Die Weihachtstage sind vorbei. Es war – ich liebe dieses Wort – die Zeit der ‚Immateriellgüterwerte’. Es durfte gesungen werden, man versendete Kusshände, Weinseligkeit ist im mehrfachen Schriftsinn erlaubt. Selbst ein ‚Schwarzer Freitag’ ist für einmal nicht das Datum eines Terroranschlags, sondern der Tag, an dem einem schwarz wird vom Geschenkekaufen.
Nur im Mutterland spiritueller Güter, wo der Premierminister bereits ‚Mahatma Modi’ genannt wird und erste Tempel für Indiens jüngste Gottheit eingeweiht werden, ist Sachlichkeit angesagt. Zum ersten Mal wurde ‚Weihnacht’ nicht als Fest einer der vielen Religionsgemeinschaften im Land mitgefeiert. Es war vielmehr ‚Good Governance Day’. Böse Mäuler ulkten schon: Mindestens an diesem einen arbeitsfreien Tag soll Indien gut regiert wird.
Rückbekehrt
Sollen sie lästern! Doch wie können dieselben Kritiker darin einen Versuch der Hindu-Nationalisten erblicken, den Christen eins auszuwischen? Haben diese guten Samariter nicht die Adventswochen dafür genutzt, uns spirituellen Flüchtlingen – Indiens Christen und Muslimen – den Weg heim ins Hindu-Reich zu zeigen? Mehr noch: Im Zug dieser Kampagne hat uns der federführende ‚Dharam Jagran Samiti’ (DJS), im Hindu-Kaderverband RSS zuständig für Bekehrungen (pardon:Heimführungen), sogar geholfen, den genauen Gegenwert dieses immateriellen Guts – unsere Religionszugehörigkeit – zu beziffern.
Bei mir sind es genau SFr. 3200.- Vorletzte Woche veranstaltete der Verein nämlich eine ‚Heimkehr’-Zeremonie in Agra, bei der 56 muslimische Familien ‚rückbekehrt’ wurden. Dabei gab er laut ‚Times of India’ auch den Tarif bekannt: Jeder Muslim, der sich zum rechten Glauben bekehrt, bekommt 500'000 Rupien (Fr. 8000.-), jeder Christ Rs. 200'000 (die erwähnten 3'200 Franken).
Reinigung vom Aberglauben
Zuerst haderte ich ein bisschen mit dem Schicksal, dass es mich nicht als (doppelt so wertvollen) Muslim auf die Welt gebracht hat. Aber das Kleingedruckte tröstete mich. Denn jeder spirituelle Asylant, ob Hindu oder Christ, wird mit drei Zusatzleistungen begrüsst: dem Sanskriti-Ritual, einer Feuerzeremonie plus Besprinkelung mit Gangeswasser zwecks Reinigung vom Aberglauben; der Mitgliedschaft in der Hindu Rashtra, der ‚Hindu-Nation’ (keine Lappalie, denn sie soll einmal die indische Staatsbürgerschaft ersetzen); und drittens dem Jati – dem warmen Schoss der Gemeinschaft, auch ‚Kaste’ genannt.
Alles sympathische Gesten, dachte ich, und wollte wissen, wie die Zeremonie bei den 56 Muslim-Familien abgelaufen war. Da erlebte ich allerdings eine kleine Enttäuschung. Natürlich hatte ich nicht erwartet, dass sie im Taj Mahal stattfinden würde, diesem Symbol islamischer ‚Love Jihad’. Aber musste es ausgerechnet ein Abfallschuppen in einem städtischen Slum sein? Zugegeben, die Hinduismus-Kandidaten hatten keine Transportspesen zu verrechnen, da sie selber Abfallsammler waren und dort hausten. Auch die Tempel-Miete entfiel, denn der Blechschuppen gehörte ihrem Erlöser, einem Mann namens Valmiki, dem sie sonst Plastikflaschen und Elektromüll verkaufen.
Der Zeremonienmeister, untergetaucht
Vielleicht war dies der Grund, warum Valmiki dann noch ein paar Zusatzleistungen anhängte: er versprach einen staatlichen Armutsausweis, der zu Gratis-Reis und –Dal berechtigt. Dazu kam eine Wählerkarte. Auch diese ist nicht zu verachten, schützt sie doch vor anderen Hindu-Vereinen – es herrscht hohe Arbeitsteilung im RSS – die diese Sorte Menschen als Wirtschaftsflüchtlinge aus Bangladesch brandmarken und am liebsten hinter die Grenze zurück- oder in den nahen Jamunafluss hineinwerfen wollen.
Betrübt las ich einige Tage später, dass die 56 Familien vorläufig nur rituell Hindus geworden. Zeremonienmeister Valmiki konnte nämlich den Eintrag im Einwohneramt nicht mehr beibringen. Er war untergetaucht, als ruchbar wurde, dass ihm die Polizei auf der Spur war. Den Hindu-Verein schreckte dies allerdings nicht ab. Er bekennt sich weiterhin zu seinem Leistungssoll, bis Jahresende 4000 Muslime und Christen aus ihrem Aberglauben zu befreien.
Christen und Moslems sind „gestohlene Hindus“
Auch der RSS steht, so stellte ich beruhigt fest, weiterhin zu seinem Ziehkind. Am letzten Samstag erklärte RSS-Generalsekretär Mohan Bhagwat dem Land den Unterschied zwischen ‚Bekehrung’ und ‚Heimkehr’. Die indischen Muslime und Christen sind in Wahrheit „gestohlene Hindus. Nun ist der Dieb ertappt worden, und ich hole mir meinen Besitz zurück“. Und was ist, wenn Hindus zum Islam oder Christentum konvertieren? Kein richtiger Hindu verlässt seine Gemeinschaft, donnerte Bhagwat; da müsse Gewalt im Spiel sein. Für solche Fälle fordere der RSS ein scharfes ‚Anti-Bekehrungsgesetz’.
‚Gut gebrüllt, Löwe!’ tönte es aus den Reihen der BJP, ihres Zeichens die politische Tochter des RSS und seit kurzem Indiens Regierungspartei. Die Regierung habe nichts mit Valmikis Ablasshandel in Agra zu tun. Aber sie mochte ihn auch nicht verurteilen. Parlamentsminister Venkaiah Naidu blies vielmehr ins gleiche RSS-Horn: Falls die Opposition ein gesetzliches Bekehrungsverbot wünscht – bitte sehr, die BJP fordere ein solches schon lange; ‚Heimführungen’ natürlich ausgenommen.
Wo ist das Geld?
Alles schien auf gutem Weg, als den 56 Familien aus Agra ernste Zweifel kamen. Die 500'000 Rupien pro Person waren nicht eingetroffen, ebenso wenig wie Armutsausweis und ‚Voter’s Card’. Zudem stellt sich ihnen die bange Frage, ob die dritte Gratisleistung – Jati – so einfach einzulösen wäre. Würden sie nun wieder zum Aussenseiter-Status der Dalits zurückkehren, aus dem ihre Vorfahren mit der Bekehrung zum Islam ausgebrochen waren? Der RSS jedenfalls hatte keine seiner vielen Brahmanen-Chargen abkommandiert, um die Lumpensammler in die Arme zu schliessen. Und von den Hindu-Dalits im Slum hörten sie, dass sie dort ebenfalls nicht willkommen sind.
Trotz dieser Rückschläge liess ich mich nicht von meinem Ziel abbringen, meinen religiösen Immateriellwert bald in klingende Münze umzutauschen. Inzwischen regiert die BJP zum Glück auch in Bombay, und prompt macht sich auch hier ein RSS-Ableger für ‚Rückführungen’ stark. Alle in Indien geborenen Christen und Muslime, liess er verlauten, sind ohnehin Hindus, die vom richtigen Weg abgekommen sind.
Jesus, ein Avatar Vishnus
Letztere Aussage hielt mich dann doch davon ab, mich im Vereinsbüro nach einem Tauftermin zu erkundigen. Ich bin ja gar nicht in Indien geboren, stellte ich mit Schrecken fest. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass meine Grosseltern im Wallis je von indischen Vorfahren erzählt haben (nur von Sarazenen war manchmal die Rede gewesen). Immerhin besitze ich einen Ausweis, der mich als ‚Person of Indian Origin’ (PIO) zertifiziert. Aber diesen erhielt ich als Ehemann einer indischen Bürgerin. Ihr Immateriellgüterwert ist nun ebenfalls suspekt, gehört sie doch der Gemeinschaft der Parsen an, die erst vor 1200 Jahren ins Land gekommen sind.
Bereits sehe ich meine Geldscheine davonschwimmen. Und selbst wenn ich am Ende meinen Hindu-Eid auf die Bhagavad Gita schwören darf (sie soll gemäss Aussenministerin Sushma Swaraj die Verfassung als Grundgesetz ablösen) – welches Jati würde mir wohl Gastrecht geben? Steht nicht in der Kastenfibel des Manusmriti, dass jene, die jenseits des ‚Schwarzen Wassers’ geboren werden, mlecch sind, unrein also und damit auf der gleichen Stufe wie die Dalits? Würden die mich wollen?
So trage ich mich nun mit dem Gedanken, Mahatma Modi eine Petition zu unterbreiten, folgenden Inhalts: Da der Hinduismus bereits 333 Millionen Gottheiten hat, wäre es da nicht einfacher, Jesus Christus einfach zu einem Avatar Vishnus zu erklären und ihm im vedischen Pantheon einen Sitz als Hinterbänkler einzuräumen? Bei Buddha hat dies einigermassen geklappt, denn offiziell werden indische Buddhisten zu den Hindus gezählt. Zugegeben, ich müsste meinen Immateriellgüterwert von 3'200 Franken auf null abschreiben. Aber es wäre ein kleines Opfer für das hehre Ziel, Indiens gesamte Bevölkerung zu hundertprozentigen Hindus zu machen.