Für einige Jahre solle der Patentschutz für Covid-19-Impfstoffe ausgesetzt werden, damit auch in ärmeren Ländern die Pandemie wirksam bekämpft werden könne. Diese Ankündigung der US-Regierung vom 6. Mai ist auf positives Echo bei der WHO-Spitze und zahlreichen NGOs gestossen; gleichzeitig hat sie die Aktien der betroffenen Pharmaunternehmen abstürzen lassen. Bidens überraschender Vorstoss wird sehr gegensätzlich beurteilt. Aus dem globalen Süden kommt grosse Zustimmung, während zum Beispiel der Schweizer Bundespräsident vor einer Schwächung des Innovationsgeistes in der Pharmaindustrie warnt. Selbst bei WHO-Experten sind die Meinungen geteilt.
Kritische Fragen sind durchaus am Platz. Die amerikanische Haltung wirkt bislang wenig konsistent, denn nach wie vor behindern die USA nicht nur den Export von Vakzinen, sondern auch von Grundstoffen zu deren Herstellung. Will Biden vielleicht seinen Kurs beim Impfstoff generell in Richtung Freizügigkeit ändern, nachdem der Impferfolg im eigenen Land einmal weit genug fortgeschritten ist? Die blosse Ankündigung eines Vorstosses bei der WTO ist noch kein Tatbeweis.
Selbst wenn der US-Vorstoss bei der WTO durchkommt, ist noch nicht viel gewonnen. Eine Sistierung des Patentschutzes allein produziert keine zusätzlichen Impfdosen. Dazu braucht es in Ländern des Südens Fabrikationsanlagen, Know-how und hoch spezialisierte Fachleute. Die Herstellung des Comirnati-Vakzins von Pfizer Biontech beispielsweise erfolgt in über 50’000 einzelnen Schritten. Anfängliche Schwierigkeiten von Spitzenfirmen beim Hochfahren ihrer Produktion haben gezeigt, wie anspruchsvoll die Herstellungsprozesse sind. Die Fabrikation von Hightech-Vakzinen hängt an Voraussetzungen, die in den meisten Ländern erst geschaffen werden müssen.
Damit dies schnell genug geht, muss die Pharma mit im Boot sein. Ihr einfach per WTO-Dekret ins Geschäft einzugreifen und eine Rolle anzuweisen, dürfte keine Erfolgsgarantie sein. Mit Partnern verhandelt man. Hierbei haben diejenigen Staaten, die über Jahrzehnte Milliardensummen in Grundlagenforschung und in die Entwicklung der neuartigen Vakzine investiert haben, zweifellos eine starke Position. Sie könnten etwa auf vergünstigte Lizenzen hinwirken oder Patente aufkaufen und Lizenzen gratis erteilen. Einzelne Firmen haben bereits ihre Kooperationsbereitschaft signalisiert, damit auf globaler Ebene der Kampf gegen Covid-19 aufgenommen werden kann.
Die unglaublich rasche Entwicklung und Zulassung der Covid-19-Vakzine ist ein historischer Erfolg. Er beruht auf einer beispiellosen gemeinsamen Anstrengung von Forschung, Pharma und Behörden. Diesen Spirit gilt es mitzunehmen in die nächste Phase, die weltweite Kampagne gegen Corona.