In den Nachrufen auf Obamas Präsidentschaft kommt immer wieder Enttäuschung zum Ausdruck. Der „Yes, we can“-Präsident, der vor acht Jahren eine Euphorie ausgelöst hatte, hat manche seiner Ziele nicht erreicht und wichtige Versprechen nicht eingelöst.
Doch viele Nachrufe werden ihm nicht gerecht. Er hatte es nicht einfach. Vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an verweigerten ihm die Republikaner jede Zusammenarbeit. Ergebnis war eine achtjährige totale republikanische Blockade-Politik. Oft versuchte er, auf die „Roten“, die Republikaner, zuzugehen. Immer wurden seine Avancen abgeschmettert.
Viele von ihnen betrachteten ihn nie als echten Amerikaner. Wir erinnern uns an die Fake News, wonach er ein im Ausland geborener Muslim sei. Er stehe zu links, sei zu sozial, zu sozialdemokratisch, zu intellektuell, zu weltoffen, zu europäisch. Und vor allem ärgerte sich die „Grand Old Party“, aufgepeitscht zunächst von der „Tea Party“, dass sie zwei Mal die Wahlen verloren hatte, ausgerechnet gegen einen Schwarzen.
Viel erreicht
Trotzdem hat er viel mehr erreicht, als ihm manche Kommentatoren zuschreiben. „Obamacare“ ist eine epochale Leistung. Zum ersten Mal verfügen 20 Millionen Amerikaner über eine allgemeine, staatlich mitfinanzierte Krankenversicherung.
Die Wirtschaftskrise hat er nicht nur entschärft, sondern in den Griff bekommen. Die Arbeitslosigkeit ist von 10 auf 5 Prozent gefallen. Nach der Finanz- und Immobilienkrise wächst das Bruttosozialprodukt wieder um über drei Prozent. Und die amerikanische Autoindustrie gibt es nur noch dank Obama.
Zu seinen grössten aussenpolitischen Leistungen gehören das Atom-Abkommen mit Iran, der Klima-Vertrag und das Förderprogramm für erneuerbare Energie, sowie – endlich – die Entspannung mit Kuba.
Schwieriges Erbe
Aussenpolitisch kann man ihm vorwerfen, dass er zu zögerlich war. Er hatte Asad ein Ultimatum gestellt. Dieser hat sich darüber hinweggesetzt, und Obama wollte nicht in einen neuen Krieg hineinstolpern, setzte auf eine Verhandlungslösung und strebte ein Verbot chemischer Waffen an. Das wird ihm als Schwäche ausgelegt und war vielleicht sein grösster Fehler. Erklärbar vielleicht mit seiner Verpflichtung zu Beginn seiner Amtszeit, keine neuen Kriege zu führen. Wären in Aleppo weniger Menschen gestorben, wenn Obama härter durchgegriffen hätte?
Obama hat ein schwieriges Erbe angetreten, angerichtet von Leuten wie Georg W. Bush, Cheney, Rumsfeld und Wolfowitz. Der von diesen Herren angezettelte Krieg im Irak hat viel zum Aufschwung des „Islamischen Staats“ beigetragen. Und der „Arabische Frühling“ begann ohne amerikanische Beteiligung. Wie waren wir froh, als drei der brutalsten Diktatoren, Ben Ali, Ghadhafi und Mubarak, ziemlich unerwartet weggefegt wurden.
Die USA als Zuschauer
Seine zögerliche Haltung im Syrien-Konflikt führte dazu, dass Putin seinen Einfluss und seine Macht im Nahen Osten radikal erweitern konnte. Die USA sind dort jetzt nur noch Zuschauer. Putins neue starke Position ist auch ein Resultat von Obamas Zögern. Man wirft Obama vor, dass er Putin nicht eingebunden habe. Doch dass er den Kreml-Herr nicht hofierte, nachdem dieser völkerrechtswidrig die Krim einverleibt hatte, ist zumindest nachvollziehbar.
Obama hatte versprochen, Guantanamo zu schliessen. Er hätte es anfangs, als die Demokraten im Kongress noch in der Mehrheit waren, tun können. Doch plötzlich war der Widerstand im Parlament gross. Später, als seine Partei die Mehrheiten verlor, war eine Schliessung nicht mehr möglich.
Tief gespaltenes mit Hass getränktes Land
Unterschätzt hat Obama die Wut, die sich zwischen der Ost- und Westküste zusammengebraut hatte. Manche Mittelweststaaten fühlten sich – zum Teil zu Recht – von der Washingtoner Politik vernachlässigt. In einzelnen Gebieten beträgt die Arbeitslosigkeit 40 Prozent. Da und dort sinkt nicht nur der Lebensstandard, sondern gar die Lebenserwartung. Das war Trumps Chance.
Dass Hillary Clinton die Wahlen verloren hat, ist vielleicht Obamas grösste Niederlage. Jetzt muss er zusehen, dass seine Politik zerzaust wird. Vieles was er mühsam durchgesetzt hat, könnte jetzt in Brüche gehen. Er hinterlässt ein tief gespaltenes, hassgetränktes Land. Auch muss er feststellen, dass seine Politik des Anstands keine Früchte getragen hat – im Gegenteil. Jetzt wird geschrien, gepoltert, diffamiert und gelogen. Eine neue Zeit hat begonnen. „Ist das jetzt amerikanischer Alltag?“, fragte die Washington Post nach den jüngsten Hassausbrüchen von Donald Trump.
Der erste schwarze Präsident war ein enthusiastischer Verfechter einer liberalen, demokratischen Weltordnung. Seine Amtsführung hatte Stil. Er ist menschlich integer, kein populistischer Hetzer, und er versprühte keinen Hass. Er verleumdete seine Gegner nicht, ist kein Sexist, kein Lügner, deklariert seine Steuererklärung, greift den Frauen nicht zwischen die Beine, akzeptiert andere Meinungen. Und er hat eine wunderbar intelligente, gebildete, geistreiche und humorvolle Frau.
Und der neue Präsident? Jene, die an Obama kein gutes Haar lassen, werden vielleicht bald wieder an ihn denken.