Die Freuden der Globalität: Die späte Juli-Sonne leuchtet durch die Fenster der Erner Kirche, auf die barocke Pracht von Putten, Säulen, und Kirchenväter. An der Seitenwand des Hauptschiffs sticht die Lanze des Heiligen Georg ins Herz des Drachens. Es ist nicht der Drache der Globalisierung, im Gegenteil: Es ist der Drache von Kirchturmpolitik und engstirniger Dörflichkeit, denen in Ernen der Garaus gemacht wird.
Die Welt im Dorf
Den Beweis liefert Unhae Im, die südkoreanische Sopranistin. Als verführerische Händel-Poppäa steht sie vor Altar und Allerheiligstem, wiegt ihren Körper hin und her. Sie bezaubert mit ihrer Stimme nicht nur die Ferienpensionäre aus Deutschland und der ‚Üsserschwiz‘, sondern auch den Bauern vor mir, dessen ‚Old Spice‘-Aftershave ohne Erfolg versucht, den Stallgeruch zu ersticken.
Der Konzertprospekt erzählt, dass György Sebök den Namen 'Musikdorf Ernen' auf der Flugstrecke Paris-New York entdeckt hatte, einer der ersten Autobahnen der Globalisierung. Aber der Musikprofessor aus den USA verstand es, die Welt ins Dorf zu bringen, ohne daraus ein 'Weltdorf' zu machen - kein Verbier oder Gstaad, keine Zermatter Musiktage, mit ihrem Millionen-Sponsoring und grossen Stars. Stattdessen die Dorfkirche als Festival-Palast, Hotelsuiten in Form von Pensionszimmern und Ferienwohnungen. Dazu die Gnade, dass kein Matterhorn und keine Arena von Sessel-Lifts, Bergbahnen vor der Türe warten, nur Wanderwege und eine Luftseilbahn in mittlerer Distanz.
Walliserdeutsch mit ungarischem Timbre
Sebök und seine Meisterkurse sind längst tot, doch die Musiker kommen immer noch, um zusammen zu üben und ihr Zusammenspiel dem leichtgekleideten Publikum zu Gehör zu bringen. Und sie kommen aus aller Welt: die Harfenspielerin Siobhan Armstrong aus Dublin, Tami Krausz aus Israel, Kjell Jorgensen aus Norwegen, Maki Namekawa aus Japan, Dennis Russell Davies aus den USA, und Viele mehr. Neben Barockmusik mit Laute und Cembalo, die die etwas wülstige Altar-Ornamentik erschlanken lässt, gibt es auch Neue Musik, so wie dieses Jahr die Urauffuehrung eines Gesangsstücks, ‚Songs of Milarepa‘, das Philip Glass dem österreichischen Bassbariton Martin Achrainer gemäss Programmheft 'in die Gurgel komponiert' hat. Im Restaurant Sankt Georg serviert deutsches Personal ‚Alpensushi auf Heublumenreis‘, ‚Brennessel-Spaghetti‘ und ‚Offenen Raviolo vom Murmeltier‘.
Wem das doch etwas zu geschleckt daherkommt, der kann auf die andere Talseite wechseln. Dort servierten am Tag der heiligen Maria Magdalena, der Schutzpatronin der Lagger Alp, die beiden Sennen aus dem Chessi frische Milch, nachdem die Dorfbewohner von Lax der Messe vor dem Gipfelkreuz beigewohnt hatten. Doch auch in der Alpwirtschaft hat die Globalisierung Einzug gehalten: das Sennen-Päärli kommt aus Deutschland, er ein gelernter Zimmermann, sie Krankenschwester. Der Zugbegleiter auf der Luftseilbahn hiess Karl Brüderle, auf dem Kühboden wurde man von einem kosovarischen Rauhbein in Empfang genommen, und im Souvenirladen sprach die Frau ihr Walliserdeutsch mit ungarischem Timbre.
Ein bisschen wie Grossbritannien
Zum ersten Mal wurde mir in diesem Jahr so richtig bewusst, wie multinational die Schweiz geworden ist – und dass dies den meisten Lesern wie eine Platitüde vorkommen muss, akzentuiert diese Einsicht noch. Natürlich ist die Schweiz nicht erst seit den bilateralen Verträgen mit der EU ein Einwanderungsland. Aber zum ersten Mal gleicht die Schweiz ein bisschen ...Grossbritannien.
Die Zuwanderung hat eine kritische Masse erreicht, wo das Multinationale ins Multikulturelle schwappt, wo der ausländische Manager oder Flüchtling seine Eigenheit behalten kann und nicht ständig unterwürfig seinen Gaststatus signalisieren muss. So kommt es wohl, dass ein türkisch-stämmiger junger Mann in Hochdorf seine Herkunft und Sprechweise nicht mehr zu verstecken braucht. Im Gegenteil, er kann sich einen Künstlernamen wie ‚Baba Uslender‘ zutun, und aus seinem Dialektgemisch macht er einen attraktiven Rapper-Sound, der auch bei der einheimischen Jugend ‚kuul‘ ist.
Outsourcing der Pfarrer
Auch das älteste multinationale Unternehmen der Welt – ich spreche von der katholischen Kirche – tut das Ihre, um die Globalisierung im Goms hoffähig zu machen. Allerdings tut sie es unter Zwang – und schlecht. Angesichts der Nachwuchs-Dürre muss der Bischof von Sitten seine Pfarrer schon seit Jahren ‚outsourcen‘, will er nicht auf manchmal dubioses lokales Gewächs angewiesen bleiben. Der letzte Pfarrherr von Lax musste aus seinem Amt entfernt werden, weil er eine Vorliebe fuer ‚Cross Dressing‘ entwickelt hatte (und gemeint ist damit nicht etwa die Verhüllung des Gekreuzigten in der Fastenzeit).
Die ersten Missionare waren aus Kerala gekommen, dann gab es einen Pfarrer aus Ghana, gefolgt von einem Filipino und mehreren polnischen Seelenhirten. Ihnen Allen war eigen, dass sie am liebsten die lateinische Messe gelesen und die schwarze Soutane getragen hätten, so konservativ waren sie. Aber dem Bischof waren sie offenbar lieber als ein Katechet aus Binn. Er war ein verheirateter Mann, notgedrungen berufen, weil die Drittwelt-Niederlassungen des Multi selber an Personalmangel litten. Der Laienpriester sprach die Sprache der Kirchgänger und war bald so beliebt, dass selbst Junge wieder zu seinem Wortgottesdienst kamen. Deshalb wohl wurde er von Sitten bald wieder fallengelassen.
Mühe mit dem deutschen Akzent
Der Pfarrer, der am St.Magdalenen-Fest den Alpsegen sprach, hiess Joseph (‚Jo‘) Shen und er kommt aus China. Er bekundet Mühe mit dem deutschen Akzent. Die starke Bise, die auf der Lagger Alp über die auf dem Gras sitzenden Bauern blies, verzerrte seine Worte noch mehr als sonst. Es war mir zuerst nicht klar, ob er die Älpler-Patronin tatsächlich mit ‚Malia Magdalela‘ angesprochen hatte, oder ob der Wind die Laute verweht hatte. Für die Dörfler war es einerlei. Sie haben sich an die Sprechweise des Manns gewöhnt, genauso wie daran, dass dessen vorgedruckten Predigten wie ein einschläferndes Mantra über ihre Köpfe dröhnt.
Bei einem Gommer Anliegen allerdings zeigte sich Papst Benedikt etwas wacher. Als ich am 30.Juli in meiner Heimatgemeinde Fieschertal war, hörte ich von der alljährlichen Prozession, die anderntags zur Marien-Kapelle im Erner Wald führen sollte. Es würde das erste Mal sein, dass der Rosenkranz nicht zum Schutz vor den bedrohlich wachsenden Aletsch- und Fiescher-Gletscher gebetet wuerde, sondern zum Schutz für ihren Erhalt.
Auch im Klimawandel hat die Globalisierung Platz ergriffen. Und so antichambrierten die Gemeinden beim Papst, um die alte Fürbitte aus der kleinen Eiszeit des 17./18.Jahrhunderts umzudrehen. In Einem allerdings zeigten sie, dass die Kirche immer noch im Dorf bleibt, und die Welt draussen. Eine Mehrheit von ihnen glaubt offenbar, dass es nicht der Klimawandel, sondern die jährliche Wallfahrt zu ‚Maria im Wald‘ gewesen ist, die die Gletscher zum Rückzug bewegt hat.