Bei der Vorbereitung für ein Podium des Bezirkes Höfe im Kanton Schwyz loderte bei mir plötzlich ein Feuer auf, das eigentlich glomm. Schon während meiner ganzen Lehrtätigkeit am Gymnasium dachte ich über die „richtige“ Bildung nach, weil meine Anstellung an privaten Schulen mich zu Selbstkritik anregte. Wir standen immer im Fokus der Öffentlichkeit. Am meisten traf mich immer der Vorwurf der Chancengleichheit, die so nicht gelebt würde.
Dabei reagierte ich immer gleich – ich wollte möglichst attraktiven Unterricht bieten. Interesse wecken. Den Kanon der Literatur entstauben. Dabei halfen mir die grossen Literaten der Schweiz, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. Ihr Werk war so greifbar und gegenwartsbezogen, dass eine Auseinandersetzung mit diesen Werken gegeben war.
Lehrpersonen
Damit bin ich bereits beim wichtigsten Thema der Schulbildung, bei der Lehrperson. Ich weiss, dass jede Lehrperson beim Unterrichten grösste Freiheiten hat, die Ausrichtung seiner Lehrgegenstände festzulegen. Dabei ist bereits festlegen ein falsches Wort, als Lehrer muss ich agieren und reagieren, nicht einfach festlegen. Ich muss heute auf die Anforderungen des Schülers und der Schülerin eingehen. Das war vor vierzig Jahren genau gleich.
Wir kamen in den sechziger Jahren eigentlich gut erzogen in die Mittelschulen, wussten, dass Disziplin und Ordnung als wichtig angesehen wurden, vielleicht zu wichtig. Die Lehrer und Lehrerinnen hatten pädagogisch erst aufzurüsten, als wir erkannten, dass die Elterngeneration wichtige Wahrheiten verschwiegen. Wir revoltierten. Zuerst folgten die Strafen, nachher die Aufklärung, wahrscheinlich historisch gesehen ein gängiges, aber eben falsches Muster.
Heute sind wir auf der Gymnasialstufe in Wirklichkeit auch Pädagogen, die vielfältige Aufgaben zu bestehen haben. Wir sind gefordert durch die Integration von ausländischen Jugendlichen, durch die Wertesuche und Ökonomisierung der Jugendlichen, durch die Religionsverdrossenheit und unsicheren Zukunftsaussichten von jungen Menschen. Die Beispiele der Jugendarbeitslosigkeit aus anderen Ländern verbreiten Angst.
Dadurch ist der Weg in der Lehrerbildung auf allen Stufen vorgespurt. Wir müssen vor allem verständige Menschen sein, Pädagogen. Gleichzeitig steigert sich unsere natürliche Autorität durch unser Fachwissen und vor allem durch unser Allgemeinwissen. Dazu kommt, dass die Jugendlichen mit den neuen Technologien und sozialen Medien einen eleganteren Umgang pflegen als wir. Uns bleibt die Wertediskussion. Zusammen bilden nun Schüler und Lehrperson ein Team. Man spannt zusammen und fordert einander gegenseitig. Das Vertrauen wächst. Mit diesem Vertrauen wächst die Neugier an der Umwelt.
Neugier wecken
Das eröffnet nun ein weites Feld. Ich denke oft, dass wir als Lehrpersonen oft versagen, weil wir es nicht zustande bringen, dass Maturanden noch neugierig sind wie die Erstklässler eines Langzeitgymnasiums. Was ist da passiert? Führen wir die Jugendlichen nicht mehr in eine multimediale Welt hinein, die doch eigentlich Anreiz genug sein sollte? Beackern wir die falschen Themen? Ich erschrak, dass es an meiner Schule Lehrpersonen gab, die daran zweifelten, dass wir eine ganze Klasse zu einem Theaterbesuch verpflichten können. Falsch läuft immer etwas, wenn man jemand zwingen muss, aber eine Lehrperson muss die Menschen so weit bringen, dass ein Konzert- oder Theaterbesuch als eine bewusstseinserweiternde Aktion gesehen wird. Das wäre das Höchste.
Junge Menschen können noch gar nicht alles gesehen haben, es fehlte die Zeit dazu. Wie wäre es, wenn man auch Besuche bei Komponisten moderner Klassik einstreuen würde, um etwas von ihrem Selbstverständnis zu erfahren? Das weckt doch Interessen oder erzeugt Abneigung, lässt aber niemanden kalt. Mein schönstes Erlebnis war der Besuch der Oper „Schlafes Bruder“ im Opernhaus. Auf der Rückfahrt hatten wir im Bus eine grossartige, stürmische Diskussion über Musik und Oper und Literatur. Gegner und Befürworter gerieten sich fast in die Haare. Das war Schule.
Da muss die Lehrerausbildung noch Fortschritte machen. In den achtziger Jahren riet man den angehenden Lehrerinnen noch, sie müssten sich abschotten von der Schule, sie seien auch noch Privatpersonen. Was für ein Unsinn! Wir haben Menschen zu bilden. Das bedingt, dass wir uns mit diesen Menschen befassen und sie ernst nehmen. Ernst nehmen kennt keine Zeit. Ich habe Menschen, die mir anvertraut sind, im Leben zu unterstützen. Selbstverständlich ist das ein Prozess, der Gegenseitigkeit verlangt. Es geht uns nie besser, als wenn man persönliche Probleme eines Schülers aufgreifen und vielleicht sogar lösen kann. Das befriedigt und kann dazu führen, dass wir ausgeglichener agieren und nicht zu schnell die Flinte ins Korn werfen. Das persönliche Befinden ist gut. Die Abwechslung im Lehrerberuf ist gegeben, manchmal auch herausfordernd. Als Gymnasiallehrer fröne ich der Wissenschaft, der Pädagogik und gleichzeitig der Politik. Ich arbeite mit Menschen und möchte diese selbstbewusst werden lassen, so dass sie später in die Öffentlichkeit gehen und ihre Meinung in unserer Gesellschaft laut und deutlich vernehmen lassen. Was soll die momentane Ruhe? Bringt diese uns weiter?
Breite Allgemeinbildung – noch zeitgemäss?
Damit wir den Anforderungen der Zeit gewachsen sind, befürworte ich vor allem auch die gymnasiale Ausbildung, ohne die duale Bildung herabzusetzen. Beide Wege sind grundsätzlich richtig. Hingegen finde ich den Trend zum Kurzzeitgymnasium etwas befremdend, weil hier vor allem finanzpolitische Überlegungen angestellt werden, nicht bildungspolitische. Wenn nämlich ein Jugendlicher mit 12 oder 13 Jahren ins Gymnasium eintritt, setzt er sich in einen Zug, der ihn zur Station Matura fährt. Er beginnt diese Ausbildung, bevor die Pubertät einsetzt und andere Prioritäten setzt. Auch ein Gymnasiast pubertiert, und wie! Aber es ist eine andere Ausgangslage. Nicht der schnelle Beruf steht im Vordergrund oder das Materielle, sondern ein langer Bildungsweg mit breitem Grundwissen in vielen Teilbereichen des Lebens. Man setzt im Langzeitgymnasium die Akzente bereits fest und nimmt schon früh die Ziele des Gymnasiums auf. Selbstverständlich ist auch ein gebrochener Bildungsweg möglich, oft aber etwas beschwerlicher, weil neue Faktoren (Kollegen in Lehre, Verdienstmöglichkeiten, andere Interessen statt Bildung u.a.) den direkten Weg zur Matura stören könnten.
Für das Meistern der späteren Herausforderungen ist eine breite Bildung wichtiger denn je. Wenn heute die Berufswechsel in schnellerer Folge geschehen, so ist eine breite Grundausbildung ein wichtiges Kriterium. Der Trend hin zu Kurzzeitbildung und weniger breitem Wissen führt ins Abseits. Ein solides Wissen lässt mich vielseitig interessiert auf dem Markt. Wenn man nun die Staatskassen mit der Kürzung von Bildungsgeldern saniert und so die Steuern tief halten will, verbauen wir den Jugendlichen die Zukunft. Mit einer einzigen Woche beginnt das erst…
Was wir brauchen, ist eine Bildungsoffensive in einer recht gut entwickelten Bildungslandschaft, die wieder den Schüler und den Lehrer in den Mittelpunkt stellt, also Menschen, die miteinander die Probleme der Zukunft lösen helfen wollen. Dazu eignen sich nicht Bildungskasernen mit über 1600 Schülerinnen und Schülern, sondern übersichtliche Schulen mit nicht mehr als vielleicht 400 Schülern. Eine Qualitätssicherung wird nur dort gewährleistet, wo man sich kennt und respektiert, alles andere ist nur Feigenblattpolitik.
Da müssten auch viele inhaltliche Positionen der gymnasialen Bildung einer Überprüfung unterzogen werden. Das beginnt bei Intensivunterricht oder Sprachmonaten, während denen man vor allem eine Fremdsprache pflegt, aber auf allen Ebenen. Der heutige Immersionsunterricht würde dadurch ergänzt. Jugendliche lernen eine Sprache auf verschiedenste Weise, nicht nur im Fachunterricht. Man könnte statt die Schüler in andere Sprachgebiete zu schicken mal die Unterrichtenden verpflichten, in die Fremde zu gehen. Ich würde Deutsch in Lausanne unterrichten, meine Kollegin von Lausanne Französisch in Einsiedeln. Natürlich tönt das unausgereift. Ich will nur zum Denken anregen. Trotzdem wäre es wunderbar, für einen Monat einen französisch sprechenden Mathematik oder Sportlehrer anzuheuern. Unsere Jugendlichen wollen in anderen Sprachen kommunizieren. Wir holen sie dort ab, wo sie stehen.
Dasselbe kann ich mir im Informatikunterricht (Mathematik) vorstellen: Wieso holen wir uns nicht für ein Teilgebiet einen Informatiker der ETH, um Gymnasiasten zu unterrichten? Wir müssen in dieser Hinsicht einfach flexibler werden. Die Ressourcen liegen offen vor uns, wir sollten einfach zugreifen.
Die Schüler der Gegenwart haben andere Möglichkeiten zu arbeiten, sie lernen nach dem Prinzip „trial und error“, nicht nach dem althergebrachten Konzentrationsprinzip (konzentriere dich und sitze still). Kein Prinzip ist für sich alleine richtig, aber eine neue Mischung, die auf die Individualität abgestimmt ist, wäre vielversprechend. Beispiele gäbe es noch viele.
Privatschule oder öffentliche Schulen?
Dabei spielt nicht die Frage Privatschule oder Staatsschule eine dominierende Rolle, sondern der Wille, sich den Herausforderungen der Zeit zu stellen und Reformen nach kluger Prüfung einzuleiten. Ob da vielleicht ein Bildungsgutschein eine Wende darstellen könnte? Ich nehme es an. Dann kann ich auch eine Schule auswählen, von deren Werten und Vorstellungen ich angetan bin. Diese Wahlmöglichkeit lässt auch eine Konkurrenz zwischen den Schulen aufkommen; das ersetzt eine Qualitätssicherung als Alibiaktion, macht sie aber wertvoll für die eigene Entwicklung.
Zusammenfassend fordere ich eine Schulausbildung für unsere Jugend, die von der Aktualität ausgeht, für die Lösung von Problemen Möglichkeiten bereitstellt und über die zukünftigen Herausforderungen nachdenkt. Es darf nicht mehr passieren, dass wir im Geschichtsunterricht wider besseres Wissen über „WilhelmTell“ und „Morgarten“ in der überlieferten Form unterrichtet werden, als hätten die beiden Ereignisse wirklich stattgefunden. Hier wäre also Mythos und Wirklichkeit auseinanderzuhalten. Schon in den sechziger Jahren wurden an der Uni Freiburg andere Erkenntnisse verbreitet, so dass ich nun vierzig Jahre lang beinahe ein Verräter von „Morgarten“ bin, weil man es einfach nicht wahr haben will, was wahr ist. Da liegt Arbeit brach. In den Gymnasien und in der dualen Bildung.