Die Warnung ist unnötig, denn Honey Singh sieht nicht aus wie ein Soziologe, von dem man Antworten auf die Welle von Gewalt gegen Frauen erwartet, die Indien überzieht. Er ist ein erfolgreicher Punjabi-Rapper, muskelbepackt, glattrasiert, die Augen verstellt mit schwarzen Brillengläsern oder giftigen weissen Pupillen.
Sie passen gut zu seinen Spielzeugen – Peitschen, Ketten, Kalashnikovs. Der Titel eines HS-Raps (die harmloseren sind in YouTube einsichtbar), lautet ‚Gangsta‘. Schwarze US-Rapper sind seine Vorbilder, im schnellen Staccato der bellenden Stimmen, im ärmellosen schwarzen Unterhemd und den grossen Stiefeln, aber vor allem in der Gewalttätigkeit der Songs. Umgeben ist Honey meist von jungen Frauen.
Luxus als Waffe
Manchmal bewegen sie wie bei einer Bollywood-Tanznummer ihr Becken lasziv vor- und zurück. Aber meist haben sie nichts mit den Puppen aus den Hindi-Filmen gemein, die sich dem Lead-Tänzer nur zu gern unterwerfen. Honey Singhs junge Frauen sind ebenso einladend, doch ihre Sexualität kommt nicht als Angebot daher, sondern als Herausforderung, Kampfansage. Und ihre Waffe ist nicht nicht nur der aufreizende Körper, noch häufiger sind es die Luxus-Accessoires der Konsumwelt, mit denen er sich eindeckt – Prada-Taschen, D&G-Halsketten, Audi-Coupes, Louboton-Stiefel.
Die Frau ist für Honey Singh – und viele junge indische Männer seiner Generation - nicht mehr Schwester und Tochter, Cousine und Tante, Mutter oder Ehefrau, ein Schulschatz oder das Nachbarskind. Noch vor einer Generation hatte Indien, so der Psychologe Sudhir Kakar in der Times of India, die Frau brav in diesen Kategorien wahrgenommen. Und so lange sie dieses Gesellschaftsspiel mitmachte, war alles in Ordnung.
Tochter von ...
So konnte sie, etwa als Tochter eines Armee-Offiziers, in gute Schulen gehen und sogar ihr MBA machen; oder sie trat, als Witwe eines verdienten Politikers, in dessen Fussstapfen. Als Ehefrau und Mutter war ihr ohnehin eine zentrale Rolle zugeordnet. In ihr konnte sie sogar Macht ausüben, solange sie nur die männlichen Erwartungen – vor allem die Vorliebe für einen Sohn – gedeihlich weiter reproduzierte. Sie schien autonom, obwohl sie in patriarchalischen Schubladen gefangen blieb
Das ändert sich rasch. Töchter werden zwar immer noch mit Vorliebe abgetrieben. Und wenn sie es dennoch auf die Welt schaffen, kann ihnen ein Name wie "Nakushi" blühen, was soviel wie "das Unerwünschte" heisst ("Nakushis" waren Thema einer früheren IO-Kolumne). Und einer grossen Mehrheit von ihnen wird der künftige Ehemann immer noch aufgebrummt. Aber sie gehen zur Schule, sie haben ihre Freundinnen, sie kaufen ein, und wenn’s nur chinesische Imitate sind, kurz: sie entwickeln das, was Soziologen Agency nennen: Die jungen Frauen sind ...junge Frauen, handelnde Subjekte, statt wie früher nur "relationale" Objekte – Schwester von ..., Tochter von ..., Enkelin von ..., Freundin von ....
Die Lust an der sexuellen Nötigung
Und der indische Mann reagiert aufgereizt, verunsichert und – aggressiv. Noch immer wächst er mit dem Gefühl auf, das Zentrum seiner kleinen Welt zu sein. Die Mutter betet ihn an, während sie den weiblichen Fötus entsorgt. Doch dass Mädchen ihn in der Schule überholen, dass die Schwester ihn nicht mehr vergöttert, dass junge Frauen über seine Avancen lachen, dass sie sich selber Geschenke kaufen statt auf seine Grosszügigkeit zu warten – das alles ist er nicht gewöhnt.
Das Resultat zeigt sich in den Gewaltphantasien, die Rapper Honey Singh in Bild und Sprache übersetzt (und dafür müssen wir ihm dankbar sein). Und welche Gewalt ist erniedrigender – und lustvoller – als sexuelle Nötigung?
So geschah es wohl auch bei jener verhängnisvollen Busfahrt am 16. Dezember im nächtlichen Delhi. Die sechs Angreifer hatten zuerst den Freund der 23-jährigen Studentin gehänselt und geschlagen, beachteten die junge Frau kaum. Doch diese bleibt nicht Zuschauerin. Sie mischt sich ein, kommt ihrem Freund zu Hilfe.
Vergewaltigung als Mittel
Erst in diesem Augenblick geht den alkoholisierten Männern aus dem Slum die Welt aus den Fugen, kommen Ängste hoch über den Verlust des Wenigen, das sie ihr eigen nennen – ihre Männlichkeit, artikuliert allein in der Dominanz über das weibliche Geschlecht. Sie gehen auf die Frau los, zuerst mit dem Pannen-Kit des Schulbusses, dann entladen sie sich sexuell, um schliesslich den Unterleib des Opfers mit Schraubenstangen gänzlich zu verwüsten.
Die unterschiedliche Gewaltanwendung zeigt, dass nicht nur körperliche Lust Besitz ergriff, sondern aufgestaute Aggression gegen eine Frau, die es wagte, sich als Person einzubringen. Während die Täter den jungen Mann aus der Tür stiessen, ohne dass er ernsthaft verletzt war, glaubten sie laut eigenen Aussagen, das Mädchen sei tot, als sie ihren Leib hinauswarfen. Frauenorganisationen haben im Gefolge dieser Gräueltat argumentiert, dass Vergewaltigung oft nicht die Folge eines sexuellen Staus ist, sondern eine Gewalthandlung, die die Frau in ihrer Rolle als Frau erniedrigen soll. Genauso wie es Honey Singh besingt, wenn er von den schönen Frauen umringt wird, die ihn mit ihrem Reichtum kirre machen.
„Ich bin stolz auf meine Tochter“
Dasselbe Symptom für den gleichen Befund kommt aus der anderen Ecke des verängstigten männlichen Inders - Politikern, Polizei-Offizieren, spirituellen Gurus, Leuten also, die mit gesellschaftlichen Pathologien ihre Karriere machen. Sie alle bedauern das Schicksal der Frau, wollen die ‚Bestien‘ hängen sehen. Doch in ihren Folgerungen verraten sie sich: Junge Frauen sollten sich nicht so aufreizend kleiden; sie sollten nicht so spät unterwegs sein; und der Chef der Hindu-Ideologen monierte, dass Frauen an den Herd, nicht ins Multiplex-Kino gehören; besonders einfühlsam dann ein Guru aus Gujerat: Die Frau trifft auch Schuld, denn hätte sie sich vor den Männern auf die Knie geworfen, an sie appelliert als ihren Brüdern, sie hätten sich erweichen lassen.
Wo bleiben die indischen Männer, die diesen düsteren Befund aufbessern? Es gibt sie, etwa unter den vielen jungen Männern, die sich in Delhi den kalten Wasserstrahlen und den Schlagstöcken der Polizei entgegenstellten. Oder der Vater der jungen Frau. Er hatte sein bisschen Land im Dorf verkauft und war mit der Familie nach Delhi gezogen, um seinem ersten Kind das Studium zu ermöglichen, und weil die Eltern sie in der Grossstadt nicht allein lassen wollten. Sie lebten in einer winzigen Wohnung am Stadtrand, und der Vater hatte auf dem Flughafen einen Job als Gepäcklader gefunden. „Ich bin stolz auf meine Tochter“, war beinahe das einzige Wort, mit dem er an die Öffentlichkeit trat. Er hätte auch sagen können, was im benachbarten Pakistan der Vater von Malala Yusafzai äusserte, der Dreizehnjährigen, dir ihr Einstehen für Schulbildung beinahe mit dem Leben bezahlte: „Ich bin einer der wenigen glücklichen Männer, den man nicht wegen seiner Söhne, sondern wegen seiner Tochter kennt“.