Bei der bevorstehenden Regionalwahl in Delhi sagt eine neue Partei den Platzhirschen den Kampf an. Als Wahlsymbol hat die ‚Partei des gewöhnlichen Mannes‘ den kommunen Reisigbesen gewählt.
Nun ist auch der Besen – nach dem Fahrrad, der Nähmaschine, der Laterne, der Leiter, dem Wasserhahn, der Sichel – endlich zur Ehre eines Symbols gekommen. Eines expliziten, eindeutigen Symbols. Denn ein unausgesprochenes Symbol ist der Reisigbesen schon immer gewesen, für den Status nämlich, den jene haben, die ihn schwingen. Da der Besen im indischen Haushalt keinen Stiel hat, kauert jede Hausfrau oder jede Hausangestellte quasi auf ihren Waden; so kann sie sich immer noch bewegen, kann arbeiten, in der Nähe des Bodens, des Staubs. So verbindet sich mit der Assoziation von Haushalt, Frau und Besen immer auch ...nicht das Saubermachen, sondern der Dreck. Führt einmal ein Mann den Besen – ein Dalit etwa, der die Strassen reinigt – hat sein Werkzeug wie bei uns einen langen Stiel, der ihm die Würde des aufrechten Gangs gewährt.
Nun hat eine neue politische Partei mit der Wahl des stiellosen Besens als Parteisymbol den unterwürfigen Status gleich doppelt aufgehoben: Stolz prangt er nun auf den Wahlplakaten für die anstehende Regionalwahl in Delhi; und statt mit Dreck assoziiert zu werden, macht er dessen Entfernung, das Saubermachen, zum Programm. Als ich letzte Woche in Delhi war, trugen viele der dreirädrigen Taxi-Rikschas Plakate mit dem stachligen Wesen prominent platziert, neben dem Namen der neuen ‚Aam Admi Party‘.
Der inszenierte David
Kejriwal ist der Gründer der ‚Partei des Gewöhnlichen Mannes‘. Sie hat sich aus der Anti-Korruptionsbewegung von Anna Hazare entwickelt. Er hatte ihr mit Hungerstreiks ein Gesicht und einen moralischen Impuls gegeben, während sein Mitstreiter Kejriwal die Bewegung mit organisatorischem Rückgrat ausgestattet hatte. Als das Parteien-Establishment deren wichtigste Forderung nach einem Ombudsmann übernahm und sie aushöhlte, erkannte Kejriwal, dass in einer Demokratie eine politisch-moralische Bewegung in eine politische Institution überleiten und mit dem Werkzeug der Demokratie weiterkämpfen muss. Hazare dagegen sah es als ersten Schritt einer Vereinnahmung durch das korrupte System, und es kam zum Bruch.
Während Hazare weiterhin auf Strassenproteste setzt, gründete Kejriwal die AAP. Die elektronischen Medien, wie so oft Schiedsrichter in solchen Stellungsbezügen, optierten für die AAP. Sie liessen Hazare links liegen und inszenieren Kejriwal als David, der die korrupten Goliaths von Kongess und BJP herausfordert.
Schwarzgeld-verdächtig
Und Kejriwal tut es nicht mit der Steinschleuder, sondern dem Besen. Klugerweise beschloss er, sich bei den kommenden Regionalwahlen nur auf den Bundesstaat Delhi zu konzentrieren. So machte er aus der Not eines mageren Wahlbudgets – jeder Spender wird ins Internet gestellt - eine Tugend, wohlwissend, dass Delhi als Hauptstadt auch Indiens Medienmetropole ist. Der lokale Wahlkampf hilft der AAP, sich im ganzen Land bekanntzumachen.
Mit der Offenlegung der Wahlspenden kann Kejriwal das Scheinwerferlicht auf die riesigen Wahlbudgets von Kongress und BJP lenken und als schwarzgeld-verdächtig darstellen; und wo diese die Kandidaten aufgrund ihrer tiefen Taschen und der Kastenarithmetik auswählen, hat die AAP die Kandidaturen öffentlich ausgeschrieben und die Bewerber gemäss ihrem Leumund und Bürger-Engagement ausgelesen.
Sperrminorität
Und mit dem Besen sticht er dem Staat ins Auge. Sein erstes Thema waren die Stromrechnungen, die aufgrund von Zählerdefekten oft willkürlich hoch angesetzt sind. Kejriwal rief zum Zahlungsboykott auf, aber da er ein gesetzestreuer Bürger ist, gingen er und seine Mitkämpfer dann von Haus zu Haus und boten geprellten Stromkonsumenten Rechtshilfe bei Einsprachen an. Die Kampagne löste wie erwartet ein mediales Echo aus, das die AAP nutzte, um weiter im brodelnden Topf des Bürgerunmuts zu rühren. Umfragen zeigen, dass die Partei bei der Wahl im Dezember mit etwa zehn Prozent der Sitze rechnen kann. Es würde ihr im dreipoligen Kampf Kongress/BJP/AAP eine Sperrminorität geben – unerhört für eine kaum zwei Jahre alte Formation.
In seinem Habitus verkörpert Kejriwal, der ehemalige Steuerinspektor, geradezu den städtischen Mittelklasse-Inder – trocken, anständig, selbstgerecht, männlich. Seine Parteikollegen sind fast durchwegs Männer, und er hat es bisher nicht verstanden – mithilfe des Besens etwa – die maskuline Schlagseite seines Parteinamens mit Frauen-Anliegen zu korrigieren: Die mangelnde Sicherheit vieler tausend Frauen etwa, die oft stundenlange Arbeitswege unter die Füsse nehmen müssen, und ständig mit Belästigung, wenn nicht Schlimmerem, rechnen müssen; die eklatante Wassernot, die gerade Hausfrauen und Familien zu spüren bekommen; oder ein ausgesprochenes ‚Besenthema‘ wie der Dreck, der in den Strassen und den Abwässerkanälen, den öffentlichen Gebäuden und Parkanlagen liegt und für die grassierende Dengue-Epidemie verantwortlich gemacht wird.
Geisterpartei mit Besen
Die Umfragen haben die grossen Parteien jedoch aufhorchen lassen. Sie beginnen nun, sich auf die AAP einzuschiessen. ‚Jhadoo Party‘ nennen sie sie spöttisch, in Anspielung auf den Besen (‚Jharoo‘), worin aber auch ‚Jhadoo‘ – ‚Gespenst‘ – mitschwingt (das Hindi kennt noch einen dritten Buchstaben, für einen Schnalzlaut zwischen ‚d‘ und ‚r‘, der beide Konsonanten noch ähnlicher macht).
Und wie aus Zufall tauchte am 9.September an der Stadtgrenze plötzlich eine solche Geisterpartei auf – eine riesige Menschenmenge von mehreren hunderttausend Männern und Frauen, Alle mit (langstieligen) Besen auf der Achsel. Die Polizei hatte keine Ahnung, dass Kejriwal im Anzug war, verbot der Menge das betreten der Stadt und verlangte den Ausweis einer polizeilichen Bewilligung für das politische ‚Rally‘.
Es stellte sich bald heraus, dass der Wald von Besen keine AAP-Kriegsmacht war, die sich auf die Festung Delhi hin bewegte. Es war die Initiative eines Gurus namens Saint Gurmeet Ram Rahim Singh. Seine Organisation ‚Dera Sacha Sauda‘ verfügt in Nordindien über einen grossen Anhang, nicht zuletzt, weil ‚His Holiness‘ soziale Fragen aufnimmt und deren Lösung zur religiösen Pflicht erklärt. So hat er kürzlich unverheiratete jugendliche Anhänger aufgefordert, sich zur Eheschliessung mit ‘geretteten‘ Prostituierten zu melden; 1500 folgten seinem Ruf.
„Abfallberg“ Indien
Aber seine Spezialität ist die Mission, aus dem ‚Abfallberg‘ Indien wieder ein Land zu machen, in dem Milch und Honig fliessen. Seit 2011 sind seine Anhänger in insgesamt zwanzig Städten einmarschiert, reinigten die Strassen und führten den Abfall ab. Eine halbe Million Menschen versammelte sich letztes Jahr entlang des Ganges-Kanals, der Wasser bis nach Rajasthan führt, und entfernte insgesamt 3000 Tonnen Abfall, meist Plastik und Altmetall.
Auch in Delhi war die Menge ins Zentrum Delhis geströmt, nachdem die Kongressregierung den Weg freigegeben hatte. Anderntags begannen sie bei Sonnenaufgang, angeführt von ‚His Holiness‘, den Besen zu schwingen. In der Stadt tauchten bald Gerüchte auf, wonach der Guru Kongresspolitikern nahestand. Er stellte dies kategorisch in Abrede, aber die Partei hüllte sich in Schweigen. Es mochte ihr gelegen kommen, in die Nähe eines populären Heiligen gestellt zu werden, und einer Reinigungsinitiative obendrein. So konnte sie, mit einem Besenschwung, Arvind Kejriwal eins auswischen.