörung bedient. Allerdings, dieser Reiz verbraucht sich ziemlich rasch. Und dann ist man froh, an anderen Stellen der Website Kommentare zu finden, die so unspektakuläre Zwecke verfolgen wie das Kundtun einer Meinung, das Beisteuern eines Arguments, das Hinweisen auf vernachlässigte Aspekte. Es funktioniert nämlich durchaus, das mit dem Dialog.