Eine Mitarbeiterin des staatlichen russischen Fernsehens stürmte am Montagabend in die Live-Übertragung der meistgesehenen Nachrichtensendung Russlands. Sie hielt ein Plakat vor die Kamera mit der Aufschrift «Stoppt den Krieg. Sie belügen euch hier, glaubt ihnen nicht». Die Frau, Marina Owsjannikowa, arbeitete für den staatlichen Fernsehsender Kanal 1. Sie erklärte, sie schäme sich «zutiefst» für die Kreml-Propaganda. Eine russische Menschenrechtsgruppe will der Frau jetzt «rechtlichen Beistand» gewähren. Die Hackergruppe «Anonymous» hat in den letzten Tagen mehrmals russische Fernsehprogramme gehackt und Kriegsbilder aus der Ukraine gezeigt.
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat die Frau zu ihrer mutigen Aktion beglückwünscht. Was nach ihrem Auftritt geschah, lässt sich nur ahnen. Ein Anwalt der der 44-jährigen Radaktorin bestätigte gegenüber CNN, dass Marina Owsjannikowa gefunden wurde und sich vor einem Moskauer Gericht befindet. In Russland drohen hohe Strafen für angebliche Falschinformationen. Die Hauptnachrichtensendung des russischen Fernsehens wird jeden Abend von etwa 30 Millionen Russinnen und Russen konsumiert. Marina Owsjannikowa ist Mutter zweier Kinder; ihr Vater ist Ukrainer und ihre Mutter Russin.
Mehrere Medien zeigen ein Bild von Marina Owsjannikowa mit Anton Gashinsky, einem ihrer ihrer Anwälte. Das Foto wurde zuerste auf Telegram publiziert. Es wurde offenbar nach dem Verhör und ihrer Freilassung aufgenommen.
Die unabhängige russische Zeitung «Mowaja Gaseta» veröffentlichte eine Erklärung der Redaktorin. Darin sagt sie, dass sie 14 Stunden lang verhört wurde. Die Menschenrechtsorganisation OWD-Info berichtet, sie sei zu einer Geldstrafe von umgerechnet etwa 230 Euro verurteilt worden. Sie wolle nun zurück zu ihren Kindern, sagt sie: «Alle Kommentare gibt es morgen».
Neue Angriffe
Die russischen Streittkräfte haben am Dienstag ihre Bombardierung von Gebieten rund um Kiew intensiviert. Raketen schlugen in einer Militärfabrik in der Nähe des Stadtzentrums, ind Wohngebäuden sowie in einem Einkaufszentrum im Westen der Stadt ein. In einem 16-stöckigen Wohnblock brach ein heftiges Feuer aus. Mindestens zwei Menschen starben.
Ausgangsperre in Kiew
Nach dem erneuten Beschuss von Wohnhäusern in Kiew hat Bürgermeister Witali Klitschko eine 35-stündige Ausgangssperre über die Stadt verhängt. Sie gilt am Dienstagabend 19.00 Uhr MEZ. «Es ist verboten, sich ohne Sondergenehmigung in der Stadt zu bewegen, es sei denn, man begibt sich in Luftschutzräume», sagt er.
Koffer packen und weg!
Nach dem Einschlag einer Rakete am Montag hatten sich erneut Tausende auf den Weg gemacht, die Stadt zu verlassen.
Bei dem Anschlag am Montag im nördlichen Quartier Obelon ist ein Wohnblock völlig zerstört worden. Zwei Menschen starben, Dutzende wurden verletzt.
In der einstigen 3-Millionen-Stadt Kiew befinden sich zur Zeit noch gut eine Millionen Menschen. Die russische Armee versucht, die Stadt von Norden her anzugreifen und einzukesseln. In nördlichen Vororten wird heftig gekämpft.
«Wir wissen, dass es euch nicht gut geht»
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat die russischen Truppen aufgerufen zu desertieren. «Wir hören eure Gespräche ab, wir wissen, dass es euch nicht gut geht», sagt er. «Wir wissen, was ihr wirklich über den Krieg denkt. Ich weiss, dass ihr überleben wollt.» Er sei all jenen Russen dankbar, die «nicht aufhören, die Wahrheit zu sagen». «Im Namen des ukrainischen Volkes gebe ich ihnen eine Chance», sagte er auf Russisch «Wenn sie sich unseren Streitkräften ergeben, werden wir Sie so behandeln, wie Menschen behandelt werden sollten – als Menschen, anständig.»
«Schwierige Diskussion»
Die am Montag nach mehreren Verhandlungsstunden unterbrochenen Gespräche zwischen einer ukrainischen und einer russischen Delegation sind heute Dienstag wieder aufgenommen worden. Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte gesagt, er habe aus seiner Delegation gehört, dass die Gespräche «recht gut» verliefen. Aber: «Lasst uns sehen.» Nach Beginn der neuen Gesprächsrunde sagte ein ukrainisches Delegationsmitglied, zur Zeit fände eine «schwierige Diskussion» statt. Die Diskussionen wurden am Abend beendet, sie sollen am Mittwoch weitergehen.
Mehr als 3 Millionen Flüchtlingen
Laut den am Dienstag veröffentlichten neuesten Erhebungen des Uno-Hochkommissariats für Flüchtlinge UNHCR hat die Zahl der Ukraine-Flüchtlinge die Drei-Millionen-Grenze überschritten. Bis Dienstagmittag wurden 3'000'381 Flüchtlinge gezählt. Allein Polen hat 1,83 Millionen aufgenommen.
Hoher Besuch in Kiew
Die Regierungschefs Polens, der Tschechischen Republik und Sloweniens sind am Dienstag mit em Zug nach Kiew gereist, um ihre Solidarität mit der Ukraine zu bekunden und ein «umfassendes Unterstützungspaket» der Europäischen Union zu überreichen. Der Besuch wurde bis zur letzten Minute geheim gehalten, da rund um die ukrainische Hauptstadt gekämpft wird. Die Regierungschefs werden mit Präsident Wolodymir Selenskyj und Premierminister Denis Schmyhal zusammentreffen.
Flucht aus Mariupol
2'000 Fahrzeugen ist es am Dienstag gelungen, die umkämpfte südrussische Stadt Mariupol zu verlassen. Noch immer sind in der Stadt 300'000 bis 400'000 Menschen eingeschlossen. Es fehlt an Strom, Wasser, Medikamenten und Nahrungsmitteln. Nach offiziellen Angaben sind mindestens 2'300 Menschen gestorben. Am Montag war es 120 Fahrzeugen gelungen, die Stadt zu verlassen. Rund um Natriupol wird gekämpft.
Geiselnahme im Spital
Nach Angaben der NGO «Media Human Rights Initiative» haben russische Soldaten Ärzte, das Pflegepersonal und Patienten in einem Spital in Mariupol als Geiseln genommen. Ukrainischen Soldaten würden, die das Krankenhaus verteidigen, würden angegriffen. Niemandem würde erlaubt, das Gebäude zu verlassen. Einigen verletzten Patienten soll es gelungen sein, das Gebäude kurzfristig zu verlassen. Sie wurden später mit Schusswunden zurückgebracht, schreibt die NGO auf Facebook.
Manifestationen in Cherson und Melitopol
Die Demonstrationen gegen die russischen Besatzer in den von Russland besetzten Städten Cherson und Melitopol gehen weiter. Dies berichtet das britische Verteidigungsministerium. In Melitopol hatten russische Truppen den Bürgermeister entführt. Die neue pro-russische Bürgermeisterin rief die Bevölkerung auf, «die neuen Realitäten» anzuerkennen.
Biden nach Europa
Nach amerikanischen Medienberichten will der amerikanische Präsident nach Europa reisen. Unter anderem will er das Nato-Hauptquartier in Brüssel besuchen.
Nato-Gipfel mit Biden?
Die Staats- und Regierungschefs der Nato wollen am Donnerstag in einer Woche (am 24. März) in Brüssel zu einem Sondergipfel zusammenkommen. Einziges Thema: Die Ukraine. Wahrscheinlich wird auch Joe Biden daran teilnehmen.
«Hurrikan des Hungers»
Laut Uno-Generalsekretär António Guterres könnte der Krieg in der Ukraine zu einem globalen Zusammenbruch des Ernährungssystems führen und einen «Hurrikan des Hungers» auslösen. Russland und die Ukraine produzieren etwa dreissig Prozent des weltweit konsumierten Weizens. Vor allem die ärmsten Länder, unter ihnen fast alle afrikanischen, sind auf Weizenlieferungen angewiesen.
(Wird laufend aktualisiert)
Journal21