Entsprechend dick wurde das Hochzeitsfest aufgetragen, das Lakshmi Mittal seiner Tochter in Versailles und in den Tuilerien ausrichtete. Trompetenbläser in gepuderten Perücken kündigten die Gäste an, und zu den Lustbarkeiten wurden neben kulinarischen Spezialitäten auch Kylie Minogue und Bollywood-Stars eingeflogen. Sowie 300 indische Handwerker, die vor dem bezaubernden Gartenschloss von Vaux-Le Vicomte das Hochzeitszelt erbauten. Sechzig Millionen Dollars soll der Spass gekostet haben.
Das französische Publikum rümpfte zu Recht die Nase, trotz willfähriger Hofberichterstattung durch ‚Paris Match‘. Noch indignierter war es, als Mittal kurz darauf Arcelor schluckte. Arcelor war der grösste Stahlkocher der Welt, aber er verdiente schlecht, nicht zuletzt wegen den hohen Personalkosten. Auf solche Unternehmen hatte sich Mittal spezialisiert. Seit zwanzig Jahren hatte er, nur mit dem bengalischen Lehrer-Diplom ausgerüstet, unrentable Betriebe gekauft, zuerst in Indonesien, wohin er ausgewandert war, dann in Zentralasien, Osteuropa und in den USA. Nun war er weltweit die Nummer zwei - mit einem beispiellosen Erfolgsausweis, denn die meisten maroden Firmen hatte er gesundgeschrumpft.
Ende des Honigmonds
Frankreich und Belgien waren nicht Kasakhstan oder Malaysia. Hier bildeten die Stahlarbeiter den Kern der nationalen Gewerkschaftsmacht, und ihre grosse Zahl hatte politisches Gewicht. Aber mit der unbekümmerten Aggression des Selfmade-Man und den aalglatten Worten des Abkömmlings einer indischen Geschäftskaste gewann Mittal das Vertrauen der Aktionäre und das widerwillige Ja-Wort der französischen Regierung.
Sechs Jahre später ist der Honigmond des Sonnenkönigs vorbei. Arcelor-Mittal geht es, wie der ganzen Branche, schlecht. Mit ihren Betrieben in EU-Kernländern – neben Frankreich und Belgien auch Luxemburg und Spanien - hat die Wirtschaftskrise gerade Mittal arg zugesetzt. Im Jahr 2009 halbierte sich der Umsatz der Gruppe auf 65 Mia.$, der Gewinn sank von 10 Milliarden auf eine schwarze Null. Wenn Gewinne nur noch durch Produktivitätsfortschritte erzielt werden, müssen auch die Belegschaften ‚Opfer bringen‘. Und mit rund 100‘000 Beschäftigten sind Mittals europäische Standorte bei weitem die arbeitsintensivsten. Heute sind es schon 36‘000 weniger als noch vor sechs Jahren, nachdem sieben der 25 Hochöfen kaltgestellt sind. Weitere Schliessungen stehen an.
Doch inzwischen ist im Elysée-Palast ein neuer Mieter eingezogen. Vor einigen Tagen las ich im ‚Monde‘, dass Staatspräsident Hollande seinen ‚Ministre du Redressement Productif‘ in die schliessungsbedrohten Fabriken entsandt hat. Arnaud Montebourg begann seine Reise in Brüssel, um mit den europäischen Partnern, wie er sagte, „eine Gemeinschaftsaktion gegenüber der Gruppe Arcelor-Mittal“ zu lancieren. Der neue Minister schien sich auch zu einem kleinen Kulturkampf zu rüsten.‚Le Monde‘ zitierte ihn mit der Bemerkung, die Stahlindustrie sei „früher noch ein europäisches Kapitalgut gewesen. Nun ist es in den Händen eines transnationalen Unternehmens, dessen Entscheidungszentren weit abseits des europäischen Territoriums liegen“.
“Wir sind betrogen worden“
Multis haben in Frankreich immer einen schweren Stand gehabt. Aber sie waren wenigstens europäischer oder amerikanischer Herkunft. Jetzt sind es plötzlich Unternehmer aus ehemaligen Kolonien, die nicht nur Versailles mieten, sondern auch das industrielle Tafelsilber der alten Kolonialmächte kaufen – und zu verscherbeln drohen. „Wir sind betrogen worden“, zitiert ‚Le Monde‘ einen Gewerkschaftsvertreter. „Monsieur Mittal verkaufte uns die Fusion als Industrie-Projekt. Nun entdecken wir, dass ihn nur der Gewinn interessiert“. Natürlich habe auch die alte Arcelor Schliessungsabsichten gehabt, aber sie seien auf Jahre hinaus und schrittweise geplant worden. Mittals Strategie dagegen sei das Gegenteil – in Neu-Französisch:„épuisante, court-termiste et stop-and-go“.
Es sei diese „Doppelzüngigkeit und Brutalität“, welche die Mitarbeiter so erzürne, fasst ‚Le Monde‘ zusammen. Starke Worte, die französische Gewerkschafter heute nicht einmal mehr für amerikanische Konzerne in den Mund nehmen. Liegt da auch ein kultureller Abwehrreflex verborgen, gegen die Fremdbestimmung durch eine Klasse von asiatischen Räuberkapitalisten, die nun, anderthalb Jahrhunderte nach den westlichen Industriebaronen, ihrerseits ihre ‚animal instincts‘ ausleben? Sie nutzen die Gunst der Stunde – sprich: die Missgunst einer Rezession – um den Konsens der Sozialpartnerschaft auszuhebeln, der ja für den Wachstumsrückgang verantwortlich sei. Die Chinesen tun es bei sich zuhause, Inder wie Lakshmi Mittal übernehmen Erst-Welt-Unternehmen, und nebenbei bemächtigen sie sich noch der Symbole europäischer Kultur wie Versailles.
Doch wie typisch ist Lakshmi Mittal? Gewiss, sein Vorname ist identisch mit dem der indischen Göttin von Gold und Reichtum. Dies weist ihn als Vertreter einer Kultur aus, in der materieller Gewinn einen zumindest respektablen Platz einnimmt. Dabei wird allerdings übersehen, dass Mittals Unternehmen nicht in Indien gross geworden ist, und dass es dort auch heute kaum über eine Präsenz verfügt. Denn auch Indien kennt inzwischen eine Sozialgesetzgebung, die jener des westlichen Wohlfahrtsstaats nicht nachsteht, und sei es nur in ihrer rechtlichen Intention.
Soziale Kälte
Auf die Frage nach seiner philanthropischen Ausrichtung hat Lakshmi Mittal einmal gemeint, es sei noch zu früh, darüber nachzudenken – als wollte er sagen: ‚Man kann ja nie wissen‘. Damals wurde er vom Forbes Magazine auf lumpige zwanzig Milliarden Dollars geschätzt. Diese soziale Kälte verrät eine Haltung, die auch in Indien Empörung auslöst. Sie ist auch meilenweit entfernt von der Geschäftsphilosophie etwa eines Tata-Konzerns, bei dem zwei Sozial-Stiftungen siebzig Prozent der Holding kontrollieren. Für die Stahlfirma Corus und Jaguar-Rover bekannte sich Tata bei deren Kauf ausdrücklich zu den bestehenden Sozialplänen Grossbritanniens. Es gibt andere Unternehmen, die kranke europäische Firmen übernommen haben, den Turn-around schafften, und lokal verankert bleiben. In Belgien kaufte Gautam Thapar von Avantha die Transformatorenfabrik Pauwels, brachte sie in die drei Jahren in die Gewinnzone zurück, und ist nun Ehrenbürger von Mechelen.
Es ist also nicht unbedingt Räuberkapitalismus, der den Erfolg indischer Firmen erklärt. Zufällig stand in derselben Ausgabe von ‚Le Monde‘, nur einige Seiten nach der Mittal-Geschichte, das Interview mit einem Professor der Pariser Handelshochschule HEC. „En matière de management, il faut s’inspirer des pays émergents“ ruft dieser aus. Gerade indische Firmen verbänden etwa mit dem Prinzip der Kundennähe auch eine grössere Autonomie für ihre (kundennahen) Mitarbeiter. Dies stärke deren Motivation und verringere auch den Reiz, ihren Arbeitgeber zu wechseln. Neben den Tatas nennt er als Beispiele die Aditya Birla-Gruppe (Besitzerin von Hindalco und damit der früheren Alusuisse), und Hindustan Computers. „Pour eux, l’investissement en ressources humaines est au même niveau d’importance que tous les autres investissements“.
Monsieur Mittal, wie wär’s mit einem Bergwerksarbeiter aus Lothringen – quasi kohlegepudert - beim nächsten Anlass in Versailles?