Von Karnevalsstimmung keine Spur. Zwei Wochen vor dem für die einheimische Bevölkerung wichtigsten Ereignis des Jahres, das jeweils Hunderttausende von Besuchern anlockt, patrouillieren in den Strassen von Salvador da Bahia Soldaten mit gepanzerten Fahrzeugen und schweren Waffen. Sie sollen die Welle der Verbrechen stoppen, die ein Streik von Teilen der Polizei ausgelöst hat.
Mordrate verdoppelt
Etwa ein Drittel der 31 000 Sicherheitskräfte des brasilianischen Gliedstaates hat vor einer Woche die Arbeit niedergelegt, um ihren Forderungen nach mehr Lohn und besseren Arbeitsbedingungen Nachdruck zu verleihen. Die Untätigkeit der für Sicherheit und Ordnung zuständigen Militärpolizisten hatte verheerende Folgen. Laut offiziellen Angaben wurden seit dem Streikbeginn in Salvador da Bahia, der mit gegen drei Millionen Einwohnern drittgrössten Stadt Brasiliens, mehr als 80 Menschen umgebracht. Die ohnehin schon hohe Mordrate mit durchschnittlich 6,1 Morden pro Tag hat sich damit verdoppelt. Kriminelle Banden nutzen darüber hinaus die Abwesenheit der Sicherheitskräfte für Raubzüge, Überfälle und Plünderungen.
Elitetruppe soll es richten
Ein Ende des Konflikts ist nicht absehbar. Der Gouverneur von Bahia, Jaques Wagner, wirft den Streikenden vor, „mit illegalen Methoden in der Bevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten“. Gegen zwölf Streikführer wurden Haftbefehle erlassen. Sie werden der kriminellen Organisation, des Raubes und des Vandalismus beschuldigt. Die Regierung in Brasília hat am Wochenende 40 Mann einer Eliteeinheit der Bundespolizei nach Salvador entsandt, um die Angeschuldigten festzunehmen.
Ein Teil der Streikenden hat sich bewaffnet im Parlamentsgebäude verschanzt. Laut einheimischen Medienberichten sollen sich mehr als 4000 Menschen im Parlament befinden, unter ihnen auch Familienangehörige der Polizisten. Marcos Pisco, Präsident der Polizeigewerkschaft und einer der Anführer des gerichtlich untersagten Arbeitskampfs, warnte in einem Telefongespräch mit dem Nachrichtenportal „G1“, dass „eine bewaffnete Truppe gegen eine andere kämpfen könnte, sollte das Militär das Gebäude stürmen“.
Ungenügend ausgebildet und schlecht bezahlt
Auch wenn sich der Konflikt in Bahia hauptsächlich um die Lohnfrage zu drehen scheint: Er macht einmal mehr deutlich, wie defizitär Brasiliens Polizeiinstitutionen sind. Die Polizisten in Südamerikas grösstem Land sind nicht bloss schlecht bezahlt, sie wurden auch zu wenig sorgfältig ausgewählt und nur unzureichend auf ihre schwierige Aufgabe vorbereitet. Weil sein Lohn so tief ist, erliegt mancher Gesetzeshüter leicht der Versuchung, mit Verbrechern gemeinsame Sache zu machen und auf diesem Weg sein Gehalt aufzubessern.
Menschenrechtsorganisationen prangern auch des Öfteren willkürliche Polizeigewalt an. Insbesondere die Polícia Militar, die gemäss der brasilianischen Verfassung für den Schutz und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zuständig ist, macht immer wieder mit Gewaltexzessen von sich reden. Viele Sicherheitskräfte, so klagen Nichtregierungsorganisationen, wüssten Gewalt nur mit noch mehr Gewalt zu beantworten. Opfer extralegaler Hinrichtungen durch Polizisten sind grösstenteils arme Schwarze zwischen 15 und 24 Jahren.
Grosse Kluft zu den Bürgern
Die willkürliche Gewalt ist neben der weit verbreiteten Korruption innerhalb der Polizeiapparate eine der Hauptursachen dafür, dass ein grosser Teil der Brasilianer kein Vertrauen in die Sicherheitskräfte hat, ja sich sogar vor ihnen fürchtet. Wen wundert es da, dass die streikenden Militärpolizisten in Salvador da Bahia in der Bevölkerung nicht mit viel Sympathie rechnen können. Und das keineswegs allein deshalb, weil sie mit ihrer Kampfaktion ausgerechnet mitten in den Karnevalsvorbereitungen starteten.