Wegen des steilen Geländes und der Erosion läuft das meiste Wasser ab. Die Ironie des geflügelten Worts wurde mir kürzlich drastisch in Erinnerung gerufen – nur dass das steile Gefälle hier quasi offiziell verordnet war.
Ich besuchte das Projekt einer indischen NGO namens ‚Impact‘, die im Hinterland von Bombay, im Unterbezirk von Shahapur, tätig ist. Impact kümmert sich dort um eine bessere Gesundheitsversorgung, besonders der Frauen und Kinder. Trotz der Nähe zur reichsten Stadt zählt diese Region zu jenen mit der grössten Kinder- und Müttersterblichkeit in ganz Indien.
Keine zehn Kilometer vom Industriegürtel des Bombay-Delhi-Highway entfernt, fuhren wir bereits durch eine trockene Hügellandschaft, mit spärlichem Baumbestand und ausgemergelten Böden. Plötzlich tauchte in der Ferne eine grosse Wasser-Pipeline auf, eine zweite führte aus einem Tal heraus, dann eine dritte. Dann wand sich unser Fahrzeug um eine Hügelkurve und wir erblickten plötzlich den Grund dieses Wassersegens: ein riesiger Stausee, der sich ein Dutzend Kilometer in die Länge zog, dessen Glitzern wie eine Fata Morgana in einer Wüstenlandschaft.
Die trockenen neun Monate
Wir befanden uns mitten im Einzugsgebiet der Wasserversorgung der Stadt Bombay. Nicht weniger als drei Stauseen befinden sich im Shahapur-Block, am Fuss des geologischen Abbruchs der Hügelkette der Ghats gelegen und damit prädestiniert dafür, das Monsunwasser seiner Hänge zu sammeln. In den drei Stauseen Tansa, Modak und Bhatsa sammelt sich bei einem guten Monsun jeweils genug Wasser, um über die trockenen neun Monate hinweg den Durst von rund zwei Dritteln der sechzehn Millionen ‚Mumbaikars‘ zu stillen. Während Jahrzehnten war Bombay stolz darauf, dass es sein Hahnenwasser nie rationieren musste.
Diese Leistung hat die Stadt, obwohl seit dem Bau der Dämme in den sechziger Jahren achtmal grösser geworden, bis heute einigermassen durchgehalten. Es gelingt ihr auch deshalb, weil sie von einer rigorosen Gesetzgebung profitiert, die jeden Wasserdiebstahl im Sammelgebiet unter schwere Strafen stellt. Doch wie steht es mit den Dorfbewohnern dieser Region, den Besitzern dieses Wasserschlosses? Können auch sie von den Wasserzinsen leben, die jeder Gemeinschaft zustehen sollten, deren Wasser angezapft und in Pipelines abgeführt wird?
Keine Pipelines für die Dörfer
Die Antwort liess an jenem Tag nicht lang auf sich warten. Unter einem der Riesenrohre erblickten wir eine Frau, neben einem Krug kauernd, in den aus einem lecken Stahlring Wasser hineintropfte. Ob es denn keine Pipelines für die Dörfer gebe, fragte ich die Begleiter von Impact. Die Antwort: Nein, das Wasser befinde sich im exklusiven Besitz der Stadt Bombay. Und jeder Kübel Wasserentnahme aus einem der Stauseen könne im Gefängnis enden.
Es war eine Erklärung, die wohl die folgenden Schocks abfedern sollte. Als wir fast einen Kilometer lang dem Erdwall der Batsa-Staumauer entlanggefahren waren, näherten wir uns einer Gruppe wartender Frauen. Die Vielfarbigkeit der Plastik-Töpfe zu ihren Füssen, die leuchtenden Erdfarben ihrer Saris und Blusen lenkten uns im ersten Augenblick von der grimmigen Realität ab: Die Frauen warteten auf die Ankunft eines Tanklastwagens, der ihnen Wasser bringen sollte.
5,7 Liter Wasser pro Person und Tag
Er liess auf sich warten, und obwohl er täglich 8000 Liter Wasser liefern sollte, waren die Frauen an den beiden Tagen zuvor mit leeren Krügen abgezogen. Später, zurück in Bombay, liess ich mir vom Impact-Team einige Zahlen nachreichen. Der Weiler Verduk, der sich seitlich vom Erdwall die Hügelflanke emporzog, zählt 1400 Einwohner. Gemäss Regierungsverordnung hat jeder Bewohner Anrecht auf zwanzig Liter Wasser pro Tag – aber nur aus dem Hahnen eines Tankerwagens. Nicht eben viel, denn die zwei Zehnliter-Kübel sollen zum Trinken reichen, zum Waschen der Körper und der Kleider.
Aber es ist schon fast ein Füllhorn, wenn man diesen Sollstand mit der Realität abgleicht: Selbst wenn der Tanker jeden Tag vorbeikommt, sind dies 8000 Liter geteilt durch 1400 Einwohner: 5.7 Liter. Ein Slumbewohner in Bombay erhält laut Statistik 264 Liter Wasser. Und die vielen Tausend neuen Badezimmer in den Hochhäusern der Stadt bringen es auf stolze 260 Liter pro ‚Waschvorgang‘, dank den neuen Druckpumpen, die mit ihrem doppelt grossen Wasserdurchlauf ein besonders prickelndes Dusche-Erlebnis garantieren.
Periodisch wiederkehrende Dürreperioden
An jenem Tag Ende Februar standen die Frauen von Verduk neben einem Zementrohr von vier Fuss Durchmesser, das etwa anderthalb Meter aus dem Boden ragte und doppelt so tief in die Erde ging. Einmal darauf aufmerksam gemacht, sahen wir, dass die Landschaft übersät war von diesen seltsamen Rohrstümpfen. Wir erfuhren, dass es eines dieser typischen Trostpflaster war, mit denen der Staat bei einer der periodisch wiederkehrenden Dürreperioden ‚durchgreift‘. Sie sollten in der Regenzeit als Sammelbecken dienen, und während dem Rest des Jahres würden die Tankerwagen vorbeikommen und sie auffüllen.
Es war nur für den Lieferanten der Rohre ein Erfolg. Nach der ersten Sommerhitze entwickelten die exponierten Zementrohre Sprünge, nach dem ersten Monsun begannen sie zu bröseln. Heute dienen sie, falls das Beispiel von Verduk typisch war, nur noch als Abfallkübel und Signalpfähle, bei denen die Frauen auf den Lastwagen warteten. Kommt dieser – wir sahen an jenem Tag in der ganzen Dürreregion keinen einzigen – dann drängen sie sich um den Spunt des Tanks und füllen rasch ihre farbigen Töpfe.
“Nehmt euch, was euch gehört
Früher war Verduk ein Dorf in der Talsohle gewesen, fünfzehn Meter unter dem heutigen Wasserspiegel. Der Staat hatte die Umsiedlung damals auf einen besonders findige Art durchgeführt: Die Dorfbewohner wurden für den Staudamm-Bau angestellt, und es wurde ihnen eine Arbeiterblechsiedlung hingestellt. Und dort wurden sie zurückgelassen, als der Bau fertig war und ihre Häuser und Ställe in den Fluten verschwunden waren.
Zu erwähnen bleibt nur noch, dass es sich bei der Bevölkerung von Shahapur grossenteils um ‚Adivasis‘ handelt. Indiens Ureinwohner, in deren Stammesdenken moderne Errungenschaften wie privater Landbesitz keinen Platz hatten, waren bereits von den Engländern zu ‚illegalen Landbesetzern‘ erklärt worden, als diese die Wälder als ausbeutbare Ware entdeckt hatten. Das unabhängige Indien führte diese subtile Unterteilung von Besitzern und Besetzern fort. Erst vor fünf Jahren wurde den Adivasis per Gesetz erlaubt, ‚minor forest products‘ zu ernten – von Landrechten keine Spur.
Ist es da ein Wunder, wenn im Einzugsgebiet der Wasserversorgung einer Millionenstadt Dürre herrscht? Und wenn die maoistische Guerilla der Naxaliten gerade unter den Adivasi Gehör findet mit ihrem Slogan: ‚Nehmt Euch, was Euch gehört!‘?