Die Münchener strömen zu den Auftritten der Vielgeehrten. Weggezogene reisen an. Und doch passiert es immer öfter, dass sich der anfängliche Enthusiasmus in Ratlosigkeit wandelt: "Von der Meier bin ich enttäuscht", meinte der gewichtige Herr aus Pforzheim neben mir bei der letzten Aufführung von "Tristan und Isolde". Und seine Gattin sprach von schrillen Tönen, die sie nervös machten.
Kein Zweifel: Waltraut Meier, die grosse Wagnerinterpretin, hat nun Mühe mit ihrer einst so grossartigen Stimme. Dabei ist anzumerken, dass Wagnerpartien ja nicht nur stimmlich, sondern auch physisch grosse Anforderungen stellen. Die Violinistin Anne Sophie Mutter trainiert sich wie ein Hochleistungsportler vor jeder Tournee. Bei einem Sänger müssten die Kraft und das Durchhaltevermögen noch unmittelbarer anschlagen.
Doch gerade bei Waltraut Meier sind die vermutlichen "Zeichen der Zeit" sehr schmerzlich zu vermerken. Die grosse Wagnersängerin galt lange als die beste Brünnhilde überhaupt und ihre Darstellungen der Isolde riss das Publikum an allen grossen Opernhäuser der Welt zu Ovationen hin - wegen ihrer einzigartigen darstellerischen wie stimmlichen Ausdruckskraft. Diese hat sie auch heute noch.
Unreine Töne
So waren auch in dieser Aufführung die Liebesduette mit dem überzeugenden Tristan Robert Dean Smith und der berühmte Liebestod so hinreissend gesungen, dass sie tief berührten. Doch immer, wenn die Musik Kraft, grosse Emotion oder gar Pathos verlangte, kamen die Schwierigkeiten. Diese Passagen wurden entweder so leise und nach innen gesungen, dass sie vom Orchester völlig übertönt wurden.
Oder aber die Töne kamen, weil herausgepresst, unrein und teilweise misstönend herüber - vor allem, wenn sie schon länger sang. Nach einer langen Pause funktionierte die Stimme anfangs perfekt. So wurden die Zuhörer durch ein Wechselbad bewegt: Brillanz wechselte mit Schwäche, grosse Stimmentfaltung mit Misstönen. Auch ihre hochgeschätzte Artikulation, die Libretto-Texte verständlich macht, ohne dass man sie den Hals verrenkend über der Bühne lesen muss, litt unter den Mühen der Stimme.
Meier selbst muss sich dieser Schwierigkeiten am besten bewusst sein. So sang sie bei der Saisoneröffnung der Mailänder Scala 2010 in der "Walkyre" nicht wie üblich die Partie der Brünnhilde, sondern die leichtere und kürzere der Sieglinde. Auf erstaunte Anfragen bei ihrem Agenten erwiderte dieser, dass Frau Meier die Brünnhilde nicht mehr singen werde. Ein bezeichnender Kommentar dazu war: „Ohne Meiers Brünnhilde werden wir den am schönsten und innigsten gesungenen 3. Akt dieser Oper vermissen. Doch wird sich Waltraut Meier mit ihrem Verzicht nur einen Gefallen tun.“
Muss es denn immer Wagner sein?
Die Brünnhilde wurde in Mailand von der jungen Nina Stemme gegeben; zur allgemeinen Zufriedenheit. Die Italiener waren aber auch mit der Meierschen Sieglinde nicht zufrieden. "E troppo vecchia", fotzelten Stinchelli und Suozzo, die beiden Opernkritiker in ihrer täglichen Radiosendung "La barchaccia" am nächsten Tag. Nur ein nördlicher Kritiker bescheinigte, dass bei einer derartigen Ausdruckskraft gelegentliche Stimmschwierigkeiten nicht so sehr ins Gewicht fielen.
Doch was ist nun zu tun? Der legendäre Tenor Alfredo Kraus sang noch mit über 70 Jahren auf der Bühne, und zwar hervorragend dank seiner ausgeklügelten Gesangstechnik, dem sorgsamen Schonen seiner Stimme sowie einer strengen Auswahl des Repertoirs. Wagneropern sind keine dabei gewesen; die hätten die Stimme zu sehr beansprucht. In München wurde Waltraut Meier als Isolde nochmals gefeiert, wenn auch nicht so frenetisch wie früher.
Die Kammersängerin ist erst 55 Jahre alt. Sie ist immer noch klassisch schön mit der stolzen Haltung einer wagnerischen "Lichtgestalt". In Rom begeisterte sie ein ausverkauftes Haus im "parco della musica" mit einem Rezital. Im Januar war sie in Zürich vier Mal als Santuzza in Pietro Mascagnis Operneinakter Cavalleria rusticana zu erleben. Dem Werk, in dem sie 1972 in der Rolle der Lola an der Würzburger Oper debütiert hatte. Alfredo Kraus scheute sich nicht gegen Ende seiner Karriere, auch leichtere Kost zu geben.
Muss es denn immer Wagner sein? Vielleicht nach dem Jubiläumsjahr nicht mehr.