Er kam als politischer Quereinsteiger in den Regierungspalast und musste ihn jetzt vorzeitig durch die Hintertür verlassen. Mit überwältigender Mehrheit entschieden die beiden Parlamentskammern, dass Fernando Lugo, Paraguays erster linksgerichteter Präsident, nicht mehr länger die Geschicke des Landes lenken dürfe. Der ehemalige Bischof, so begründeten sie ihr politisches Urteil, habe sein Amt schlecht geführt und trage insbesondere die Verantwortung für die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Landbesetzern und Ordnungskräften vor gut einer Woche. Beim Massaker in einem abgelegenen Ort etwa 380 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Asunción sind mindestens elf Kleinbauern und sechs Polizisten ums Leben gekommen.
Das Amtsenthebungsverfahren wickelte sich im Rekordtempo ab. Lugo, dem für seine Verteidigung ganze zwei Stunden zugestanden wurden, blieb der Sitzung im Senat fern. Er liess sich durch drei Anwälte vertreten, die genauso gut hätten zuhause bleiben können. Angesichts der eindeutigen Positionen und Kräfteverhältnisse im Parlament bestand von Anfang nicht der geringste Zweifel über den Ausgang des Prozesses.
Zwei Männer – zwei Welten
Eine knappe Stunde nach dem erzwungenen Abgang von Lugo leistete bereits sein Nachfolger den Amtseid. Neuer Präsident ist der bisherige Vize Federico Franco. Der 49-jährige Spitzenpolitiker der Liberalen Partei war 2008 zusammen mit Lugo gewählt worden. Der stramme Neoliberale und der frühere Befreiungstheologe hatten jedoch praktisch vom ersten Augenblick an Differenzen, die sich je länger, je mehr als unüberwindbar herausstellten. Ihr Zweckbündnis bestand die Bewährungsprobe im politischen Alltagsgeschäft nicht. Als der Präsident nach den blutigen Zusammenstössen zwischen Landbesetzern und Polizisten einen Vertreter der oppositionellen konservativen Colorado-Partei zum neuen Innenminister ernannte, kam es endgültig zum Bruch zwischen ihm und der liberalen Partei.
Lugo, der nach seiner Absetzung ein Jahr vor dem ordentlichen Ablauf seiner Amtszeit erstaunlich gelassen wirkte, erklärte in einer Radioansprache, er akzeptiere den Entscheid des Parlaments, obwohl seine Verteidigungsrechte missachtet worden seien. Das Urteil sei ein Schlag gegen die Demokratie. „Was hier vorgeht ist schlimmer als ein Staatsstreich“, sagte Lugo, „es ist ein als legaler Vorgang getarnter Putsch des Parlaments.“
Nachbarn drohen mit Sanktionen
Die Aussenminister der Union Südamerikanischer Staaten (Unasur), sehen in der Art und Weise, wie das paraguayische Parlament sich ihres demokratisch gewählten Staatsoberhauptes entledigt hat, ebenfalls eine Bedrohung der demokratischen Ordnung. Sie hatten vergeblich versucht, den Sturz von Lugo zu verhindern oder zumindest dafür zu sorgen, dass er sich anständig verteidigen konnte.
Brasiliens Staatschefin Dilma Rousseff kündigte an, dass Paraguay aus der Unasur, der Argentinien, Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Chile, Ecuador, Guyana, Paraguay, Peru, Surinam, Uruguay und Venezuela angehören, sowie aus der Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) ausgeschlossen werden könnte. Noch deutlicher äusserten sich die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner sowie ihre Kollegen Hugo Chávez in Venezuela und Rafael Correa in Ecuador. Alle drei bekundeten ihre Solidarität mit Lugo und erklärten, dass ihr Land die durch einen „Staatsstreich“ an die Macht gekommene neue Regierung nicht anerkenne.
Allein auf weiter Flur
Federico Franco, der eine Stunde nach Lugos Sturz als Präsident vereidigt wurde, sieht sich damit nicht bloss mit grossen internen Herausforderungen konfrontiert, er muss auch gegen die Isolation seines Landes in der Region ankämpfen. Auf die Frage, wie er dies bewerkstelligen wolle, antwortete er in seinem ersten TV-Interview nach der Amtsübernahme ausweichend. Er betonte bloss mehrmals, dass der abrupte Machtwechsel „in absolut verfassungsmässiger Form“ über die Bühne gegangen sei und er seinen Aussenminister beauftragen werde, unverzüglich mit den Kollegen in der Unasur Kontakt aufzunehmen und „die Situation zu klären“.
Alte Versprechen…
Auch über seine Regierungspläne liess er sich nur unverbindlich aus. Wie schon Lugo und andere Präsidenten vor ihm versprach er, die überfällige Landreform, ohne die Paraguay nie zu politischer Stabilität finden wird, voranzutreiben. Viel Zeit, den Absichten Taten folgen zu lassen, bleibt dem wenig charismatischen neuen Staatschef nicht. Bereits im April 2013 finden Neuwahlen statt, und die Verfassung verbietet ihm eine Kandidatur für die nächste Amtsperiode.
Wichtige Projekte wie die Agrarreform waren im Übrigen in den vergangenen Jahren nicht allein deshalb blockiert, weil es Lugo an politischer Erfahrung und Tatkraft fehlte und er oft zu schnell Kompromisse einging. Nicht selten scheiterte er auch daran, dass neben der Opposition auch seine angeblichen Hauptverbündeten, die Liberalen, ihm Steine in den Weg legten, wo sie nur konnten. Der ehemalige Kirchenmann dürfte sich des Öfteren gesagt haben, dass er mit solchen „Freunden“ nicht auch noch Feinde brauchen würde.
… und ewig gleiche Machtspiele
Auch wenn Franco und die anderen Parteifürsten beteuern, einzig und allein zum Wohle des Landes gehandelt zu haben: Bei Lugos Amtsenthebung war auch wahltaktisches Kalkül im Spiel. Die Partei, die den Präsidenten stellt und damit den Staatsapparat kontrolliert, hat im Wahlkampf erfahrungsgemäss grosse Vorteile. Auch ohne Franco als Kandidaten können sich die Liberalen somit im nächsten Frühling bessere Chancen ausrechnen als bei früheren Wahlen.
Dass weiss auch die konservative Colorado-Partei, die sechs Jahrzehnte lang uneingeschränkt regierte, bis Lugos Wahlsieg im Jahr 2008 ihre Herrschaft beendete. Sie hatte sich deshalb allen politischen und persönlichen Differenzen zum Trotz lange gesträubt, den ungeliebten Präsidenten in die Wüste zu schicken und damit dem Liberalen Franco den Weg an die Staatsspitze zu ebnen. Über die Gründe, warum sie sich schliesslich doch anders entschied, lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise erboste es den tonangebenden Flügel der Partei, dass Lugo einen Colorado-Mann zum Innenminister gemacht und sich damit mehr oder weniger direkt in die parteiinterne Kandidatenauslese der Konservativen für die Präsidentschaftswahl 2013 eingemischt hatte.
Die lange „Übergangsperiode zur Demokratie“
Lugos Entmachtung durch das Parlament zeigt einmal mehr, dass in Paraguay gut 20 Jahre nach dem Ende der Diktatur unter Alfredo Stroessner (1954-1989) die so genannte „Übergangsperiode zur Demokratie“ noch nicht abgeschlossen ist. Das Land leidet unter ständiger Instabilität und Unsicherheit. Zwischen den Parteien, aber auch innerhalb der einzelnen Gruppierungen wird unablässig um Einfluss und Pfründen gerungen, Klientelwesen und Korruption sind ein fester Bestandteil des politischen Systems. Auf der Strecke bleiben dabei die Interessen des Volkes. Von den 6,5 Millionen Einwohnern leben 38 Prozent in Armut. Am schlimmsten dran sind die 120 000 Ureinwohner, von denen die meisten in bitterster Not dahindarben.
Als 2008 der „Bischof der Armen“ Präsident wurde, setzten viele seiner Landsleute grosse Erwartungen in ihn. Doch der angekündigte Wandel stellte sich nicht ein, die erhofften Fortschritte blieben aus. Jetzt verspricht wieder ein neuer Staatschef, die sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Paraguay zielstrebig anzupacken. Aber auch diesmal deutet wenig bis gar nichts darauf, dass sich für die grosse Mehrheit des Volkes in absehbarer Zeit etwas zum Besseren wenden könnte.