Der Chef der Ja-Kampagne für die Unabhängigkeit, Alex Salmond, appelliert an schottischen, David Cameron - als politischer Chef des Vereinigten Königreiches, - an britischen Nationalismus. Beides ist besser als die fremdenfeindliche und europhobe Überheblichkeit von Michael Farange, der englischen Ausprägung der europaweit lärmenden Rechtspopulisten. Beides ist indes falsch weil weitgehend irrelevant in einem Europa wo , glücklicherweise, volle staatliche Unabhängigkeit, damit uneingeschränkte Souveränität der Vergangenheit angehören. Einer Vergangenheit, welche durch beide geprägt war und damit üblen Nationalismus bis hin zu seiner schrecklichen Apotheose hervorgebracht hat.
Die Vorteile der EU
Dank der EU leben wir, ob formell oder nicht, in einem Europa ohne Grenzen mit Bezug auf unser Geld, unsere Wirtschaft und unsere nationalen Grenzen. Dies hat der weit überwiegenden Mehrheit von Europäern klaren Gewinn in Lebensqualität gebracht: Leben, arbeiten, handeln, studieren, reisen, Ferien machen sind in Europa von zeitraubenden zwischenstaatlichen Formalitäten und Schranken befreit worden.
Nun werden die Euroskeptiker aufzählen, was alles mit der EU und speziell dem Euro in letzter Zeit schief gelaufen sei. Indes, die ja weitgehend auf Süd- und Osteuropa beschränkten Wirtschafts- und Fiskalprobleme haben eben gerade ihren Ursprung in national abgeschlossenen, von wenigen beherrschten und korrumpierten Volkswirtschaften. Binnenwanderung innerhalb der EU und Migration von ausserhalb, damit auch die Schattenseiten von Freizügigkeit wie Kriminalität, sind Teil eines weltweiten Phänomens welches ohnehin das 21. Jahrhundert beherrscht. Wenn schon, dann sind die EU und ihre Instrumente die einzige Hoffnung, den negative Seiten der modernen globalen Völkerwanderung einigermassen Herr zu werden.
Warum die Stampede in Richtung Separatismus?
Ein offensichtliches, indes oft übersehenes Beispiel, wie stark die EU das tägliche Leben der allermeisten Europäer verbessert hat, stellt die öffentliche Infrastruktur dar. Europas kontinentweiter Landtransport und das bereits weitgehend kontinentweite Strassennetz haben weltweit keine Entsprechung. Wer heute in den USA oder Australien, geschweige den in den meisten Schwellenländern mit der teilweisen Ausnahme von China, auf dem Landweg reist, stellt dies ohne weiters fest. Der Stillstand in Pflege und Entwicklung des öffentlichen Verkehrs seit Jahrzehnten in Nordamerika beispielsweise ist eindrücklich, wie eine kürzliche Nostalgiereise des Chronisten zeigte. Eine Zugfahrt von Manhattan das Hudson-Valley hinauf nach der Hauptstadt des Staates New York findet in einer Art Museumsbahn statt, so langsam, aber ohne Sitz- oder irgendeinen anderen Konfort.
Warum also diese Stampede in Richtung nationaler Unabhängigkeit einzelner Regionen (Schottland, Lombardei und Venetien, Korsika) und/oder Sprachgruppen (Katalonien, Baskenland, Flandern)? Nicht wenige Schotten scheinen tatsächlich zu glauben, ‘im eigenen Land zu leben’ werde eine markante Steigerung ihrer Lebensqualität bedeuten. In Tat und Wahrheit werden die allermeisten von ihnen nach dem 18. September genau so weiter leben wie bisher, unabhängig vom Abstimmungsresultat. Das grenzenlose Europa, wie oben gezeigt, macht Staatsgrenzen weitgehend irrelevant für das tägliche Leben Einzelner.
Das süsse Gift des Nationalismus
An dieser Stelle kann nur angedeutet werden, was das süsse Gift Nationalismus, als vermeitlich sicherer Hafen so offensichtlich verführerisch macht. Es hat zweifelsohne zu tun mit Entwurzelung und Entfremdung des aktuellen, globalisierten Einzelnen, der weiter verunsichert wird durch schwerverständliche, manchmal auch manipulierte digitale Welten.
Das wirkliche Problem mit der Schottland-Abstimmung liegt nicht nicht nur auf den britischen Inseln sondern in seiner Wirkung als Präzedenzfall. Falls ein ‘Ja’ oder auch ein knappes Resultat, eine kontinentweite Welle von versuchter, oder auch gelungener nationaler Abspaltung auslöst, wird sich Europa in den nächsten Jahren und Jahrzehnzehnten vornehmlich mit sich selbst beschäftigen und nach innen wenden. Neue Staaten betonen ihre neue Souveränität, sie sind wenig bereit, diese in ihrem besten Intresse mit anderen zu teilen.
Autonomie und Zentralismus sind kompatibel
Dies im schlechtmöglichsten Zeitpunkt, in dem grosse Probleme (Sicherheit in Europa’s Nachbarschaft im Süden und Osten; globale Migration und ihre Folgen) nach grossen Lösungen rufen. Natürlich werden lokale Herausforderungen oft besser und schneller lokal angegangen. Autonomie und Dezentralisierung sind, eben gerade im grenzenlosen Europa, von entscheidender Wichtigkeit. Andererseits müssen die erwähnten grossen Probleme koordiniert und gemeinsam angegangen werden was die Notwendigkeit einer zentralen, demokratischen aber auch entscheidungs- und durchsetzungsberechtigten Instanz bedingt.
Autonomie und Zentralisierung schliessen sich nicht aus, sie komplementieren sich. Genauso wie dies im schweizerischen Bundesstaat seit knapp 170 Jahren mehr recht als schlecht praktiziert wird. Umso bedauerlicher ist es ja, dass wir, obwohl wir könnten, uns beharrlich weigern, dieses urschweizerische Prinzip auch im kontinentweiten Rahmen aktiv zu vertreten und voranzubringen. Als volles, und nicht nur nachvollziehndes Mitglied der EU nämlich.
Gefährdung der europäsischen Einigung?
Als direktdemokratischer Schweizer ist man zudem versucht, den Schotten in Erinnerung zu rufen, dass Abstimmungen kaum je eine Angelegenheit endgültig regeln. Denn einmal ändern sich die Zeiten und wir mit ihnen und zweitens gilt, dass sich ‘das Volk’ zwar nie irrt, aber doch mitunter seine Meinung ändert. Bevor mit dem Bauchgefühl Nationalismus ein Land (Grossbritannien) zerbrochen wird, und die 75-jährige Erfogsgeschichte der europäischen Einigung in Frage gestellt wird, um ein neues (die Republik Schottland) zu schaffen, sollte dem sprichwörtlichen ‘common sense’ - also dem Kopf - eine Chance gegeben werden. Auch die Schotten -- und die Katalanen etc. - werden dann erkennen, dass nationale Unabhängigkeit im klassischen Sinne heute in Europa weder möglich noch wünschbar sind.