Willy Schenk

Für Befürworter eines Schweizer Beitritts zum Wirtschaftsraum EWR enthält das Osloer Weissbuch nützliche Hinweise. Zwischen 2010 und 2012 hat ein Dutzend Fachleute ausgiebig die Erfahrung im EWR analysiert. Norwegen wurde seit 1992 gründlich „europäisiert“. Trotzdem befürchtet man nun eine allmähliche Marginalisierung.

Heute ist der Europäische Wirtschaftsraum (EWR) eine exklusiv norwegische Angelegenheit, obschon der Vertrag mit der EU unter Schweizer Führung abgeschlossen wurde. Die Schweizer haben sich mit ihrem Nein 1992 abgemeldet. Norwegen hat sich im EWR zum intimsten Aussenseiter der EU entwickelt.

Weil in einem Vorort von Helsinki der Mutter und ihren 4 Kindern einer Russisch sprechenden Familie von den Behörden Schutz vor dem Vater gewährt wurde, entwickelte sich in Russland eine Pressekampagne mit politischen Folgen.

Dass die finnische Politik in der Euro-Krise nicht verstanden wird, hängt mit den „Wahren Finnen“ und Timo Soini zusammen. Deren Opposition führt zu einem verkrampften Taktieren - genau so wie die SVP unter Christoph Blocher eine offene Diskussion über den Schweizer Beitritt zur Europäischen Union verhindert.

In der vergangenen Woche soll Moskau die Wahl des litauischen Kandidaten zum Präsidenten der 76. Uno-Generalsversammlung hintertrieben haben. Gleichzeitig warnte der russische General Nikolai Makarov Finnland vor einer weiteren Annäherung an die Nato und offerierte sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Russland.

Während nach Fukushima mehrere Länder Westeuropas aus der Kernenergie aussteigen, entstehen im Nordosten gleich vier neue Kernkraftwerke. Finnland und die baltischen Staaten wollen ihre energiepolitische Unabhängigkeit von Russland sichern.

Während die italienische Zeitung „Corriere Della Sera“ in ihren Kommentaren andeutet, dass jetzt die Sanierung der EU-Länder im Süden Vorrang haben müsse, setzen die baltischen Staaten auf ein von Skandinavien und Deutschland dominiertes Europa. Und auch die Staaten der ehemaligen Sowietunion werden heute nüchterner gesehen.

Der Gewaltsstreich des ehemaligen lettischen Präsidenten Zatlers hat bei den Neuwahlen im September die erhoffte Schlappe für die so genannten Oligarchen gebracht. Allerdings wurde jetzt auch die Partei Harmonie-Zentrum mit den Stimmen der russischsprachigen Minderheit zur mit Abstand grössten Partei, die im Parlament über 31 von 100 Sitzen verfügt.

Mehr als 94 Prozent der Stimmenden unterstützten beim Referendum vom 23. Juli den ehemaligen lettischen Präsidenten Valdis Zatlers, der Ende Mai in einer emotionalen Ansprache das als korrupt empfundene Parlament aufgelöst hatte.

Die Finnische Regierungsbildung muss Schweizer erstaunen. Die mit ihrer Europapolemik zur drittstärksten Partei aufgerückten „Wahren Finnen“ blieben draussen vor der Tür und die zwei innenpolitischen Hauptgegner, Konservative Sammlungspartei und Sozialdemokraten, bilden zusammen mit vier Kleinparteien die neue Regierung. Europa hat für Finnland Vorrang. Und Jyrki Katainen hat als designierter Regierungschef vor den Verhandlungen über eine Koalition im Parlament eine Mehrheit für die EU-Finanzhilfe an Portugal organisiert.

Das lettische Parlament hat am 2. Juni überraschend den amtierenden Präsidenten Valdis Zatlers abgewählt und Andris Berzins zum Nachfolger bestimmt. Noch vor einer Woche galt Zatlers’ Wiederwahl als sicher. Die Abwahl von Zatlers war eine Reaktion auf dessen Fernsehansprachen vom 30. Mai, in welcher der Präsident eine Volksabstimmung über vorgezogene Neuwahlen für das Parlament ankündigte, weil die im letzten Herbst gewählten Abgeordneten ihre Pflicht nicht erfüllten und sich von reichen Unternehmern beeinflussen liessen.

Dass in Finnland die gegen EU-Hilfspakete wetternden „Wahren Finnen“ bei den Wahlen im April auf Anhieb drittstärkste Partei wurden, erschütterte das finnische Parteiensystem und sorgte für Nervosität in Brüssel.

Als Journalist, der über 40 Jahre seine Texte verkaufen musste, bin ich begeistert und vielleicht sogar etwas neidisch bei der Lektüre von Jean-Paul Marchands Rückblick.

Für die nach den Ostertagen beginnenden Verhandlungen über eine Regierungsbildung mit dem populistischen Wahlsiegern „Wahre Finnen“ könnte die Ausgangslage kaum explosiver sein. Da das europäische Rettungspaket für Portugal einstimmig verabschiedet werden muss und Finnland dazu eine Mehrheit im Parlament braucht, erhält Helsinki eine Art von Veto. Mit einem von den Populisten erzwungenen Nein könnte der bisherige EU-Musterschüler unter den zahlungsmüden Europäern einen Dammbruch auslösen. Als Preis für ein Ja könnten sich die „Wahren Finnen“ folgenreiche Konzessionen einhandeln.

Finnland, der bisherige Musterschüler der europäischen Integration, wird schlagartig zum EU-Sorgenkind. Bei den Parlamentswahlen vom vergangenen Sonntag erhöhte die gegen EU-Mitgliedschaft und gegen die finanzielle Unterstützung der ausgabefreudigen Griechen wetternde Partei „Wahre Finnen“ ihre Sitzzahl im Parlament von 5 auf 39.

60 Prozent der Letten lehnen laut einer Umfrage die Entschädigung für unrechtmässig übernommenes jüdisches Eigentum im Weltkrieg ab. Unter den Befragten im Alter zwischen 18 und 55 Jahren akzeptieren nur 19 Prozent die Entschädigung. Und auch von dieser Minderheit antworteten nur 6 Prozent mit einem spontanen Ja. Die Reaktion ist typisch für das Geschichtsbewusstsein in den baltischen Staaten, wo man sich als Opfer fühlt und westliche Anklagen wegen der Beteiligung am Holocaust zurückweist.

Spielt es in der globalisierten Welt noch eine Rolle, wem eine Firma gehört? Wenn das Unternehmen russisches Rohöl verarbeitet und zu einem kleinen Land an der russischen Grenze gehört, so ist die freie Partnerwahl offenbar weiterhin eine Illusion. Litauens Raffinerie Mazeikiu Nafta jedenfalls verhandelt nach frustrierenden Partnerschaften mit einer amerikanischen Ölfirma und einer polnischen Staatsfirma nun über den Verkauf an eine russisches Unternehmen.

Tallinn in Estland und Turku in Finnland sind ab dem 15. Januar Europas Kulturhauptstädte für das Jahr 2011. Um es vorwegzunehmen, mich interessieren die beiden Städte. Nur verstehe ich nicht, was eine europäische Kulturhauptstadt ist.

Estland wurde 2004 in einer Zehnergruppe von meist osteuropäischen Ländern in die EU und in die NATO aufgenommen. Die nächste Stufe, den Euro-Klub, schafften aber in der Folge nur Slowenien, Malta, Zypern und die Slowakei. Die übrigen Anwärter erfüllten die Bedingungen nicht. Mit einer Ausnahme: Estland als kleinstes der drei baltischen Länder erwies sich auch in der Krise als Musterschüler und kann am 1. Januar 2011 im Alleingang den Euro einführen.

Lettland gilt zurzeit als Musterschüler einer finanziellen Sanierung, die dem Land vom Internationalen Währungsfonds als Bedingung für einen Kredit von 7,5 Milliarden Euro auferlegt wurde.

Der estnische EU-Kommissar für Verkehrsfragen, Jim Kallas, bezeichnete die Neat am 12. Oktober 2010 zwar als Jahrhundertwerk, der Tunnel wurde von ihm aber nicht als Modell der europäischen Verkehrspolitik herausgestellt.