Nach einer kleinen Eiszeit sind über den Sommer kleine Zeichen der Annäherung zwischen Griechenland und der Türkei sichtbar. Noch ist nicht klar, ob sie Teil eines Plans der Westmächte zur Befriedung der Ostägäis sind.
Während sein Partner, der aserische Herrscher Alijew, Bomben über der armenischen Enklave Bergkarabach regnen liess, was zur Vertreibung der dortigen autochthonen armenischen Bevölkerung führte, sass der türkische Präsident Erdoğan beim Gespräch mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis. – Wie kommt es, dass es in zwei Konflikten, an denen die Türkei Anteil hat, so unterschiedlich zugeht?
Es waren schöne Bilder für die Presse, wie Mitsotakis und Erdogan am Rande der Uno-Generalversammlung Gespräche führten.
Am 5. September fand bereits ein Treffen zur Vorbereitung zwischen dem griechischen Aussenminister Georgios Gerapetritis und seinem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan in Ankara statt. Dieses Treffen wiederum wurde bereits im Juli am Rande des Nato-Gipfels vorbereitet. Zusätzliche Gespräche sollen Ende des Jahres in Thessaloniki stattfinden, wo der griechisch-türkische Kooperationsrat tagen wird.
Die Gespräche zielen darauf ab, das bilaterale Vertrauen zu stärken und Themen wie Handel, Wirtschaft, Tourismus und Wachstum zu diskutieren. Die Hauptstreitpunkte, die Ausschliessliche Wirtschaftszone in der Ägäis, bei dem Griechenland auf die Einhaltung des internationalen Rechts und des Seerechts besteht, und Zypern, werden vorläufig noch ausgelassen.
Die strategische und politische Bedeutung der Türkei ist in den letzten Jahren extrem gewachsen. Das Land ist vom einfachen Nato-Partner zu einer Mittelmacht geworden, der man nicht einfach vorschreiben kann, was sie zu tun und zu lassen hat – zum Beispiel Russland zu boykottieren. Nach dem gescheiterten Militärputsch von 2016 unternahm das Land Schritte, seine aussenpolitische Position zu festigen.
Zwei Komponenten der türkischen Strategie
Eine Komponente dieses strategischen Denkens ist die Doktrin des sogenannten «blauen Vaterlandes». Sie wurde schon 2006 vom türkischen ehemaligen Konteradmiral und Leiter des Planungsstabes der türkischen Marine in Ankara, Cem Gürdeniz, entworfen und will die Türkei zur Seemacht mit Einfluss auf die angrenzenden Meere umgestalten, was mit den völkerrechtlichen Ansprüchen Griechenlands und Zyperns in Konflikt steht.
Die andere Komponente ist der 1989 vom damaligen Präsidenten Turgut Özal konzipierte Plan mit der Türkei als Brücke zwischen Europa, Asien und dem Nahen Osten. Es geht dabei nicht mehr nur um Erdgas, sondern auch und vor allem um geostrategische Machtpolitik.
Hier Krieg, da Entspannung
Die Konflikte im östlichen Mittelmeer flammten in den letzten Jahrzehnten immer wieder auf. Nicht dass die Friedensverträge am Ende des Ersten Weltkrieges die Grenzen nicht klar bestimmt hätten, aber implizit auf das Recht des Stärkeren pochend, versuchte die Türkei seit dem Frühling 2020 vollendete Tatsachen zu schaffen. Flugzeuge und Schiffe verletzten fast täglich den griechischen Luftraum und die Küstengewässer dieses Landes. Griechenland, sich auf das internationale Recht berufend, hoffte auf eine wirksame Unterstützung seiner Partner der EU und der Nato – vorerst vergeblich.
Nun zeigt es sich, dass die Türkei auf der einen Seite – im Kaukasus – vor den Augen der Weltöffentlichkeit, die wegen der krassen Überlegenheit der Aseris keine Eskalation fürchten musste, ungehindert ihre Ambitionen mit Hilfe des aserischen Brudervolkes mit Gewalt durchsetzt. Dies geschieht auf Kosten einer armenischen Bevölkerung, die seit tausenden von Jahren dort ansässig ist und, um der Vertreibung zuvorzukommen, flüchtet. Ob der Appetit gestillt ist? Zweifel sind angebracht, denn immer noch liegt Armenien wie ein Sperrriegel zwischen der Türkei und Aserbaidschan.
Auf der anderen Seite, in der Ägäis, scheint sich die Situation seit diesem Frühjahr zu entspannen und das ist etwas, das ich – ich gebe es gerne zu – nicht erwartet habe. Die Gründe dafür sind nicht klar; aber man darf spekulieren.
Mögliche Gründe
Die verbesserten Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei könnten wirtschaftlich motiviert sein. Die Türkei hat finanzielle Probleme. Wirtschaftliche Zusammenarbeit ist willkommen. Und die Bodenschätze in der Ägäis lassen sich besser in Zusammenarbeit als in Gegnerschaft zu den Nachbarn ausbeuten.
Deutschland bemüht sich aktiv um eine Lösung der Spannungen im östlichen Mittelmeer. Berlin hat die Gesprächskanäle zwischen Griechenland und der Türkei diskret und hinter verschlossenen Türen wieder geöffnet.
Das ist neu und war nicht zu erwarten: Seit den Zeiten des Imperialismus, als Deutschland seinen Einfluss nach Osten, Südosten und auf den Nahen Osten ausdehnen wollte, war eine Aussenpolitik ohne die Türkei nicht vorstellbar. Deutschland war immer dabei, wenn es galt, der Türkei Narrenfreiheit zu gewähren, zum Beispiel 1915 beim Genozid an den Armeniern oder bei der Vertreibung der Griechen aus Kleinasien. Die Gründe für diesen bemerkenswerten Paradigmawechsel in der deutschen Politik liegen noch im Dunkeln.
Die «Erdbebendiplomatie» hat dann das Tauwetter weiter gefördert. Es waren die Griechen, die im Frühling zuerst in der Erdbebenregion der Türkei ankamen. Sie halfen schnell und unbürokratisch. Man sah die beiden Aussenminister nebeneinander die zerstörten Gebiete inspizieren, was noch Monate vorher undenkbar gewesen wäre.
Ein grosser Unterschied zwischen Armenien und Griechenland besteht einfach in der Tatsache, dass Griechenland militärisch kein Nobody ist. Was das Resultat eines Waffengangs ist, lässt sich nicht voraussehen. Sicher ist nur, dass das Eskalationspotenzial erheblich ist.
Die Bombe in der Ostägäis entschärfen
Es ist gut möglich, dass sich in einigen westlichen Hauptstädten deshalb die Einsicht durchgesetzt hat, dass die Bombe der griechisch-türkischen Spannungen entschärft werden muss. Vielleicht sind also die Initiative Deutschlands und die «Erdbebendiplomatie» Teil eines Planes, die Spannungen in der Ostägäis abzubauen.
Die Nato und Griechenland vereinbarten in der ersten Legislatur der Regierung Mitsotakis eine neue Nato-Basis auf griechischem Boden. Diese Basis bringt Griechenland nichts, weil der Nato-Vertrag vorsieht, dass ein Krieg unter zwei Nato-Ländern keinen Bündnisfall darstellt. Es wurde nicht bekannt, dass Griechenland für die Duldung dieser Basis auf seinem Boden eine Gegenleistung erhält. Oder ist vielleicht hinter den Kulissen doch etwas vereinbart worden?
Und zu guter Letzt sind sowohl in Griechenland wie in der Türkei die Wahlen vorbei und die jeweiligen Leader sitzen wieder fest im Sattel. Es gibt also wieder Hoffnung auf eine konstruktive Lösung der Probleme in der Region. – Bei den in Griechenland nun anstehenden Lokalwahlen liegt der Fokus auf Innenpolitik.