Die Regierungsumbildung kam nach einer bemerkenswerten Entwicklung zustande. Seit seiner Einsetzung 2014 hat al-Abadi versprochen, er wolle gegen die Korruption in der Regierung einschreiten. Der Irak gilt seit der amerikanischen Invasion von 2003 als eines der korruptesten Länder der Welt.
Fallende Öl-Einnahmen
Die Reinigungsbemühungen des Ministerpräsidenten wurden dringender als zuvor, als der Irak im Verlauf des vergangenen Jahres durch den fallenden Erdölpreis die Hälfte seines Staatseinkommens verlor. Al-Abadi unternahm einige Schritte, die er von sich aus vornehmen konnte, indem zahlreiche hohe Regierungschargen aufhob, deren Inhaber bisher nicht mehr getan hatten, als Gehälter zu beziehen und im Gegenzug den Machthabern Beifall zu zollen.
Blockierung im Parlament
Doch tiefer in die korrupten Ministerien einzugreifen, erwies sich für den Regierungschef als schwierig oder unmöglich wegen des System des Parteien-Proporzes, das in der amerikanischen Zeit eingeführt worden war. Es hatte dazu geführt, dass die verschiedenen Parteien und Interessengruppen, im Irak nennt man sie parlamentarische Blöcke, ihre Parteigänger in die Ministerien entsandten, indem sie die Posten und Positionen untereinander verteilten.
Kompetenz war nie das entscheidende Kriterium für eine Anstellung sondern die Zugehörigkeit zu der jeweils richtigen Gruppe. Versuche des Ministerpräsidenten, den Augiasstall auszuräumen, stiessen auf Widerstand der Parlamentarier, weil die Abgeordneten auf die Unterstützung durch ihre Protégés angewiesen sind, um ihre Parlamentssitze zu bewahren, oder sogar um ihre Privatkassen aufzufüllen.
Murren in der Bevölkerung
Sogar die Unterstützung der Säuberungskampagne durch den angesehendsten Ayatollah des Iraks, Ayatollah Sistani und seine Sprecher, fruchteten wenig, um die Kampagne voranzubringen. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung der Hauptstadt nahm zu, weil sehr offensichtlich war, dass die Ministerien die ihnen gestellten Aufgaben nicht lösten und bloss Geld verschlangen, das nun seit dem Ölpreiszerfall sehr viel knapper geworden war.
Seit dem vergangenen Sommer gab es regelmässige Demonstrationen in Bagdad als Proteste gegen die Korruption und die Unfähigkeit der Ministerien für Dinge zu sorgen wie Trinkwasser, genügend Elektrizität und Benzin.
Sadr und die schiitischen Armenviertel
Mitte März schaltete Muqtada al-Sadr sich ein. Er ist der Sohn, und Schwiegersohn zweier berühmter schiitischer Gottesgelehrter, die heute als Märtyrer gelten, weil sie beide von Saddam Hussein umgebracht worden waren. Seit der amerikanischen Invasion, die ihm die Heimkehr aus dem Exil ermöglichte, spielte Muqtada al-Sadr eine wichtige Rolle als der Held und Anführer der mittellosen Massen von irakischen Schiiten, welche die grossen Elendsquartiere von Bagdad bewohnen. Zeitweise hat er eine Miliz inspiriert, die gegen die amerikanische Besetzung kämpfte.
Nach ihrer Niederkämpfung durch die Amerikaner hatte sich Muqtada während Jahren vorwiegend in Iran aufgehalten, um dort theologischen Studien zu obliegen. Seine bewaffnete Miliz hatte er aufgelöst, doch sie bestand fort als eine zivile Organisation, die sich der Interessen der schiitischen Unterschichten annahm. Nach wie vor waren die "Sadristen" in der Lage Millionen von Wählern zu mobilisieren.
Als Ministerpräsident Nuri al-Maleki nach der Eroberung Mosuls durch den IS im Sommer 2014 zu Fall kam, waren die Stimmen der Sadr- Anhänger wichtig, um die Mehrheit herbeizuführen, die al-Abadi erlaubte, Ministerpräsident zu werden.
Protestlager vor der Grünen Zone
Sadr rief seine Anhänger auf, am Eingang und an den Stacheldraht- Verhauen, welche die sogenannte Grüne Zone in Bagdad gegen den Rest der Millionenstadt abschirmen, zu demonstrieren und Protestlager zu errichten. Die Grüne Zone war ursprünglich der Sitz der amerikanischen Besetzungsbehörden gewesen.
Dorthin waren auch die ersten parlamentarischen Versammlungen von Irakern zusammengerufen worden. Mit dem Abzug der Amerikaner wurde die Grüne Zone, nach wie vor streng bewacht, Parlamentssitz, Regierungsbezirk und diplomatische Zone.
Drohgebärde
Sadr drohte, seine Massen würden dort eindringen, wenn es nicht bis zum 22. März zu einer neuen Regierung käme. Sie schlugen Zelte auf und lagerten vor den Eingängen in die Zone. Muqtada al-Sadr selbst hatte dort sein eigenes Zelt. Er forderte, die neuen Minister sollten nicht als Parteivertreter ernannt werden sondern als ausgewiesene Technokraten. Er wies seine Gefolgsleute an, zunächst vor den Toren und Stacheldrähten zu bivakieren, bis der Termin abgelaufen sei.
Al-Abadi, möglicherweise nicht unzufrieden mit dem Druck von der Strasse, der seine Bestrebungen verstärkte, schritt zu Verhandlungen mit den Parlamentariern über die geforderte Technokratenregierung.
Erfolgreicher Druck der Sadristen
Die Verhandlungen erwiesen sich als so zäh, dass das Ultimatum Sadrs und seiner Demonstranten mehrmals verlängert werden musste. Sadr selbst begab sich in die Grüne Zone, um zu verhandeln. Er wies seine Gefolgsleute an, vor den Toren zu verweilen. Er erklärte ihnen, er selbst werde sie in der Grünen Zone vertreten.
Die Gefahr eines Einbruchs der schiitischen Massen in den privilegierten Regierungsbezirk war so gross, dass sie schliesslich die Parteipolitiker zum Nachgeben zwang. Jedenfalls so weit, dass al-Abadi schlussendlich die neue Techokratenregierung aufstellen konnte.
Reinigung innerhalb der Ministerien?
Die neu ernannten Minister gelten als tatsächlich frei von parteipolitischen Bindungen. Ihre erste Aufgabe wird es nun sein, ihre Ministerien von wenig qualifizierten Beamten zu befreien, die ihre Posten erhalten haben und weiter besetzt halten, weil sie von den Parteipolitikern auf sie befördert worden waren.
Die irakischen Beobachter sagen, dass dies keine leichte Aufgabe sein wird. Die Ministerien seien vollgestopft von derartigen Politprofiteuren. Doch mit der Ernennung der neuen Minister, so hoffen sie, sei immerhin ein gewichtiger Schritt voran zustande gekommen.